Die Einführung der Internetzensur geht um, und als Motivation für diese Technik, von der man nicht guten Gewissens glauben kann, dass sie mehr Gutes als Schlechtes schaffen wird, muss ausgerechnet Kinderpornografie herhalten. Es gibt genügend gute Artikel, auch im Mainstream, zu dieser erschreckenden Entwicklung.
Ich will hiermit auch allen deutschen Leserinnen und Lesern nahe legen, die diesbezügliche Petition an den Deutschen Bundestag zu unterzeichen.
Internetzensur ist vollkommen inakzeptabel (jede Zensur ist vollkommen inakzeptabel). Dieser Aspekt wird anderswo, unter anderem in den oben verlinkten Artikeln, gut dargelegt. Die ganze Diskussion hat aber noch eine andere Seite, die zu argumentieren deutlich unangenehmer ist. Angesichts der Gefahr einer Internetzensur ist sie vielleicht auch das kleinere Übel, aber in gewisser Weise ist sie die Wurzel der aktuellen Diskussion: Die Reaktion unserer Gesellschaft, sowohl juristisch wie auch sozial, auf Kinderpornografie ist zu undifferenziert und überzogen.
Der erste Grund, weshalb ich zu diesem Schluss gekommen bin, ist prinzipieller Natur: Kinderpornografie ist nicht gleich Kindesmissbrauch.
Wenn 13-Jährige explizite Fotos von sich selbst erstellen, dann ist das Kinderpornografie. Wenn die Fotos dann auf dem Schulhof in Umlauf geraten und vielleicht auch ins Internet gelangen haben sich eine ganze Menge Teenager der Verbreitung von Kinderpornografie schuldig gemacht. Natürlich haben besagte 13-Jährige ein Anrecht darauf, die Bilder wieder verschwinden zu sehen (siehe auch Recht am eigenen Bild). Jemanden in diesem Fall wie einen Kriminellen zu behandeln ist aber schwer zu rechtfertigen, obwohl es sich sicherlich um Kinderpornografie handelt. (Nein, ich denke mir das nicht aus.)
Dann war da die zwischenzeitliche Sperrung von Wikipedia über ein Albumcover. Kinderpornografie? Vielleicht - aber ganz offensichtlich handelt es sich hier um einen Fall, bei dem niemand zu Schaden kam. Und was ist eigentlich mit Bildern, die keine Fotografien sind, mit Zeichnungen, Gemälden, und womöglich mit computergenerierten Bildern? Man kann sich da allerlei äußerst geschmacklose Dinge vorstellen, aber den reinen Besitz von oder Verweis auf solche Bilder zum grauenvollen Verbrechen zu erklären ist schwer zu argumentieren, wenn man nicht in Richtung Sittengesetze abrutschen will.
Es gibt also offenbar Bilder nackter Kinder, die "in Ordnung" sind (wenn auch womöglich äußerst geschmacklos), und Bilder nackter Kinder, die "schlimm" sind. In der Logik die ich gelernt habe bedeutet das, dass das Schlimme nicht der Inhalt der Bilder ist. Das Problem sind vielmehr die Umstände, unter denen die Bilder entstanden sind. Warum fällt es der Politik so schwer, sich genau darum zu kümmern? (Interessant in diesem Kontext auch die ganzen Geschichten um die "Deutsche Kinderhilfe".)
Der zweite Grund ist pragmatischer Natur: Nicht alle Konsumentinnen und Konsumenten von Kinderpornografie haben bereits Kinder missbraucht. (Okay, Beweise habe ich dafür nicht, aber es wäre doch sehr erstaunlich.)
Natürlich ist zu erwarten, dass eine deutliche Korrelation existiert. Aber angesichts der Tatsache, dass es für uns wichtig ist, zukünftigen Kindesmissbrauch zu vermeiden wäre es doch nur folgerichtig, den Menschen, die gefährdet sind, zur Vergewaltigerin oder zum Vergewaltiger zu werden, einen Ausweg zu bieten bevor es zu spät ist. Gerade die sich selbst so bezeichnenden "christlichen" Parteien, auf deren Initiative die aktuelle Diskussion einmal mehr zurückgeht, sollten diese Herangehensweise eigentlich zu würdigen wissen.
Da ich mich in Sachen Pädophilie, Kinderpornografie und Kindesmissbrauch nicht gut genug auskenne, kann ich zu diesem zweiten Grund nicht viel weiter sagen als dass allein die Tatsache, dass dieser Aspekt in der öffentlichen Diskussion nirgendwo zu finden ist, zu denken geben sollte.
Der letzte und wichtigste Grund liegt in unserem demokratischen System.
Hand aufs Herz, die ersten beiden Gründe würden mich nicht zum Schreiben eines Blogeintrags bewegen. Wenn die Öffentlichkeit Kinderpornografie Kinderpornografie sein lassen würde und das BKA einfach nur im stillen Kämmerlein vernünftig seinen Job machen würde wäre dieser Blogeintrag nicht notwendig. Leider missbraucht die Politik Kinderpornografie nun, um extrem unpopuläre Gesetzesvorhaben durchzuboxen.
Da im Zusammenhang mit Kinderpornografie bereits der reine Austausch von und Kontakt mit Information zum Verbrechen wird, begibt sich jeder, der über das Thema ausführlich recherchieren möchte, auf extrem dünnes Eis. Die Folge ist, dass äußerst unglaubwürdige Zahlen unkommentiert in den Raum geworfen werden können (leider finde ich den Link nicht mehr, wo behauptet wird, die Hälfte aller Straftaten im Internet haben mit Kinderpornografie zu tun; angesichts von massenhaftem Phishing, Raubkopieren und Handel mit persönlichen Daten, über die man - im Gegensatz zu Kinderpornografie - täglich stolpert, scheint das geradezu lächerlich, und trotzdem können Politiker unwidersprochen solche Statistiken verwenden, um Stimmung zu schüren). Es tritt ein ähnlicher Effekt ein wie beim Überwachungsstaat: Wer sich überwacht fühlt verhält sich erwiesenermaßen anders als normal. Wer fürchtet, womöglich mit Vergewaltigerinnen und Vergewaltigern gleichgesetzt zu werden, verhält sich anders als jemand der diese Furcht nicht hat. Leider ist diese Furcht heutzutage, da in Deutschland mehr Leben durch fälschliche Anschuldigungen der Kinderpornografie als durch Terrorismus zerstört werden, durchaus berechtigt. Ein weniger aufgeregter Zugang zum Thema würde der in einer Demokratie notwendigen Debatte nur helfen.
Was ist also das Fazit? Kindesmissbrauch muss natürlich verfolgt werden. Sollte es zudem tatsächlich, wie manchmal angedeutet wird, Banden geben die gezielt Kinder missbrauchen und sich mit dem Verkauf von Kinderpornografie zu bereichern, muss dem ein Riegel vorgeschoben werden, aber der Grund dafür ist der Kindesmissbrauch - der Aspekt der Kinderpornografie ist eher sekundär. Bei Missbrauch entstandene pornografische (warum eigentlich immer nur kinderpornografische?) Bilder sind natürlich auch keine Bagatelle, aber ich bin nicht überzeugt, dass hier ein qualitativer Unterschied zu anderen würdeverletzenden Bildern existiert, der die andersartige Herangehensweise rechtfertigt. Insgesamt sollte das ganze Thema differenzierter und weniger emotional betrachtet werden.
Bleibt mir nur noch anzumerken, dass dies der schwierigste Text war, den ich bisher in diesem Blog veröffentlicht habe. Mehr als einmal war ich kurz davor, von einer Veröffentlichung ganz abzusehen. Dann habe ich mich aber wieder daran erinnert, wie ich mich über die Amerikaner lustig gemacht habe, die den Terrorismusversprechungen der Bush-Regierung so leichtgläubig geglaubt haben. Ich will nicht, dass in Deutschland das gleiche passiert.
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