Lerne, wie die Welt wirklich ist, aber vergiss niemals, wie sie sein sollte.
Sonntag, Januar 22, 2017
Unser Wohlstand basiert auf geerbtem Wissen und aktiven Gehirnen
Vor Kurzem schrieb Stefan Pietsch einen Essay, in dem er einigermaßen frei assoziierend eine Reihe von Themen im Umfeld "Arbeit" kommentiert. Der Text ist etwas zu unfokussiert für eine umfassende Antwort, aber ich möchte ein paar Punkte ansprechen, bei denen wir nicht ganz einig sind
Ich will einmal am Ende anfangen, worauf unser Wohlstand eigentlich beruht. Wenn man sich das im historischen Vergleich überlegt, dann übersieht Pietsch einen ganz wichtigen Faktor: im Wesentlichen beruht unser Wohlstand auf den wissenschaftlichen und technologischen Errungenschaften, die wir von unseren Vorfahren geerbt haben und heute weiterentwickeln.
Das hat interessante Konsequenzen. Da das Wissen und die Technologien von der ganzen Menschheit geerbt wurden, kann ein Einzelner daraus resultierende Gewinne nicht ohne Weiteres für sich beanspruchen. Zwar hat der Einzelne, indem er das geerbte Wissen praktisch anwendbar macht, durchaus seinen Teil beigetragen. Diese Argumentation eignet sich aber nur zur Rechtfertigung von relativem Wohlstand im Vergleich zu anderen, die weniger zur praktischen Anwendung des geerbten Wissens beigetragen haben. Sie eignet sich nicht zur Rechtfertigung von absolutem Wohlstand, da der absolute Wohlstand eben nicht aus dem persönlichen Beitrag kommt. Dieser Widerspruch lässt sich durch eine sehr "linke" Gesetzgebung ausgleichen, die dafür sorgt, dass jeder über hohen absolute Wohlstand verfügt, auch wenn es weiterhin relative Unterschiede gibt (die dann aber natürlich geringer ausfallen).
Unser Wohlstand beruht aber natürlich nicht nur auf geerbtem Wissen. Pietsch nennt ein paar weiter Punkte, die aber nicht wirklich an die Wurzel gehen. Ganz wesentlich beruht unser Wohlstand darauf, dass ein möglichst großer Anteil der menschlichen Gehirne, die auf unserem Planeten wandeln, möglichst gut in gesellschaftliche Produktionsprozesse einbezogen und genutzt werden.
Dazu gehört natürlich die von Pietsch genannte Freiheit: Gehirne, die von sich aus Konstruktives leisten wollen, muss man machen lassen.
Dazu gehört auch, dass man Gehirne, die vielleicht nicht unbedingt von sich aus Konstruktives leisten, trotzdem dazu ermutigen. Die von Pietsch genannte Achtung des Eigentums ist ein entsprechendes Anreizsystem. Wenn man das Eigentum von dieser Perspektive aus betrachtet erkennt man aber auch sofort, dass es dabei schnell zu Tradeoffs kommt. Gerne wird ja zum Beispiel die Senkung von Spitzensteuersätzen als Anreiz begründet. Aber hier muss man doch nachhaken: wie stark ist der Anreizeffekt dieser Steuersenkungen denn nun wirklich? Und wäre es nicht besser, die Gehirne in der breiten Masse zu mobilisieren, anstatt sie womöglich noch durch die offensichtliche und steigende Ungleichheit zu demoralisieren?
Der Blick auf die aktiven Gehirne wirft auf viele politische Themen ein anderes Licht. Pietsch nennt zum Beispiel eine Selbständigenquote von etwa 23% im Deutschland Anfang der 1960er und sieht darin lobenswerte Eigeninitiative. (Er unterschlägt dabei übrigens die in seiner eigenen Quelle erkennbare Tatsache, dass der Wert bis ins Jahr 2000 in Deutschland höher lag als in den USA, obwohl diese landläufig als sehr viel unternehmerischer wahrgenommen werden. Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst selektiv ausgewählt hast.)
Ich sehe in dieser hohen Selbständigenquote aber auch Unternehmen mit durchschnittlich vier Personen. Da ist keine tiefe Spezialisierung möglich, und damit ist auch der optimalen Nutzung von Gehirnen eine gewisse Grenze gesetzt.
Ich sehe auch das Potential für Scheinselbständigkeit oder Selbständigkeit aus Not. Da wird ein großer Teil der mentalen Energie verschwendet, weil sich die Menschen mit Sorgen auseinandersetzen müssen, die ihnen von guter linker Politik genommen werden könnten.
Letztlich ist es die Einbindung möglichst vieler Menschen in produktiv-kreative Prozesse auf hohem Niveau, die für unseren Wohlstand essentiell ist. Diese Einbindung kann in Form von Unternehmertun geschehen, aber oft ist das eben auch der falsche Weg.