Mittwoch, August 10, 2011

Die Red-Queen-Hypothese in der Volkswirtschaft

Im Zuge der Euro-Schuldenkrise hört man viel über Inflation. Am beliebtesten ist dabei der direkte Sprung von leicht erhöhter Inflation direkt zur Hyperinflation wie in der Weimarer Republik, obwohl dieser gedankliche Sprung alles andere als naheliegend ist. Hyperinflation unterscheidet sich grundlegend von regulärer Inflation. Aber zurück zur normalen Inflation: woher kommt sie, und ist sie schlecht?

Ich habe mich im letzten Jahr schon einmal mit dem Thema beschäftigt und dort auch kurz darüber geschrieben, was Inflation eigentlich ist. Da ich den ganzen Hickhack über subjektive Definitionen des Worts nicht leiden kann, werde ich Inflation als Synonym für Preissteigerungen, gemessen durch einen Preisindex, verwenden.

Ich will nun meine Gedanken zu dem Thema etwas aktualisieren, ausgehend von der zentralen Frage: Warum gibt es in einer gut laufenden Volkswirtschaft Inflation?

Eine gut laufende Volkswirtschaft befindet sich nicht in einem Gleichgewicht oder stationären Zustand. Firmen werden gegründet und gehen bankrott, neue Produkte werden entwickelt und Produktionstechniken verfeinert. Das führt dazu, dass sich der relative Wert von Gütern zueinander sinnvollerweise ändert, und diese Änderungen spiegeln sich natürlich in den Preisen wieder.

Tatsächlich zeigt ein Blick etwas tiefer in die Berechnung von Preisindizes (z.B. verfügbar vom Statistischen Bundesamt unter dem Stichwort Verbraucherpreisindex, dass sich Preise für verschiedener Güterklassen sehr unterschiedlich entwickeln.

Warum aber entwickeln sich Preise im Mittel nach oben? Eine Anpassung des relativen Wertes könnte auch bei konstantem oder fallendem Verbraucherpreisindex passieren.

Eine Erklärung dafür liegt in der Art und Weise, wie die Anpassung der Preise stattfindet. Viele Akteure streben danach, ihr Einkommen zu vergrößern. Im Fall von Angestellten und Arbeitern funktioniert das über individuelle Gehaltsverhandlungen, Jobwechsel und Gewerkschaften, die generell höhere Löhne durchsetzen wollen.

Auf Seite der Firmen geschieht dies nicht nur, aber eben auch, durch Preiserhöhungen. Sicher, ab und zu mag ein Händler seine Preise senken um mehr Kundschaft anzulocken. Diese Preissenkungen sind aber in der Regel eher ein Marketing-Gimmick und haben keine langfristigen Folgen auf den Trend der Preisentwicklung.

Wir sehen also, dass im Grunde alle Akteure danach trachten, ihre jeweiligen Preise zu erhöhen. Manch einer mag sich von Zeit zu Zeit dazu gezwungen sehen, seine Preise zu senken, aber das ist eher die Ausnahme. Kein Wunder also, dass Preisindizes insgesamt im Mittel nach oben gehen.

Eine Folge davon ist, dass das Einkommen von Akteuren, denen eine Preiserhöhung nicht gelingt, real sinkt. Selbst um das reale Einkommen einfach nur zu erhalten ist also eine permanente (wenn auch nicht sehr intensive) Anstrengung nötig, die jeweiligen Käufer davon zu überzeugen, das angebotene Gut auch zu einem höheren Preis zu kaufen - oder aber mehr Käufer zu finden und so weiter. Das ist die Red-Queen-Hypothese angewandt auf die Volkswirtschaft.

Und ist das nun gut oder schlecht? Darüber mag man streiten. Es ist genauso offensichtlich wie irrelevant, dass sehr schnelle Inflation zu chaotischen Zuständen führen kann und deshalb schlecht ist. Wo die Grenze zur zu schnellen Inflation liegt ist unklar, aber sie liegt vermutlich weit jenseits von 10%.

Ein Verfechter des freien Marktes sollte Inflation als Red-Queen-Hypothese jedenfalls grundsätzlich gut finden.

Unabhängig davon ob man Inflation gut oder schlecht findet ist die Frage, ob ein künstliches Anschieben oder Bekämpfen von Inflation hilfreich oder schädlich ist. Kann es die Preisfindung verbessern, wenn man künstlich Inflation erzeugt? Das hängt wahrscheinlich von vielen Faktoren ab, aber es erscheint mir grundsätzlich unwahrscheinlich, dass sich natürliche Preisfindungsprozesse durch ein aktives Eingreifen verbessern lassen. Da sind vermutlich "strukturelle" Veränderungen wie das Entstehen von Preisvergleichswebsites hilfreicher.

Umgekehrt könnte ein künstliches Unterdrücken der natürlichen Anpassungsprozesse, die zu Inflation führen, die Preisentwicklung verzerren. Es stellt sich durchaus die Frage, ob die EZB mit ihrem Inflationsziel von unter 2% nicht großen Schaden anrichtet angesichts der historischen Daten. Gerade zu den besten wirtschaftlichen Zeiten lag die Inflation in Deutschland regelmäßig eher bei 4% und darüber. Gut möglich, dass das einfach nur eine natürliche Begleiterscheinung einer gut florierenden Wirtschaft war, in der es zu lebhaften Preisanpassungen und ständigen Anpassungen der relativen Werte kam.

2 Kommentare:

Freiwirtschaftler hat gesagt…

Kurzsichtigkeit

"Der Kurzsichtige ist selbstsüchtig, der Weitsichtige wird in der Regel bald einsehen, dass im Gedeihen des Ganzen der eigene Nutz am besten verankert ist."

Silvio Gesell (Vorwort zur 3. Auflage der NWO, 1918)

Kurzsichtigkeit bedeutet, einer falschen Zinstheorie anzuhängen, die entweder unverdiente Knappheitsgewinne auf Kosten der Mehrarbeit anderer (Zinsen und Renditen) entschuldigt (klassischer Liberalismus) und daher gegenüber systemischer Ungerechtigkeit (Kapitalismus) blind macht, oder die Zinsen und Renditen nicht als Knappheitsgewinne versteht (klassischer Sozialismus) und daher den Privatkapitalismus mit Gewalt (Enteignung) bekämpfen will, was zwangsläufig zu Unfreiheit (Planwirtschaft) und noch größerer Ungerechtigkeit (Staatskapitalismus) führt.

Den Kurzsichtigen fehlt die Einsicht, dass bei selbstregulativer (gewaltfreier) Beseitigung leistungsloser Kapitaleinkommen nicht nur alle Zivilisationsprobleme (und die "Finanzkrise") ebenfalls eigendynamisch verschwinden, sondern auch ein ganz neues Zivilisationsniveau (Natürliche Wirtschaftsordnung = Marktwirtschaft ohne Kapitalismus) erreicht wird, weil verdiente Knappheitsgewinne aufgrund technologischer und kultureller Innovation nicht mehr durch unverdiente Knappheitsgewinne von Sparern, die sich für "große Investoren" halten, geschmälert werden.

Wissenschaftlich korrekt und einander ergänzend sind allein die Erklärungen des Zinses als Urzins (S. Gesell, 1916) oder als Liquiditäts(verzichts)prämie (J. M. Keynes, 1935), die beide von einer Überlegenheit des Geldes (Dauerhaftigkeit bzw. Liquiditätsvorteil) gegenüber den Waren ausgehen. Also muss dem liquiden Geld diese Überlegenheit durch eine staatliche Liquiditätsgebühr auf alles Zentralbankgeld (Bargeld plus Zentralbankguthaben der Geschäftsbanken) genommen werden, um den Geldumlauf zu verstetigen und die Währung durch eine direkte Geldmengensteuerung absolut stabil zu halten, sodass der Warenaustausch schnell, sicher und billig erfolgt, ohne dass die Geldbesitzer einen ungerechten Vorteil gegenüber den Warenproduzenten oder Arbeitern haben.

Wie eine solche konstruktive Geldumlaufsicherung technisch zu verwirklichen ist, war zur Zeit des "Auszugs der Israeliten aus Ägypten" noch unbekannt. Darum wurde die "Mutter aller Zivilisationsprobleme", die Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz, die bisher alle Hochkulturen und Weltreiche in der Geschichte der halbwegs zivilisierten Menschheit zerstörte, zuerst aus dem Begriffsvermögen des arbeitenden Volkes ausgeblendet, damit das, was wir "moderne Zivilisation" nennen, überhaupt entstehen konnte. Das – und nichts anderes – war (und ist noch) der ganze Zweck der Religion! Nur ein außergewöhnliches Genie wie Silvio Gesell konnte sowohl den elementaren Fehler im "Geld, wie es (noch) ist" als auch das fehlerfreie "Geld, wie es sein soll" verstehen, ohne die Religion verstanden zu haben:

http://opium-des-volkes.blogspot.com/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html

Nicolai Hähnle hat gesagt…

Ich bitte darum, die Off-Topic-Kommentare in Zukunft zu unterlassen.