Wenn jede Arbeitskraft in jedem Jahr genau einen Monat arbeitslos wäre, dann hätten wir, wie man leicht nachrechnen kann, eine Arbeitslosenrate von etwas mehr als 8%. Und wir hätten keine sozialen Probleme, die durch Arbeitslosigkeit entstehen.
Sicher, unsere Gesellschaft würde 8% des Arbeitspotentials verschwenden, und darüber sollte man sich ab und zu Gedanken machen. Aber einen Monat lang arbeitslos zu sein ist in der Regel kein Problem. Man kann diesen Monat zur Arbeitssuche nutzen und hat mehr Zeit für Familie und Urlaub.
In der Praxis bedeutet 8% Arbeitslosigkeit aber, dass die meisten Menschen Arbeit haben, während ein kleinerer Teil (nämlich 8% der Arbeitskräfte) über einen sehr langen Zeitraum arbeitslos ist. Das ist ein schwerer Schlag für die Betroffenen, einerseits wirtschaftlich wegen des fehlenden Einkommens, vor allem aber psychisch.
Für die meisten Menschen ist es peinlich, keine Arbeit zu finden. Sie reden im Allgemeinen nicht gerne darüber. Menschen sind aber auch sehr gut darin, sich mit unangenehmen Situationen abzufinden und sich einzubilden, dass sie es gar nicht anders wollen. So ist es nur verständlich, wenn einzelne Langzeitarbeitslose irgendwann sagen, dass sie mit ihrer Arbeitslosigkeit zufrieden sind. Sich dies nicht einzureden wäre für sie einfach zu schmerzhaft.
In der Praxis verteilen sich 8% Arbeitslosigkeit auch sehr unterschiedlich auf verschiedene Regionen und Milieus. Wenn die Arbeitslosenrate insgesamt bei 8% liegt, dann wird sie in einigen regional-sozialen Milieus über 20% oder noch höher liegen.
In diesen Milieus kann der Scham-Effekt dann relativ schnell aussterben. Wenn im Bekanntenkreis jeder Fünfte schon seit längerer Zeit keine Arbeit findet, dann wird Arbeitslosigkeit zur Normalität. Und dann verringern sich womöglich die Anstrengungen, die die Arbeitslosen innerhalb des Milieus bringen um wieder einen Job zu finden. Auf dieses Weise kann ein soziales Milieu durch eine anfangs erhöhte Arbeitslosigkeit in einen Teufelskreis abrutschen.
Konfrontation oder Kooperation?
Es ist heutzutage in der Mode, daraufhin bestenfalls die Achseln zu zucken, normalerweise aber die Betroffenen zu beschimpfen. Sollen sie sich doch mehr anstrengen, dann würden sie schon Arbeitsplätze finden! Diese Haltung ist äußerst ignorant.
Erstens ist hohe Arbeitslosigkeit immer auch ein makro-ökonomisches Phänomen an dem die Betroffenen selbst nichts ändern können. Wenn die Gesamtnachfrage nun mal zu gering ist um genügend Arbeitsplätze in der Wirtschaft insgesamt bereitzustellen, dann können die Arbeitslosen daran nichts ändern. Die "Tale of 100 Dogs and 95 Bones" illustriert dies mit einer anschaulichen Parabel.
Zweitens geht diese Haltung an der sozialen Realität der Betroffenen vollkommen vorbei. Ihre Lebenserfahrung ist nun einmal, dass es eben nicht einfach ist, einen Job zu finden, und dass Arbeitslosigkeit außerdem ein Normalzustand ist. Schöne Reden ändern daran nichts, und daher verpuffen Moralpredigten angesichts der realen Umstände wirkungslos.
Will man ganzen Milieus aus der Arbeitslosigkeitsspirale wirksam heraus helfen, dann muss man diese realen Umstände verändern. Konkret bedeutet das: Es muss für die Betroffenen einfacher werden, Arbeit zu finden.[1]
Erst wenn es für die Betroffenen wieder einfach genug ist, einen respektablen Job zu finden, kann es für sie peinlich werden, arbeitslos zu sein. Die Scham kann erst dann langsam zurückkehren, wenn sich die erfahrene Realität lange genug und signifikant genug verändert hat. Und wie macht man es einfach genug, einen Job zu finden? Die Antwort ist offensichtlich: indem man neue Jobs schafft.
Die Frage ist also: Wenn alle Beteiligten nur gewinnen können, indem man direkt neue Arbeitsplätze schafft - die Arbeitslosen, weil sie aus ihrer Situation herauskommen, und der Rest der Gesellschaft, weil er die Arbeitslosen nicht mehr unterstützen muss - warum wird es dann nicht getan?
Aber das ist eine andere Geschichte, die ein andermal (und anderswo) erzählt werden soll.
[1] Eine typische egoistische Reaktion auf diese Einsicht ist: "Wieso soll es den Arbeitslosen leicht gemacht werden? Ich habe mich doch auch angestrengt!" Aber auch diese Denkweise greift zu kurz. Wenn es für die jetzigen Arbeitslosen einfacher wird, einen Job zu finden, dann wirkt sich das natürlich auch für alle anderen positiv aus. Obwohl das eigentlich offensichtlich sein sollte erwähne ich es explizit, weil leider erfahrungsgemäß viele Menschen nicht so weit denken.
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