Samstag, Juni 18, 2016

Wie man eine Privatisierung von Autobahnen bewertet

Heute erfahre ich, wohl mit etwas Verspätung, dass in Deutschland mal wieder die Privatisierung der Autobahnen diskutiert wird. Wozu soll diese Privatisierung gut sein?

Soweit ich sehe, gibt es in der aktuellen Diskussion grob skizziert zwei Argumente. Erstens, die Zinsen sind niedrig und private Investoren sehnen sich nach Möglichkeiten, Gewinne zu erzielen. Private Autobahnen wären eine solche Möglichkeit. Dieses Argument finde ich ziemlich unverschämt. Private Investoren - vor allem die individuellen Investoren, die bei Privatisierungen in der Regel am meisten profitieren - gehören definitionsgemäß zu den Leuten, die nun wirklich als Allerletztes Hilfe vom Staat brauchen. Sich von deren Interessen leiten zu lassen geht gar nicht.

Kommen wir also zum zweiten Argument. Die Deutschen sehen zwar, dass Investitionen in das Autobahnnetz nötig sind, lieben aber auch die schwarze Null. Aber auch das ist kein stimmiges Argument. Um die Privatisierung der Autobahnen sinnvoll bewerten zu können, ist es hilfreich, sich die Nettogeldflüsse anzusehen:
Egal wie die Autobahn finanziell organisiert wird, letztendlich kommen die Einnahmen für das System zum einen von den Nutzern und zum anderen aus allgemeinen Steuern (manche Einnahmequellen können irgendwo dazwischen liegen, zum Beispiel Benzinsteuern). Und letztendlich landen die Ausgaben zum einen beim eigentlichen Bau und Betrieb der Autobahnen - das ist offensichtlich - und bei privaten Investoren. Letzteres ist nicht ganz so offensichtlich: auch eine Autobahn, die rein in Staatshand ist, hat Ausgaben an private Investoren wenn der Staat sich für Bau und Betrieb "verschuldet".

Aus Sicht des Gemeinwohls gibt es mit Blick auf die Geldflüsse vor allem zwei Fragen: Wie viel muss von der linken Seite gezahlt werden, und wie wird die Rechnung zwischen Autobahnnutzern und Bürgern allgemein aufgeteilt? Von links kommt zwangsläufig genau so viel Geld, wie rechts wieder herausfließt. Sinnvollerweise konzentriert sich die Politik also auf die rechte Seite. Hilft die Privatisierung dabei, die Ausgaben auf der rechten Seite zu reduzieren?

Meine kurze Einschätzung: Bei Bau und Betrieb lässt sich durch Privatisierung kaum etwas erreichen. Der größte Brocken ist der Bau, und der wird schon lange an private Unternehmen ausgeschrieben. Wenn es hier also Effizienz durch privates Wirtschaften geben sollte, so wird diese schon längst erreicht.

Spannender wird es bei den Ausgaben an private Investoren. Die erwartete Rendite bei privaten Unternehmungen liegt deutlich höher als die Zinsen auf Bundesanleihen. Man kennt das von anderen Privatisierungen: wenn die privaten Investoren nicht von einem höheren Gewinn als bei Bundesanleihen ausgehen können, dann kaufen sie eben lieber Bundesanleihen. Es ist also davon auszugehen, dass bei einer Privatisierung der Autobahnen die Ausgaben insgesamt eher steigen werden, wodurch das ganze System für die Bürger und Nutzer teurer wird. Privatisierung ist ein Verlustgeschäft.

Die zweite Frage, nämlich ob die Einnahmen mehr aus allgemeinen Steuern oder mehr direkt von den Nutzen kommen sollten, ist ganz offensichtlich unabhängig von der Frage der Privatisierung. Man muss nur bedenken (so wenig ich persönlich ein Freund des Autofahrens bin), dass eine verstärkte Finanzierung über die Nutzer in der Tendenz die Ausgabenseite erhöht und so das gesamte System teurer macht - Maut zu erheben ist ein Bürokratieaufwand. Ob die durch Maut verringerte Effizienz ein angemessener Preis ist für höhere Gerechtigkeit muss jeder für sich selbst entscheiden. Man beachte auch die Analogie zur Forderung nach kostenlosem ÖPNV!

Übrigens: Selbst wenn die Ausgaben mit der Privatisierung überraschend sinken sollten, gibt es noch zusätzliche Erwägungen, die in der Tendenz gegen eine Privatisierung sprechen. Zum einen stellt sich die Frage der Kontrolle: selbst wenn der Staat Mehrheitseigner des Autobahnnetzes bleibt erhöht sich doch der Einfluss demokratisch nicht legitimierter Kräfte auf den Betrieb wichtiger Infrastruktur des Landes. Wie hoch der finanzielle Zugewinn sein müsste, um diesen Kontrollverlust zu rechtfertigen, muss jeder selbst für sich entscheiden.

Zum anderen spielt auch die Zusammensetzung der privaten Investoren eine Rolle - wie weit werden die Ausgaben an private Investoren effektiv in der Bevölkerung gestreut? Bei der standardisierten, "langweiligen" Bundesanleihe sind die privaten Investoren oft langweilige Fonds an denen auch "normalere", weniger reiche Bürger z.B. zur Altersvorsorge beteiligt sind. Die Ausgaben für private Investoren gehen somit zwar nicht an alle Bürger gleichmässig, aber sie sind doch relativ weit gestreut. Bei einer Privatisierung wird aber nicht mit derart "langweiligen" Finanzinstrumenten gearbeitet, wodurch sie sich tendenziell eher in der Hand von Menschen sammeln, die ohnehin schon reich sind. Somit sorgen die Ausgaben an private Investoren also in der Tendenz für stärkere Ungleichheit im Land - auch das ein Argument gegen die Privatisierung.

Heißt das denn, das jede Privatisierung schlecht ist? Schließlich lassen sich die genannten Argumente auch auf andere Privatisierungen übertragen. Tatsächlich ist der Blick auf die Nettogeldflüsse immer hilfreich, und ja, das Fazit sieht bei allen Privatisierungsprojekten, die heutzutage diskutiert werden, ähnlich aus. Das liegt aber vor allem daran, dass sich der Staat bei uns schon weitgehend aus dem exekutiven Geschäft herausgezogen hat. Wäre die Stahlindustrie oder die Produktion von Industrierobotern heute in staatlicher Hand, dann sähe die Analyse einer Privatisierung der entsprechenden Unternehmen sicher anders aus, weil es dort glaubwürdige Argumente für einen Effizienzgewinn durch Marktöffnung gibt. Im Fall von Infrastruktur gibt es aber in der Regel keine sinnvolle Marktöffnung, und daher auch kaum Argumente für Privatisierung.