Ich wollte schon lange nach Colorado in die Rocky Mountains fahren, hatte das aber immer wieder aus verschiedensten Gründen verschoben. Nicht zuletzt, weil die Idee von Wanderungen nur auf begrenztes Interesse stößt. Als ich letzten Mittwoch den Wetterbericht fürs Wochenende sah, habe ich spontan beschlossen, dieses Wochenende einfach zu handeln und habe einen Flug nach Denver und einen Mietwagen gebucht - und zwar von Samstag bis Montag, da das so spontan sonst recht teuer geworden wäre.
Der Flug nach Denver war äußerst ereignislos. Colorado, einer der rechteckigsten Bundesstaaten der Welt, sieht von oben ziemlich skurril aus. Zunächst ist das Land einfach nur flach. Dann kommt Denver, und westlich von Denver fangen die Berge an, und zwar so gut wie ohne Übergang. Es wirkt beinahe so, als hätten die Designer vom östlichen und vom westlichen Colorado nicht miteinander geredet.
Mit einem Shuttle ging es dann zum Autoverleih. Auf einer Fläche gigantischen Ausmaßes steht dort ein Auto neben dem anderen. Der arme Mensch am Schalter hat eine Weile gebraucht um zu verstehen, wie deutsche Führerscheine funktionieren ("They don't have an expiry date?") und war auch sonst etwas mit meiner Identifikation überfordert (letztendlich haben wir uns darauf geeinigt, dass er eine Kopie des Visas haben kann). War ganz amüsant, aber eigentlich würde ich erwarten, dass die Leute sich zumindest an einem Flughafen auskennen.
Ich bin dann über die Umgehungsstraße 470 nördlich um Denver herum nach Boulder gefahren. Das war nicht ganz so klever, wie ich mir eigentlich hätte denken können, denn Boulder ist Heimat des Hauptcampus der University of Colorado, und samstags ist Footballtag. Nach viel Stop and Go habe ich dann aber doch einen günstigen, wenn auch zeitbegrenzten Parkplatz gefunden, und das sogar im Stadtinneren in der Nähe der Fußgängerzone. Ja, man glaubt es kaum, aber Boulder hat tatsächlich eine Fußgängerzone. Das war so furchtbar interessant, an jeder Ecke steht ein Musikant. Und auch sonst war einiges geboten. Am beeindruckendsten war der Zipcode Man, der tatsächlich bis auf eine Ausnahme jedem der auf der mit einer Kette ausgelegten USA-Karte stehenden Personen zur Postleitzahl den Namen des Ortes sagen konnte.
Überhaupt ist diese Fußgängerzone der wohl sympathischste von Menschenhand geschaffene Ort, den ich bis jetzt in den USA gesehen habe. An mehreren Stellen gibt es Spielbereiche, an denen sich Familien mit kleinen Kindern getummelt haben. Nach Didgeridoo- und Geigenspieler musste man nicht lange suchen. Und mit dem vereinzelten Scientologen muss man in so einer Umgebung wohl leben können.
Nur mit dem Begriff der Fußgängerzone an sich tun sich die Amerikaner offensichtlich schwer. Da "pedestrian" hierzulande ja schon beinahe eine Beleidigung ist, behelfen sie sich mit dem etwas irreführenden Begriff der "outdoor mall". Aber alles in allem: Wenn man noch die Faktoren "Unistadt" und "nahe Berge" berücksichtigt ist Boulder tatsächlich ein Ort, an dem ich mir vorstellen könnte, länger zu wohnen.
In Boulder habe ich mich mit Vorräten versorgt. Supermärkte zu finden ist zum Glück einfach, da man nur an den Highways entlang suchen muss. Danach ging es nach Estes Park, der letzten Stadt außerhalb des Rocky Mountain National Parks. Auf den Highways in den Bergen Colorados sind erstaunlich viele Radfahrer unterwegs, und die Straßen sind mit zusätzlichem Platz am Rand sogar dafür ausgelegt. Nach einem kurzen Abstecher nach Frankreich bin ich irgendwo in der Pampa in den Abend gewandert. Und dann war ich in den Bergen!
Es ist übrigens ganz interessant, wie sich in einer Stadt wie Estes Park der Stil einer amerikanischen Stadt an den Stil von Städten in den Alpen anpasst.
Früh am nächsten Morgen (vor Sonnenaufgang hab ich's leider doch nicht geschafft...) bin ich in den Rocky Mountain National Park gefahren, und das lässt sich nicht mehr adäquat mit Worten beschreiben.
Ganz besondere Erwähnung verdienen vielleicht noch die Fauna und der Lake Bierstadt, an dessen merkwürdiger Schreibweise ich leider nichts ändern kann.
Es hatte übrigens, zumindest außerhalb der Wälder, ganz angenehme Temperaturen. Schließlich kommt man bei den raschen Anstiegen doch schnell ins Schwitzen. Nur die dünne Luft ist etwas gewöhnungsbedürftig, was aber kein Wunder ist, wenn selbst die Ausgangspunkte der Wanderungen schon über 2500m liegen. Das einzige, was gefehlt hat, war richtige Schokolade. Leider musste ich mich mit Hershey's behelfen.
In einem Schockmoment habe ich dann festgestellt, dass ich die Adresse des Hostels in Denver nicht aufgeschrieben hatte. Zur Mittagszeit habe ich daher einen Abstecher nach Estes Park gemacht und den öffentlichen Internetzugang in der Public Library genutzt.
Als die Sonne dann am Untergehen war, bin ich Highway 7, 72 und 119 nach Süden bis zur Interstate 70, und diese dann zurück nach Denver gefahren. Bei Nacht bietet das Lichtermeer einer großen amerikanischen Stadt schon einen faszinierenden Anblick, und ich war für den monotonen Aufbau von Denver dann doch dankbar. Selbst ohne vernünftigen Stadtplan habe ich mich nur einmal auf dem Weg verfahren. Überhaupt merkt man, dass eine Stadt wie Denver nicht um Geschichte, sondern um Autos herum gebaut wurde. Insbesondere die Praxis, den Namen der Querstraße auf Kreuzungen an prominenter Stelle anzuzeigen, könnten wir in Deutschland ruhig übernehmen.
Am Montag habe ich dann in Denver die United States Mint besucht und bin durch die Innenstadt gebummelt.
Denver ist sicherlich ein schönes Städtchen, aber mit den Bergen kann es nicht mithalten - dafür bin ich zu sehr Freund der Natur. Übrigens hat auch Denver sowas wie eine Fußgängerzone, die aber eher wie eine schlechte Kopie von Boulder wirkt. Etwas erstaunt war ich, als ich in einem Virgin Superstore in der internationalen DVD-Sektion Triumph des Willens gefunden habe.
Mein Glaube an das Gute im Menschen lässt mich vermuten, dass im "Bonusmaterial" der DVD auch der geschichtliche Kontext erklärt wird, aber zumindest an der äußeren Präsentation war nicht zu erkennen, dass man den Film nicht wirklich in eine Reihe mit Das Leben der Anderen und Lola rennt stellen kann...
Die Wanderungen des Vortags haben letztendlich doch ihren Zoll in Form von schweren Beinen gefordert, und so habe ich mich irgendwann nur noch in den nächstbesten Film gesetzt, bevor ich zurück zum Flughafen gefahren bin, dem Ende meines Kurzurlaubs entgegen.
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