Dienstag, November 27, 2012

Die Job-Garantie, ein Jahr später

Ich bin davon überzeugt, dass Vollbeschäftigung das beste Sozialprogramm ist. Jeder, der arbeiten will soll auch problemlos eine gesellschaftlich sinnvolle und angemessen bezahlte Arbeit finden. Dadurch wächst die Freiheit in der Wahl der Arbeit, so dass langfristig unser Verständnis von Arbeit insgesamt fundamental transformiert werden kann.

Das hört sich für die meisten Menschen gut an. Leider bezweifeln viele, dass Vollbeschäftigung überhaupt erreicht werden kann. Deshalb will ich noch einmal über die Job-Garantie reflektieren, die ich vor etwas über einem Jahr schon einmal erklärt habe.

Die Grundidee der Job-Garantie ist einfach. Sie erzeugt einen Pool an offenen Stellen, der so groß ist, dass jeder eine Arbeit findet. Die Stellen werden von Ländern, Kommunen und gemeinnützigen Organisationen (zum Beispiel Sportvereine, Umweltverbände und wohltätige Organisationen) ausgeschrieben und zu einem gesetzlich festgelegten Stundenlohn mit Mindestlohn-Charakter bezahlt. Die wichtigsten Fakten zur Job-Garantie sind (siehe z.B. hier):
  • Wer arbeiten will und kann erhält von der Job-Garantie eine Stelle, unabhängig von seiner Ausbildung, seinem Lebenslauf, oder von der aktuellen wirtschaftlichen Lage.
  • Die Job-Garantie gibt den Menschen eine Möglichkeit, ihren Arbeitswillen konkret zu bezeugen, und wird zudem durch Weiterbildungs-Programme begleitet. Dadurch öffnet sich für die Beschäftigten der Weg in den privaten Arbeitsmarkt, und für private Unternehmen wird es einfacher, qualifizierte Beschäftigte zu finden.
  • Die Job-Garantie und der Privatsektor stehen nicht im Wettbewerb zueinander: Die Job-Garantie nimmt genau die Menschen auf, denen vom Privatsektor kein angemessener Arbeitsplatz angeboten wird.
  • Im Gegensatz zu klassischen Konjunkturprogrammen gibt es bei der Job-Garantie keine Inflationsgefahr, weil der ausgezahlte Lohn gesetzlich fixiert ist.
  • Die Richtlinien für die Job-Garantie - also zum Beispiel die Höhe des Lohns und die Kriterien für Ausschreibungen - werden zentral festgelegt, aber die einzelnen Stellen werden vor Ort durch die jeweiligen Ländern, Kommunen und gemeinnützigen Organisationen angeboten und verwaltet.
  • Die Job-Garantie wird von zentraler Stelle finanziert.
Der letzte Punkt ist besonders wichtig. Die Idee der Job-Garantie basiert unter anderem auf der Einsicht, dass es einerseits Millionen von Menschen gibt, die gerne einer sinnvollen Arbeit nachgehen würden, und dass es andererseits viele für die Gesellschaft sinnvollen Arbeiten gibt, die getan werden könnten. Das Problem ist, dass den Kommunen und gemeinnützigen Organisationen, die diese Arbeiten normalerweise durchführen würden, das Geld dazu fehlt. Die Job-Garantie überbrückt ganz gezielt diese Finanzierungslücke.

Ich möchte auch den Unterschied zu klassischen "keynesianischen" Konjunkturprogrammen betonen. Klassische Konjunkturprogramme werden gefordert, wenn produktive Kapazitäten in der Volkswirtschaft brach liegen. Die Politik legt dabei Projekte fest, die umgesetzt werden sollen, und geht dann auf den Markt, um diese Projekte "zu kaufen". Sie legt sich also von vornherein auf die Art und die Anzahl der Projekte fest, nicht aber auf deren Preis. Wenn die Politik dabei das Angebot überschätzt, dann steigt der Preis, und das kann sich auf das allgemeine Preisniveau auswirken.

Die Job-Garantie umgeht dieses Problem, indem sich die Politik nicht auf die Art und Anzahl der Projekte festlegt, sondern auf ihren Preis. Indem der Preis - genauer: der Lohn, der für Beschäftigte in der Job-Garantie gezahlt wird - politisch festgelegt wird, können die Preise nicht überraschend ansteigen, eine Inflationsgefahr gibt es daher nicht. Diese theoretische Überlegung wird auch durch ökonometrische Simulationen belegt.

Alles in allem bietet uns die Job-Garantie einen aus ökonomischer Perspektive realistischen Weg, um Arbeitslosigkeit grundsätzlich abzuschaffen. Gleichzeitig kann sie eine positive Transformation unserer Gesellschaft auslösen, indem Arbeit, die von gesellschaftlichem Nutzen ist, auch finanziell angemessen honoriert wird.

Mittwoch, November 14, 2012

Vollbeschäftigung

Ich rede und streite gerne und viel über die Zukunft unserer Gesellschaft. Wie sieht die Zukunft aus? Wie können wir die Zukunft besser machen? In mir wächst die Überzeugung, dass wir ein ganz zentrales Thema im öffentlichen Diskurs permanent verankern müssen, das dort heute fehlt. Dieses Thema ist die Vollbeschäftigung.

Beim Wort Vollbeschäftigung denkt sich der ein oder andere erfahrungsgemäß: Ist doch Quatsch, dass jeder arbeiten soll. Darum geht es auch gar nicht. Vollbeschäftigung heißt nicht, dass jeder arbeitet. Vollbeschäftigung heißt, dass jeder, der arbeiten will auch eine reguläre, angemessen bezahlte und nützliche Arbeit findet. Die Gesellschaft soll jedem die Möglichkeit geben, sich sinnvoll und Sinn stiftend einzubringen.

Viele glauben, das sei unrealistisch, weil es gar nicht genug zu tun gäbe. Aber nüchtern betrachtet sehen wir auf der einen Seite Millionen von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten. Auf der anderen Seite sehen wir so viele nützliche Dinge, die getan werden könnten, in Infrastruktur, in Betreuung, in Bildung, in Kunst und Kultur - diese beiden Seiten müsste man nur zusammen bringen.

Der Vorteile wären viele. Der nächstliegende Vorteil ist die Abschaffung der Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit ist auf vielen Ebenen ein Verlust, für die betroffenen Menschen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Für die betroffenen Menschen, weil sie in Armut führt, weil sie den Menschen das zermürbende Gefühl gibt, nicht gebraucht zu werden. Die Gesellschaft verliert, weil sie auf die Arbeit dieser Menschen verzichtet. Dadurch geht Potential für reale Wertschöpfung für immer verloren. Im Gegensatz dazu wird dieses Potential durch die Vollbeschäftigung sinnvoll genutzt.

Darüber hinaus gibt es sekundäre Vorteile. Wer eine Arbeit mit einem regulären Einkommen hat wird weniger strafanfällig. Für Kinder macht es einen ganz wesentlichen Unterschied in der Entwicklung, ob die Erwachsenen in ihrer Familie morgens früh aufstehen und zur Arbeit gehen oder nicht.

Vollbeschäftigung bietet auch Sicherheit. Wer weiß, dass er im Zweifelsfall leicht wieder eine Arbeit und damit ein reguläres Einkommen finden kann, der hat im Leben weniger Sorgen. Das stärkt auch die Position der Arbeitnehmer in Lohn- und Gehaltsverhandlungen, was wiederum dazu führt, dass sich die Löhne und Gehälter wieder angemessen entwickeln.

Vollbeschäftigung ist ein Thema, das eigentlich auf breiten Rückhalt in der Bevölkerung stoßen müsste, auch wenn es heute in den Medien kaum ein Thema ist. Warum ist es heute kaum ein Thema? Und was ist also zu tun?

Zum einen liegt die Erklärung sicherlich in der Funktionsweise der Medien. Damit ein Thema in den Medien erscheint, muss es von außen an die Medien heran getragen werden. Offenbar setzen selbst die Parteien und Verbände, insbesondere Gewerkschaften, die eigentlich natürliche Verbündete sein müssten, das Thema Vollbeschäftigung nicht auf die Agenda. Wir müssen hier selbst aktiv werden und ein breites gesellschaftliches Bündnis für Vollbeschäftigung schaffen.

Zum anderen vermute ich - auch wenn ich keine genauen Zahlen kenne - dass viele Menschen nicht mehr an Vollbeschäftigung glauben. Sie denken, dass es unmöglich wäre, diese zu erreichen. Wir müssen den Menschen also auch konkrete Modelle bieten, mit denen Vollbeschäftigung real implementiert werden kann. Mein persönlicher Favorit dafür ist die von Ökonomen wie Bill Mitchell, Randall Wray und Warren Mosler entwickelte Job-Garantie, aber ich würde mich über eine lebhafte Diskussion über verschiedene, ernst gemeinte Modelle freuen.

Wie auch immer die Strategie aussehen mag, ich will Vollbeschäftigung als universelles gesellschaftliches Ziel im Bewusstsein der Menschen verankert sehen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es ist eine Vision für die es zu kämpfen wert ist.

Samstag, Juni 30, 2012

Mikrophon-Ärger mit Skype unter Linux

Ich verwende auf meinem Laptop Debian, und ich konnte Skype zwar problemlos installieren; leider hat das Mikrophon unter Skype nicht funktioniert. In allen anderen Anwendungen hat das Mikrophon einwandfrei funktioniert, nur in Skype kam aus irgendeinem Grund nichts an.

Lange Zeit war mir das egal, weil ich Skype nur selten benutze, aber jetzt kam der Punkt, an dem ich mich doch auf die Suche begeben habe, und so dokumentiere ich hier meine "Lösung" des Problems für die Zukunft und für andere.

Der Hintergrund der Lösung ist folgender. Unter Linux hat sich ein Audiosystem namens Pulseaudio auf dem Desktop de facto durchgesetzt. Pulseaudio kennt Audio-Quellen (z.B. das Mikrophon) und Audio-Senken (z.B. Lautsprecher). Anwendungen verbinden sich mit dem Pulseaudio-System und haken sich entweder an Audio-Quellen, um Ton aufzunehmen oder an Audio-Senken, um Ton auszugeben, oder (wie z.B. im Fall von Skype) beides.

Mein System - und wahrscheinlich so ziemlich jedes System - hat zwei Audio-Quellen. Die eine Quelle ist das Mikrophon, die andere Quelle ist eine Monitor-Quelle. Die Monitor-Quelle ist einfach ein Loopback dessen, was über den Lautsprecher ausgegeben wird. Das ermöglicht es Anwendungen, die Tonausgabe des Rechners aufzuzeichnen.

Skype hat den großartigen Bug, dass es sich ausgerechnet auf meinem System nicht an das Mikrophon hängt, sondern an den Monitor. Das kann natürlich nicht funktionieren.

Zum Glück gibt es ein Programm, mit dem man die dummen Entscheidungen von Anwendungsprogrammen als Anwender manuell überschreiben kann. Das geht sogar graphisch. Das Tool heißt pavucontrol. Es ist schnell installiert und hat eine einfache graphische Oberfläche, über die ich Skype nun beibringen kann, dass es bitteschön meinem Mikrophon zuhören soll.

Also: -1 für einen idiotischen Bug in Skype, +1 für Pulseaudio, das einen angemessenen Workaround erlaubt und genau so funktioniert, wie es soll.

Mittwoch, April 18, 2012

Warum wir ein langfristiges Haushaltsdefizit brauchen

John Maynard Keynes ist berühmt für seine Forderung, dass das Haushaltsdefizit des Staates antizyklisch sein soll. In Zeiten der Rezession soll die Nachfrage mit einem hohen Defizit angekurbelt werden, und diese Maßnahmen sollen in Zeiten des Booms wieder zurückgefahren werden. Das ist vernünftig. Aber heute wird oft gefordert, dass während eines Booms Haushaltsüberschüsse gefahren werden sollen, so dass Defizit und Überschuss sich langfristig gegenseitig ausgleichen. Diese Forderung geht hinten und vorne einfach nicht auf, sie ist geradezu gefährlich.

Wir brauchen langfristig ein staatliches Haushaltsdefizit von wenigen Prozent des BIP. Das bedeutet in schlechten Zeiten ein noch größeres Haushaltsdefizit und in guten Zeiten ein kleineres Haushaltsdefizit, manchmal vielleicht auch einen Überschuss, aber im langfristigen Mittel muss ein Defizit herauskommen, und die Begründung ist so einfach, dass sie wirklich jeder verstehen kann.

Wir alle finden es als Privatleute gut, wenn wir Vermögen aufbauen können. Vermögen bedeutet Sicherheit, es bedeutet, dass wir uns ab und zu etwas Größeres leisten können, und es bedeutet zusätzliche Vorsorge fürs Alter. In unserer monetarisierten Welt ist dieses Vermögen zu einem sehr großen Teil Geldvermögen. Jedem Geldvermögen steht per Definition die Verbindlichkeit eines anderen Wirtschaftsteilnehmers gegenüber. Das kann die Verbindlichkeit einer Firma bzw. eines Unternehmers sein in Form eines Bankkredits oder einer Unternehmensanleihe, oder eine Verbindlichkeit des Staates in Form einer Staatsanleihe.

Unser aller privates Streben nach Geldvermögen ist so groß, dass die Verbindlichkeiten des privaten Sektors alleine nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Wenn man alle Geldvermögen im privaten Sektor aufsummiert und die Verbindlichkeiten gegenrechnet, dann bleibt ein Betrag übrig: das Netto-Geldvermögen des privaten Sektors.

Erfahrungsgemäß verlangt der private Sektor Netto-Geldvermögen in Höhe von 30% bis 250% des BIP. Ein Teil davon kann durch Verbindlichkeiten des Auslands gedeckt sein, aber am Ende des Tages muss der größte Teil dieser Verbindlichkeiten von der Regierung gehalten werden. Verbindlichkeiten des Staates, vulgo Staatsschulden, sind also notwendig.

Was würde passieren, wenn der Staatshaushalt wirklich langfristig ausgeglichen wäre? Lasst uns ein Gedankenexperiment wagen, in dem wir die folgenden Beispielzahlen annehmen.

BIP im 1. Jahr: 1.000 Mrd. #
Netto-Geldvermögen des privaten Sektors im 1. Jahr: 800 Mrd. # = 80% des BIP
Jährliches reales Wirtschaftswachstum im Durchschnitt: 1%
Inflation im Durchschnitt: 1,8%

Wenn wir mit diesen Annahmen rechnen, also einem sehr moderaten Wirtschaftswachstum und einer Inflation, die der aktuellen Zielsetzung der EZB entspricht, und weiter annehmen, dass der Staatshaushalt im Durchschnitt ausgeglichen ist, erhalten wir folgendes Ergebnis nach 25 Jahren:

BIP im 26. Jahr: 1.994 Mrd. #
Netto-Geldvermögen des privaten Sektors im 26. Jahr: 800 Mrd. # = 40% des BIP

Wir sehen also, dass der private Sektor langfristig deutlich weniger Netto-Geldvermögen zur Verfügung hätte, bezogen auf die wirtschaftliche Gesamtlage. Die Menschen wären wahrscheinlich insgesamt ärmer, und das Schrumpfen der relativen Netto-Geldvermögen von 80% auf 40% wäre wahrscheinlich ein sehr schmerzhafter Anpassungsprozess.

Nach weiteren 25 Jahren wäre das Netto-Geldvermögen des privaten Sektors nur noch bei 20% des BIP, ein unvorstellbar niedriger Wert. Solange sich der Wunsch des privaten Sektors nach Netto-Geldvermögen nicht ändert, ist ein langfristiges Haushaltsdefizit notwendig, um die Netto-Geldvermögen aufrecht zu erhalten. In unserem konkreten Beispiel ist ein Haushaltsdefizit in Höhe von 2,18% des BIP notwendig, wie in den folgenden Grafiken veranschaulicht wird.




Kann sich der Wunsch nach Netto-Geldvermögen ändern? Natürlich. Aber wir müssen bedenken, dass sich dieser Wunsch zu großen Teilen aus einem Wunsch nach wirtschaftlicher Sicherheit speist. Wer einfach blind den Haushalt kürzt, der erzeugt Arbeitslosigkeit. Dadurch werden die Menschen weiter verunsichert.

Eine Alternative wäre die von Vertretern der Modern Monetary Theory vorgeschlagene Job-Garantie. Diese gibt den Menschen Sicherheit, und so ist denkbar, dass der Wunsch nach Netto-Geldvermögen durch ihre Einführung sinken wird. Dann wird für einige Zeit ein kleineres Haushaltsdefizit möglich, während dieser Anpassungsprozess stattfindet. Aber solange der Wunsch nach Netto-Geldvermögen nicht auf Null sinkt, wird langfristig immer im Durchschnitt ein Haushaltsdefizit notwendig sein.