Sonntag, Februar 24, 2008

Sicherheitslücke im Bundestagswahlsystem

Nein, in diesem Eintrag wird es nicht um Wahlmaschinen gehen. Der Titel spricht schließlich auch von einer Sicherheitslücke und nicht von einem Sicherheitsloch, wie Wahlmaschinen fairerweise genannt werden müssen (klar war das schon immer, aber die Ereignisse bei der Landtagswahl in Hessen weisen noch einmal deutlich darauf hin).

Wie hoffentlich alle hinreichend alten Leser schon am eigenen Leib erfahren haben, hat man als Wähler bei der Bundestagswahl zwei Stimmen. Die Zweitstimme bestimmt gemäß dem Verhältnis die Anzahl an Sitzen, die einer Partei im Bundestag zustehen. Mit der Erststimme wird in jedem Wahlkreis ein Direktkandidat gewählt. Die Sitze jeder Partei werden - nach Bundesland - zunächst mit den gewählten Direktkandidaten der Partei besetzt, sofern vorhanden. Alle weiteren Sitze der Partei werden der Reihe nach mit den Kandidaten auf der Landesliste besetzt. Für den Fall, und hier wird es interessant, dass eine Partei in einem Bundesland mehr Direktkandidaten gewonnen hat als ihr gemäß der Zweitstimme Sitze zustehen würden, kommen trotzdem alle Direktkandidaten in den Bundestag, und es entstehen sogenannte Überhangmandate. Der Bundestag hat dann also mehr Mitglieder als eigentlich vorgesehen.

Jetzt wird es interessant für Parteien, die eine Chance haben, Direktkandidaten erfolgreich ins Rennen zu schicken. Wir alle wissen, dass das in der Praxis vor allem zwei Parteien sind, die ich aus Gründen der Neutralität Alice und Eve nennen werde. Nehmen wir an, Eve gewinnt in einer Bundestagswahl 230 Bundestagssitze gemäß Zweitstimmen. Davon werden 150 mit Direktkandidaten besetzt. (Die Zahlen sind erfunden, orientieren sich aber in etwa an den Wahlergebnissen von 2005.) Wenn es keine Überhangmandate gibt, hat Eve damit 38,5% der 598 Sitze im Bundestag - ein ordentlicher Brocken, aber weit davon entfernt, ohne Koalition eine Regierung bilden zu können.

Also gründet Eve eine Briefkastenpartei namens Ede und tritt bei der nächsten Wahl nur für die Zweitstimme an, während alle Direktkandidaten für Ede kandidieren. Ede tritt dafür ohne Landeslisten für die Zweitstimme an. In der Realität werden sich natürlich viele Menschen davon vergackeiert fühlen oder die Wahlstrategie gar nicht verstehen, aber nehmen wir mal an, Bob der Bürger ist naiv genug um mitzumachen ohne das sonstige Wahlergebnis zu verändern (wir schaffen das!). Dann hat Eve nach wie vor 230 Sitze durch Zweitstimmen gewonnen, während Ede 150 Überhangmandate erhält. Wenn sich sonst nichts am Wahlergebnis ändert, ergeben sich für die Partei damit insgesamt 50,8% der 748 Sitze im Bundestag - sechs Sitze über der absoluten Mehrheit.

Das Problem ist natürlich nicht unbekannt. Aber aus der Perspektive von jemandem, der schon endlose Debatten über Cheating in Netzwerkspielen geführt hat, ist es doch kurios, dass eine derart massive Lücke in einem System existiert ohne ausgebeutet zu werden. Das spricht wohl zum einen dafür, dass unsere Politik nicht ganz korrupt ist; schwerer wiegt allerdings mit Sicherheit, dass im sogenannten "Echten Leben" nicht die gleiche Anonymität herrscht wie im Internet.

Ach ja: Jegliche Ähnlichkeiten mit Charakteren aus Kryptographie oder Kindersendungen sind natürlich rein zufällig.

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