Wie zwei der jüngeren Posts auf diesem Blog erkennen lassen, habe ich mich in jüngerer Zeit mit der Funktionsweise von Geld beschäftigt. Außerdem bin ich begeisterter Leser der Süddeutschen Zeitung via e-Paper-Abonnement.
Diese beiden Umstände sind in den letzten Wochen zunehmend in Konflikt geraten, da beim Lesen der Zeitung recht schnell erkennbar wird, dass die darin zitierten Politiker und "Experten", aber auch die Redakteure selbst, auf der grundlegensten Ebene ganz offensichtlich nicht verstehen, wie ein modernes Fiat-Geldsystem funktioniert. Das ist insofern verständlich als sich da vor 40 Jahren ganz massiv etwas verändert hat und diese Menschen zum Großteil bei anderen Menschen gelernt haben, für die wiederum diese Umstellung zu spät im Leben kam um noch umzudenken.
Trotzdem löst es Reaktionen aus die mich dazu bewogen haben, Dampf auf einem neuen Blog abzulassen. Auf einem neuen Blog deshalb, weil ich die fast, aber nicht ganz, immer länger überdachten und meist länger editierten Beiträge hier nicht mit kurzfristig geschriebenen Kommentaren zur jeweiligen SZ des Tages verwässern möchte.
Es ist ein Experiment, und ich weiß noch nicht, wie lange ich es durchziehen werde. Normalerweise bin ich ein Mensch, dessen Zorn schnell verebbt und der schnell vergibt, aber vielleicht beiße ich mich an dem Thema ja auch fest. Wir werden sehen.
Lerne, wie die Welt wirklich ist, aber vergiss niemals, wie sie sein sollte.
Donnerstag, September 30, 2010
Sonntag, September 19, 2010
Verstaatlicht die Stromnetze!
Am Dienstag las ich einen aufmunternden Artikel auf Seite Drei der SZ über ein ansonsten eher unbekanntes Dorf namens Dardesheim. Laut Artikel erzeugt Dardesheim mit Windkraft an guten Tagen das 40fache seines Energieverbrauchs, und der Kommune geht es durch die Windkraft finanziell so gut wie nur wenigen anderen im Land. Das alles geschieht in einer Zeit, in der die Bundesregierung in Sachen Energiekonzepte stolz ihre Vorvorgestrigkeit demonstriert.
Eine Zukunft mit erneuerbaren Energien ist realistisch, wird hier die frohe Botschaft am lebenden Beispiel verkündet.
Erneuerbare Energien sind aber auch eine technische Herausforderung für die Stromnetze. Der Wind lässt sich nicht kontrollieren, und es ist eine Schande, wenn Windräder stillgelegt werden müssen, weil die Stromnetze nicht in der Lage sind, die Kapazitätsspitzen abzutransportieren, oder weil überschüssige Energie nicht gespeichert werden kann.
Diese Probleme zu lösen ist technisch machbar, erfordert aber natürlich signifikante Infrastrukturinvestitionen - und das ist das Problem. Die Infrastruktur steckt nämlich fest in den Händen der Betreiber der Kraftwerke von gestern. Investitionen in Infrastruktur, die erneuerbare Energien nützlicher machen würden, sind nicht in deren Interesse.
Und gerade die politischen Parteien, die immer am lautesten von Marktwirtschaft posaunen, zeigen in dieser für unsere Zukunft so zentralen Situation, dass sie von Marktwirtschaft eigentlich überhaupt nichts verstehen.
Was bedeutet Marktwirtschaft denn aus demokratischer Perspektive?
Demokratische Marktwirtschaft bedeutet, dass der Staat den Markt so gestaltet, dass die Teilnehmer darauf gegeneinander ausgespielt werden um dadurch das beste Ergebnis für die Bürger des Landes zu erzielen.
Damit das im Fall der Stromversorgung funktionieren kann, muss der Staat die physikalische Infrastruktur des Marktes - sprich: die Stromnetze - direkt kontrollieren können.
Deswegen fordere ich auch nicht eine Verstaatlichung der Atomkraftwerke. Dafür gäbe es zwar auch gute Gründe, aber zumindest die Perspektive der Marktgestaltung ist kein Argument dafür.
Eine Verstaatlichung der Stromnetze ist dagegen notwendig für einen funktionierenden Markt in der Stromversorgung.
Das sage ich zwar schon seit Jahren, aber gerade jetzt stehen die Zeichen dafür besonders günstig. Ein drastischer Ausbau der Netzleitungen mit Blick auf die zu erwartenden Verbrauchs- und Erzeugungsmuster von erneuerbaren Energien, sowie der Bau von Speicherkraftwerken im ganzen Land, ist schon lange überfällig. Gerade während einer Wirtschaftskrise bietet es sich an, dass der Staat massiv in Infrastruktur investiert um so die Nachfrage zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen.
Damit könnten wir die Krise abschütteln und gleichzeitig die Stromnetze reif fürs 21. Jahrhunderte machen. Aber dazu müsste die gängige Politik endlich die selbst auferlegten Denkblockaden abschütteln und wieder zu Visionen zurückfinden...
Eine Zukunft mit erneuerbaren Energien ist realistisch, wird hier die frohe Botschaft am lebenden Beispiel verkündet.
Erneuerbare Energien sind aber auch eine technische Herausforderung für die Stromnetze. Der Wind lässt sich nicht kontrollieren, und es ist eine Schande, wenn Windräder stillgelegt werden müssen, weil die Stromnetze nicht in der Lage sind, die Kapazitätsspitzen abzutransportieren, oder weil überschüssige Energie nicht gespeichert werden kann.
Diese Probleme zu lösen ist technisch machbar, erfordert aber natürlich signifikante Infrastrukturinvestitionen - und das ist das Problem. Die Infrastruktur steckt nämlich fest in den Händen der Betreiber der Kraftwerke von gestern. Investitionen in Infrastruktur, die erneuerbare Energien nützlicher machen würden, sind nicht in deren Interesse.
Und gerade die politischen Parteien, die immer am lautesten von Marktwirtschaft posaunen, zeigen in dieser für unsere Zukunft so zentralen Situation, dass sie von Marktwirtschaft eigentlich überhaupt nichts verstehen.
Was bedeutet Marktwirtschaft denn aus demokratischer Perspektive?
Demokratische Marktwirtschaft bedeutet, dass der Staat den Markt so gestaltet, dass die Teilnehmer darauf gegeneinander ausgespielt werden um dadurch das beste Ergebnis für die Bürger des Landes zu erzielen.
Damit das im Fall der Stromversorgung funktionieren kann, muss der Staat die physikalische Infrastruktur des Marktes - sprich: die Stromnetze - direkt kontrollieren können.
Deswegen fordere ich auch nicht eine Verstaatlichung der Atomkraftwerke. Dafür gäbe es zwar auch gute Gründe, aber zumindest die Perspektive der Marktgestaltung ist kein Argument dafür.
Eine Verstaatlichung der Stromnetze ist dagegen notwendig für einen funktionierenden Markt in der Stromversorgung.
Das sage ich zwar schon seit Jahren, aber gerade jetzt stehen die Zeichen dafür besonders günstig. Ein drastischer Ausbau der Netzleitungen mit Blick auf die zu erwartenden Verbrauchs- und Erzeugungsmuster von erneuerbaren Energien, sowie der Bau von Speicherkraftwerken im ganzen Land, ist schon lange überfällig. Gerade während einer Wirtschaftskrise bietet es sich an, dass der Staat massiv in Infrastruktur investiert um so die Nachfrage zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen.
Damit könnten wir die Krise abschütteln und gleichzeitig die Stromnetze reif fürs 21. Jahrhunderte machen. Aber dazu müsste die gängige Politik endlich die selbst auferlegten Denkblockaden abschütteln und wieder zu Visionen zurückfinden...
Montag, September 13, 2010
Joint Comedy
Ende letzter Woche fand in Fribourg (Vorsicht, Verwechslungsgefahr) der Schweizer Joint Operations Research Day statt, der trotz seines Namens höchstens mit Mathematik und Informatik, nicht aber mit Drogen zu tun hat. Organisiert von der Schweizer Vereinigung für Operations Research, die selbstverständlich stets auf die paritätische Sprachverteilung achtet, tummelten wir uns zwei Tage lang, eine dritte Sprache nutzend, auf bilingualem Terrain.
Auf dieser Zweitagung erzählten Forscher und Praktiker aus dem Gebiet des Operations Research über ihre Aktivitäten. Zum großen Teil war das eher unspannend, weil viele Vorträge einfach nur zum Xten Mal über eine IP- oder QP-Formulierung für Kaffeesatzleserei erzählten. Natürlich waren auch sehr schöne Vorträge zu genießen, zum Beispiel von Michael Bürgisser über eine Verbindung zwischen konvexer Optimierung und Machine Learning, genauer gesagt zum Hedge-Algorithmus, einer multiplikativen Update-Regel analog zum Weighted Majority Algorithmus.
Den Vogel abgeschossen haben zwei Figuren von IBM, die knallhart vor einem akademischen Publikum Vorträge mit "Management-Folien" durchgezogen haben. Vor dem Hintergrund von mit hunderten Worten vollgeschriebenen PowerPoint-Folien, die garantiert nie ein Mensch zuvor gelesen hatte, schwurbelten sie ihre Buzzwords durcheinander.
Das Einzige, was dabei an Botschaft durchgekommen ist, ist dass sie mit mathematischen Methoden die Einteilung ihrer Mitarbeiter auf Projekte verbessern wollen. Die inhumane Betrachtungsweise dieses legitimen Problems, die dabei durchschimmerte, übt eine gewisse soziopathische Faszination aus. Den Vortragenden ist das aber anscheinend gar nicht mehr aufgefallen, zumindest würde ich das aus der Frage- und Antwort-Session am Ende eines der Vorträge schließen. In solchen Momenten frage ich mich, ob ich nicht doch Soziologie hätte studieren sollen.
Legitim ist das geschilderte Problem insofern, als sich die beiden zwischen den Zeilen auch darüber beschwert haben, dass es für das Management schwierig ist zu wissen und zu verstehen, was IBM überhaupt weiß bzw. versteht. Wenn alle Vorträge auf Management-Ebene so aussehen wie diese Kostprobe, dann überrascht mich das wenig: solche Folien erstellt nur jemand, dem es nicht um Inhalte geht.
Insgesamt gehört dieses Phänomen wohl zu einer breiteren Strömung, die versucht, Intelligenz durch Business Intelligence zu ersetzen - so lange bis einer heult. Ich hoffe, dass dabei nicht zu viel kaputt geht.
Ich war jedenfalls sehr amüsiert angesichts dieser unfreiwillig selbstparodierenden Vorträge. Es lässt sich schwer in Worte fassen, wie bizarr diese Erfahrung war. Wer in Paderborn einmal eine Winfo-Vorlesung von Prof. Fischer besucht hat, kann sich vielleicht ein Bild davon machen.
Am Donnerstagabend waren wir zu einem opulenten Abendessen in Murten eingeladen, worüber wir erst hinterher murrten. Der Koch verstand zwar wohl sein Handwerk, nichts aber von gutem Geschmack. Ich würde jedenfalls jederzeit eine ordentliche Portion Rösti halbgekochten Aprikosen zum Fleisch vorziehen.
Ausgeglichen wurde das durch den soliden Riecher des Kochs der Uni-Mensa am Freitagmittag. Alles in allem war es eine sehr willkommene, amüsante, und nebenbei auch teils lehrreiche Ablenkung vom Alltag.
Auf dieser Zweitagung erzählten Forscher und Praktiker aus dem Gebiet des Operations Research über ihre Aktivitäten. Zum großen Teil war das eher unspannend, weil viele Vorträge einfach nur zum Xten Mal über eine IP- oder QP-Formulierung für Kaffeesatzleserei erzählten. Natürlich waren auch sehr schöne Vorträge zu genießen, zum Beispiel von Michael Bürgisser über eine Verbindung zwischen konvexer Optimierung und Machine Learning, genauer gesagt zum Hedge-Algorithmus, einer multiplikativen Update-Regel analog zum Weighted Majority Algorithmus.
Den Vogel abgeschossen haben zwei Figuren von IBM, die knallhart vor einem akademischen Publikum Vorträge mit "Management-Folien" durchgezogen haben. Vor dem Hintergrund von mit hunderten Worten vollgeschriebenen PowerPoint-Folien, die garantiert nie ein Mensch zuvor gelesen hatte, schwurbelten sie ihre Buzzwords durcheinander.
Das Einzige, was dabei an Botschaft durchgekommen ist, ist dass sie mit mathematischen Methoden die Einteilung ihrer Mitarbeiter auf Projekte verbessern wollen. Die inhumane Betrachtungsweise dieses legitimen Problems, die dabei durchschimmerte, übt eine gewisse soziopathische Faszination aus. Den Vortragenden ist das aber anscheinend gar nicht mehr aufgefallen, zumindest würde ich das aus der Frage- und Antwort-Session am Ende eines der Vorträge schließen. In solchen Momenten frage ich mich, ob ich nicht doch Soziologie hätte studieren sollen.
Legitim ist das geschilderte Problem insofern, als sich die beiden zwischen den Zeilen auch darüber beschwert haben, dass es für das Management schwierig ist zu wissen und zu verstehen, was IBM überhaupt weiß bzw. versteht. Wenn alle Vorträge auf Management-Ebene so aussehen wie diese Kostprobe, dann überrascht mich das wenig: solche Folien erstellt nur jemand, dem es nicht um Inhalte geht.
Insgesamt gehört dieses Phänomen wohl zu einer breiteren Strömung, die versucht, Intelligenz durch Business Intelligence zu ersetzen - so lange bis einer heult. Ich hoffe, dass dabei nicht zu viel kaputt geht.
Ich war jedenfalls sehr amüsiert angesichts dieser unfreiwillig selbstparodierenden Vorträge. Es lässt sich schwer in Worte fassen, wie bizarr diese Erfahrung war. Wer in Paderborn einmal eine Winfo-Vorlesung von Prof. Fischer besucht hat, kann sich vielleicht ein Bild davon machen.
Am Donnerstagabend waren wir zu einem opulenten Abendessen in Murten eingeladen, worüber wir erst hinterher murrten. Der Koch verstand zwar wohl sein Handwerk, nichts aber von gutem Geschmack. Ich würde jedenfalls jederzeit eine ordentliche Portion Rösti halbgekochten Aprikosen zum Fleisch vorziehen.
Ausgeglichen wurde das durch den soliden Riecher des Kochs der Uni-Mensa am Freitagmittag. Alles in allem war es eine sehr willkommene, amüsante, und nebenbei auch teils lehrreiche Ablenkung vom Alltag.
Freitag, September 10, 2010
Echte und imaginäre Schuldenprobleme
Ende letzter Woche geisterte eine Meldung des IWF durch die Medien, überwiegend vollkommen unreflektiert. Eine angenehme Ausnahme dazu war der Telepolis-Artikel zum Thema, dessen Autor über einige Ungereimtheiten in der Darstellung des IWF gestolpert ist.
Warum, kann man sich ja auch als Laie fragen, lebt Japan eigentlich schon seit langem mit Staatsschulden von weit über 100% des Bruttoinlandsproduktes ohne in Zahlungsverzug zu kommen, obwohl doch der IWF behauptet, 90% seien das tolerierbare Maximum? Und woher kommt überhaupt diese Grenze von 90%?
Die Modern Monetary Theory, mit der ich mich seit kurzem nebenbei beschäftige, scheint auch ein ziemlich vernichtendes Urteil über die Analysen des IWF auszusprechen, und also werde ich ein bißchen dazu ausschweifen, und wenn es nur ist, um jemanden hervorzulocken, der einen Fehler in der Logik finden kann. Vorsicht, es wird mal wieder länger.
Die IWF-Meldung ist so formuliert, als könne man Länder wie Irland, Griechenland oder Deutschland in eine Reihe mit Ländern wie die USA, Japan oder Island stellen. Laut Modern Monetary Theory kann das nur jemand behaupten, der die jeweiligen Geldsysteme nicht richtig versteht.
Die Länder der ersten Gruppe verwenden den Euro, den sie nicht kontrollieren. Die Regierungen dieser Länder unterliegen Budgetconstraints wie ein privater Haushalt und können daher insolvent werden. Diese Länder sind geldtechnisch eher mit US-Bundesstaaten oder mit den Haushalten der Kommunen zu vergleichen als mit souveränen Staaten.
Die Länder der zweiten Gruppe haben dagegen ihre eigene Währung, die sie jeweils monopolartig kontrollieren und die auf dem internationalen Markt frei gehandelt wird. Per Definition sind die Regierungen dieser Länder in ihrer eigenen Währung immer solvent, unabhängig davon, wie groß die Staatsschulden oder das Defizit sind. Wenn diese Regierungen ihre Schulden nicht begleichen würden, so wäre dies eine rein politische Entscheidung, die keinem grundlegenden Zwang unterliegen würde.
Das klingt nun erstmal unintuitiv, weil wir aus unserem persönlichen Alltag wissen, dass wir nicht beliebig solvent sind. Aber gelten die gleichen Grenzen auch für einen geldsouveränen Staat? Vielleicht sollten wir uns die Frage stellen, was Staatsschulden eigentlich sind. Dabei hilft zunächst eine andere Frage weiter: Was macht eigentlich eine Zentralbank in einem Fiat-Geldsystem?
Das ist eine interessante Frage. Sehen wir uns eine sehr typische Antwort an, die jemand auf Wikipedia geschrieben hat: Eine Zentralbank (auch Notenbank, Zentralnotenbank oder zentrale Notenbank) ist eine für die Geld- und Währungspolitik eines Währungsraums oder Staates zuständige Institution. In entwickelten Staaten ist das Hauptziel der Zentralbanken die Preisniveau- und Geldwertstabilität. Eine Zentralbank hält die Währungsreserve eines Währungsraumes, refinanziert Geschäftsbanken und den Staat. [...]
Diese Antwort gibt leider ein alles anderes als klares Bild von der Funktion einer Zentralbank. Dabei ist die Antwort im Grunde sehr banal. Als allererstes ist die Zentralbank eine Bank - und zwar die Bank, die "alles" Geld verwaltet. (Wenn die Familie aus meinem letzten Post zu diesem Thema ihre Coupons elektronisch in einer Tabellenkalkulation verwalten würde, dann wäre die Zentralbank die Institution, die die Tabelle verwaltet.)
Jede Bank hat ein Konto bei der Zentralbank.
Wenn die Regierung mir Geld gibt, dann erhöht die Zentralbank den Kontostand meiner Bank bei der Zentralbank um den entsprechenden Betrag und weist meine Bank an, ihre internen Tabellen auch entsprechend anzugleichen.
Wenn ich an die Regierung Steuern oder Gebühren bezahle, dann reduziert die Zentralbank den Kontostand meiner Bank bei der Zentralbank um den entsprechenden Betrag und weist meine Bank an, ihre internen Tabellen auch entsprechend anzugleichen.
Wenn ich Geld an Frau XX überweise, deren Konto bei der gleichen Bank liegt, dann passt die Bank ihre internen Tabellen an und auf Ebene der Zentralbank passiert nichts.
Wenn ich Geld an Herrn XY überweise, dessen Konto bei einer anderen Bank liegt, dann überweist meine Bank den entsprechenden Betrag von ihrem Konto bei der Zentralbank auf das Zentralbank-Konto der Bank von Herrn XY, und beide Banken passen ihre internen Tabellen an.
Natürlich ist das eine Vereinfachung; aus Praxis- und Buchhaltungsgründen können irgendwo mehr Schritte versteckt sein. Zum Beispiel können Banken ihre Geschäfte untereinander bündeln, und lediglich einmal am Tag gegenrechnen, was sie sich schulden. So fällt auf Zentralbankebene weniger Verwaltungsaufwand durch Überweisungen an. Aber funktional passiert alles genau wie beschrieben, so weit es für das Zusammenspiel von öffentlichem (Regierungs-)Sektor und privatem Sektor im Hinblick auf Geld relevant ist.
Beobachtung: Die Regierung benötigt kein Konto bei der Zentralbank. Dass geldsouveräne Regierungen in der Praxis trotzdem ein Konto bei der Zentralbank haben, hat wohl primär historische und politische Gründe, wobei es sicher auch zur Buchhaltung praktisch sein kann. Zwingend ist es jedenfalls nicht.
Beobachtung: Geld kann die Zentralbank niemals verlassen. Alles Geld, das jemals von der Regierung (bzw. der Zentralbank) in Umlauf gebracht wurde, bleibt immer auf einem Konto bei der Zentralbank liegen, bis es wieder von der Regierung (bzw. der Zentralbank) eingezogen wird.
Was ist also das "Geld", das auf unseren privaten Konten liegt? Es ist sekundäres Geld. Konkret ist es eine Verpflichtung der Bank uns gegenüber. Die Bank garantiert uns, dass wir mit diesem "Geld" so verfahren können, als wäre es Geld ohne Anführungszeichen.
Das Faszinierende dabei ist, dass praktisch alles "Geld", das im Umlauf ist, in Wirklichkeit sekundäres Geld ist. Die Folge ist, dass es Definitionen von Geldmenge praktisch wie Sand am Meer gibt. Eine gute Faustregel ist daher: Wenn jemand von "Geldmenge" redet, sollte man vorsichtig sein. Mit nicht vernachlässigbarer Wahrscheinlichkeit weiß derjenige selbst nicht genau, wovon er eigentlich redet, und man sollte seine Behauptungen kritisch darauf prüfen, ob sie einer logischen Untersuchung standhalten, und ob nicht womöglich fehlerhafte Annahmen zugrundeliegen.
Diese Warnung gilt übrigens auch für mich selbst, da die verschiedenen Geldmengenbegriffe für mich noch ziemlich schlüpfrig sind. Zum Glück scheinen sie für das grundlegende Verständnis nicht zu wichtig zu sein. Aber zurück zum Thema.
Wie gesagt kann nur der Staat Geld in Zentralbankkonten erzeugen. Banken erzeugen aber ständig sekundäres Geld, indem sie Kredite an Privatpersonen und -firmen vergeben. Die Summe aller Kontostände bei der Bank ist dadurch regelmässig größer als der Kontostand der Bank selbst bei der Zentralbank. Natürlich wird die Bank, wenn das System funktioniert, durch die Bankenaufsicht und entsprechende Buchhaltungsvorschriften daran gehindert, unseriös zu handeln und im Extremfall Schneeballsysteme zu produzieren. Wie man sieht kann das durchaus schiefgehen, aber darum geht es hier nicht.
Der Punkt ist, dass der Kontostand einer Bank bei der Zentralbank auch, wenn alles nach Plan funktioniert, regelmässig ins Minus rutschen kann (was nicht unbedingt bedeutet, dass die Bilanz der Bank negativ ist!).
Der Staat sieht das nicht gerne. Wenn er Banken regelmässig einfach so erlauben würde, ihr Konto zu überziehen, würde er de facto sein Geldmonopol aufgeben. Also verbietet er den Banken, ihren Kontostand bei der Zentralbank unter einen bestimmten Betrag fallen zu lassen.
Und jetzt kommen wir endlich auf die "klassische" Antwort nach der Funktion der Zentralbank zu sprechen!
Gegen entsprechende Sicherheiten können sich Banken bei der Zentralbank kurzfristig Geld leihen zu einem Zinssatz, der nach politischen Erwägungen von der Zentralbank bestimmt wird. Die Fed nennt diesen den Diskontsatz. Bei der EZB heißt er Spitzenrefinanzierungssatz.
Liegt eine Bank mit ihrem Zentralbankkonto im Plus, so gibt es bei manchen Zentralbanken dafür Guthabenzinsen. Bei der EZB nennt sich das Einlagefazilität. Auch dieser Zinssatz wird nach politischen Erwägung von der Zentralbank bestimmt, und bei vielen Zentralbanken liegt er bei 0%.
Damit bietet sich eine Geschäftsgelegenheit für die Banken. Anstatt von der Zentralbank Geld zu leihen, kann eine Bank versuchen, bei einer anderen Bank zu leihen, deren Zentralbankkonto gut gefüllt ist. So entsteht ein für beide Banken profitables Geschäft, da beide einen für ihre jeweilige Situation günstigeren Zinssatz heraushandeln können. Das Ganze nennt sich dann Interbankenmarkt, auf dem sich der (Overnight-)Zinssatz für Banken herausbildet. Politisches Ziel der Zentralbanken ist in der heutigen Praxis, diesen Zinssatz zu kontrollieren.
Zurück zum Thema: Was hat diese Geschichte eigentlich mit Staatsschulden zu tun?
Wie wir letztes Mal gesehen haben ist es in der Regel - solange der private Sektor sparen will - vernünftige Politik, wenn die Regierung mehr Geld ausgibt als sie durch Steuern wieder einzieht. Zwangsläufige Folge ist, dass die Menge an Geld, die auf Zentralbankkonten liegt, steigt - ich erinnere daran, dass Geld aus Zentralbankkonten nur verschwinden kann, indem die Regierung es einzieht.
Langfristig wird dann also jede Bank einen ordentlichen Überschuss auf ihrem Zentralbankkonto liegen haben. Wenn sich aber keine Bank mehr Geld leihen muss, schläft der Interbankenmarkt ein und der Zinssatz für Banken sinkt praktisch auf 0%, oder was auch immer der Zinssatz ist, den die Zentralbank für Guthaben ausgibt.
Man kann darüber streiten, ob das schlimm ist. In den Zentralbanken sitzen aber nunmal überwiegend Monetaristen, die glauben, dass sich eine ganze Volkswirtschaft effektiv steuern lässt, indem man einen einzigen Parameter - nämlich den Zinssatz für Banken - kontrolliert. Auf mich persönlich wirkt das eher wie ein Glaubensbekenntnis (damit meine ich das "effektiv"; dass sich der Zinssatz auf die Wirtschaft auswirkt, ist unbestritten). Jedenfalls wollen sie diese Kontrolle nicht verlieren, sie aber nur indirekt ausüben.
Wenn man diese Prämissen bzw. diese politische Entscheidung akzeptiert, dann ist die logische Schlussfolgerung, dass die Zentralbankkonten geleert und dadurch der Interbankenmarkt aktiviert werden muss. Und wie macht man das? Mit Staatsschulden!
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen, weil es dem landläufigen Verständnis von Staatsschulden so krass widerspricht.
Die Zentralbank will die Zentralbankkonten im Schnitt möglichst leer halten, weil dadurch ein Teil der Banken gezwungen wird, kurzfristig Geld zu leihen. Das belebt den Interbankenmarkt, so dass sich ein positiver Zinssatz für Banken herausbildet.
Aber wir haben gelernt, dass nur die Regierung Geld aus Zentralbankkonten entfernen kann. Mit Steuern sollte sie das in diesem Fall nicht machen, weil das mit den Sparzielen des privaten Sektors kollidieren und dadurch die Wirtschaft abwürgen und Arbeitslosigkeit erzeugen würde (siehe mein Beispiel zur Entstehung von Arbeitslosigkeit hier). Also verkauft die Regierung stattdessen Wertpapiere, und diese Wertpapiere werden Staatsschulden genannt.
Wenn die Regierung ein solches Wertpapier verkauft, dann reduziert sie den Zentralbankkontostand der Bank des Käufers um den entsprechenden Betrag und gibt ihm im Gegenzug das Papier.
Wenn ein solches Wertpapier ausläuft, schreibt die Regierung den entsprechenden Betrag dem Zentralbankkonto der Bank des Besitzers gut.
Beobachtung: Staatsschulden haben nichts damit zu tun, ob die Regierung Geld ausgeben kann oder nicht.
Beobachtung: Staatsschulden sind nicht Fiskalpolitik, sondern Geldpolitik.
Ein geldsouveräner Staat kann seine Schulden also immer begleichen, woran man sieht, dass die Schuldendebatte bezüglich solcher Länder ziemlich meschugge ist.
Heißt das, es gibt keine Probleme? Ich bin mir darüber noch nicht ganz im Klaren.
Solange die Staatsschulden nur vom privaten Sektor im Inland gehalten werden, sind Staatsschulden wohl wirklich eher ein gutes als ein schlechtes Zeichen. Schließlich entsprechen Staatsschulden, wie wir oben gelernt haben, einfach dem Sparvermögen der eigenen Bürger, und das Staatsdefizit entspricht ihren Sparzielen.
Sollten sich die Sparziele der Bürger irgendwann ändern, müsste die Regierung darauf natürlich reagieren und womöglich irgendwann mehr Steuern einziehen als Staatsausgaben getätigt werden, wenn sie eine Preissteigerung verhindern will. Aber auch das würde am Ende nur bedeuten, dass sich die Bürger eben mehr reale Werte leisten und den daraus folgenden Lebensstandard genießen. Da kann man wohl kaum dagegen sein. (Ungleiche Verteilung von Sparvermögen sind ein davon unabhängiges Thema.)
Wenn ein großer Teil der Staatsschulden vom Ausland gehalten wird, kann das Thema womöglich eine außenpolitische Dimension gewinnen. Darüber muss ich auch noch nachdenken. Wenn das Ausland große Mengen der Währung loswerden will, würde sich der resultierende Effekt aber vermutlich durch eine entsprechende Änderung der Wechselkurse automatisch selbst dämpfen.
Eins ist in jedem Fall klar. Wenn die Regierung einfach nur versucht, ihr Defizit zu reduzieren, dann wird darunter der private Sektor im Inland leiden, bevor sich die Maßnahmen auf die vom Ausland gehaltenen Staatsschulden auswirken. Das bedeutet, dass der eigenen Wirtschaft durch Arbeitslosigkeit Know-How verlorengeht, und das Land insgesamt für zukünftige Probleme schlechter gerüstet sein wird.
Wer sich von Defiziten und Staatsschulden blenden lässt und darüber die reale Welt vergisst, kann am Ende nur verlieren.
Was folgt daraus für die Eurozone?
Gute Frage. Für die Staaten der Eurozone gilt nichts von dem, was ich oben geschrieben habe, weil sie tatsächlich wie ein privater Haushalt wirtschaften müssen. Durch den Eintritt in die Eurozone haben wir freiwillig volkswirtschaftlichen Handlungsspielraum aufgegeben, ohne auf Ebene der Eurozone eine Institution zu schaffen, die das ausgleichen würde. Das ist ein ernstes Problem.
Grundsätzlich gibt es zwei naheliegende Möglichkeiten, die volkswirtschaftliche Handlungsfähigkeit wieder herzustellen: erstens die Auflösung der Eurozone; zweitens die Einführung einer Wirtschaftsregierung für die Eurozone.
Beide Varianten sind aus Sicht von Modern Monetary Theory tragbar, wenn die jeweiligen souveränen Regierungen dann auch wirklich verstehen, wie ihr Geldsystem funktioniert. Ich persönlich würde - aus politischen Erwägungen - die zweite Variante bevorzugen, und zwar so, dass der Eurozonen-Haushalt ausschließlich von einem auf die Abgeordneten der Euro-Länder reduzierten Europäischen Parlament kontrolliert wird - wie es sich bei einer Demokratie gehört.
Praktisch stehen dieser Lösung natürlich jede Menge mit kleinen Karos bemalte Hürden im Weg. Warren Mosler, einer der Vertreter von Modern Monetary Theory, schlägt zumindest eine drastische, aber überlegenswerte Übergangslösung vor.
Aber das ist eine andere Geschichte, über die ich vielleicht ein andermal schreiben werde.
Warum, kann man sich ja auch als Laie fragen, lebt Japan eigentlich schon seit langem mit Staatsschulden von weit über 100% des Bruttoinlandsproduktes ohne in Zahlungsverzug zu kommen, obwohl doch der IWF behauptet, 90% seien das tolerierbare Maximum? Und woher kommt überhaupt diese Grenze von 90%?
Die Modern Monetary Theory, mit der ich mich seit kurzem nebenbei beschäftige, scheint auch ein ziemlich vernichtendes Urteil über die Analysen des IWF auszusprechen, und also werde ich ein bißchen dazu ausschweifen, und wenn es nur ist, um jemanden hervorzulocken, der einen Fehler in der Logik finden kann. Vorsicht, es wird mal wieder länger.
Die IWF-Meldung ist so formuliert, als könne man Länder wie Irland, Griechenland oder Deutschland in eine Reihe mit Ländern wie die USA, Japan oder Island stellen. Laut Modern Monetary Theory kann das nur jemand behaupten, der die jeweiligen Geldsysteme nicht richtig versteht.
Die Länder der ersten Gruppe verwenden den Euro, den sie nicht kontrollieren. Die Regierungen dieser Länder unterliegen Budgetconstraints wie ein privater Haushalt und können daher insolvent werden. Diese Länder sind geldtechnisch eher mit US-Bundesstaaten oder mit den Haushalten der Kommunen zu vergleichen als mit souveränen Staaten.
Die Länder der zweiten Gruppe haben dagegen ihre eigene Währung, die sie jeweils monopolartig kontrollieren und die auf dem internationalen Markt frei gehandelt wird. Per Definition sind die Regierungen dieser Länder in ihrer eigenen Währung immer solvent, unabhängig davon, wie groß die Staatsschulden oder das Defizit sind. Wenn diese Regierungen ihre Schulden nicht begleichen würden, so wäre dies eine rein politische Entscheidung, die keinem grundlegenden Zwang unterliegen würde.
Das klingt nun erstmal unintuitiv, weil wir aus unserem persönlichen Alltag wissen, dass wir nicht beliebig solvent sind. Aber gelten die gleichen Grenzen auch für einen geldsouveränen Staat? Vielleicht sollten wir uns die Frage stellen, was Staatsschulden eigentlich sind. Dabei hilft zunächst eine andere Frage weiter: Was macht eigentlich eine Zentralbank in einem Fiat-Geldsystem?
Das ist eine interessante Frage. Sehen wir uns eine sehr typische Antwort an, die jemand auf Wikipedia geschrieben hat: Eine Zentralbank (auch Notenbank, Zentralnotenbank oder zentrale Notenbank) ist eine für die Geld- und Währungspolitik eines Währungsraums oder Staates zuständige Institution. In entwickelten Staaten ist das Hauptziel der Zentralbanken die Preisniveau- und Geldwertstabilität. Eine Zentralbank hält die Währungsreserve eines Währungsraumes, refinanziert Geschäftsbanken und den Staat. [...]
Diese Antwort gibt leider ein alles anderes als klares Bild von der Funktion einer Zentralbank. Dabei ist die Antwort im Grunde sehr banal. Als allererstes ist die Zentralbank eine Bank - und zwar die Bank, die "alles" Geld verwaltet. (Wenn die Familie aus meinem letzten Post zu diesem Thema ihre Coupons elektronisch in einer Tabellenkalkulation verwalten würde, dann wäre die Zentralbank die Institution, die die Tabelle verwaltet.)
Jede Bank hat ein Konto bei der Zentralbank.
Wenn die Regierung mir Geld gibt, dann erhöht die Zentralbank den Kontostand meiner Bank bei der Zentralbank um den entsprechenden Betrag und weist meine Bank an, ihre internen Tabellen auch entsprechend anzugleichen.
Wenn ich an die Regierung Steuern oder Gebühren bezahle, dann reduziert die Zentralbank den Kontostand meiner Bank bei der Zentralbank um den entsprechenden Betrag und weist meine Bank an, ihre internen Tabellen auch entsprechend anzugleichen.
Wenn ich Geld an Frau XX überweise, deren Konto bei der gleichen Bank liegt, dann passt die Bank ihre internen Tabellen an und auf Ebene der Zentralbank passiert nichts.
Wenn ich Geld an Herrn XY überweise, dessen Konto bei einer anderen Bank liegt, dann überweist meine Bank den entsprechenden Betrag von ihrem Konto bei der Zentralbank auf das Zentralbank-Konto der Bank von Herrn XY, und beide Banken passen ihre internen Tabellen an.
Natürlich ist das eine Vereinfachung; aus Praxis- und Buchhaltungsgründen können irgendwo mehr Schritte versteckt sein. Zum Beispiel können Banken ihre Geschäfte untereinander bündeln, und lediglich einmal am Tag gegenrechnen, was sie sich schulden. So fällt auf Zentralbankebene weniger Verwaltungsaufwand durch Überweisungen an. Aber funktional passiert alles genau wie beschrieben, so weit es für das Zusammenspiel von öffentlichem (Regierungs-)Sektor und privatem Sektor im Hinblick auf Geld relevant ist.
Beobachtung: Die Regierung benötigt kein Konto bei der Zentralbank. Dass geldsouveräne Regierungen in der Praxis trotzdem ein Konto bei der Zentralbank haben, hat wohl primär historische und politische Gründe, wobei es sicher auch zur Buchhaltung praktisch sein kann. Zwingend ist es jedenfalls nicht.
Beobachtung: Geld kann die Zentralbank niemals verlassen. Alles Geld, das jemals von der Regierung (bzw. der Zentralbank) in Umlauf gebracht wurde, bleibt immer auf einem Konto bei der Zentralbank liegen, bis es wieder von der Regierung (bzw. der Zentralbank) eingezogen wird.
Was ist also das "Geld", das auf unseren privaten Konten liegt? Es ist sekundäres Geld. Konkret ist es eine Verpflichtung der Bank uns gegenüber. Die Bank garantiert uns, dass wir mit diesem "Geld" so verfahren können, als wäre es Geld ohne Anführungszeichen.
Das Faszinierende dabei ist, dass praktisch alles "Geld", das im Umlauf ist, in Wirklichkeit sekundäres Geld ist. Die Folge ist, dass es Definitionen von Geldmenge praktisch wie Sand am Meer gibt. Eine gute Faustregel ist daher: Wenn jemand von "Geldmenge" redet, sollte man vorsichtig sein. Mit nicht vernachlässigbarer Wahrscheinlichkeit weiß derjenige selbst nicht genau, wovon er eigentlich redet, und man sollte seine Behauptungen kritisch darauf prüfen, ob sie einer logischen Untersuchung standhalten, und ob nicht womöglich fehlerhafte Annahmen zugrundeliegen.
Diese Warnung gilt übrigens auch für mich selbst, da die verschiedenen Geldmengenbegriffe für mich noch ziemlich schlüpfrig sind. Zum Glück scheinen sie für das grundlegende Verständnis nicht zu wichtig zu sein. Aber zurück zum Thema.
Wie gesagt kann nur der Staat Geld in Zentralbankkonten erzeugen. Banken erzeugen aber ständig sekundäres Geld, indem sie Kredite an Privatpersonen und -firmen vergeben. Die Summe aller Kontostände bei der Bank ist dadurch regelmässig größer als der Kontostand der Bank selbst bei der Zentralbank. Natürlich wird die Bank, wenn das System funktioniert, durch die Bankenaufsicht und entsprechende Buchhaltungsvorschriften daran gehindert, unseriös zu handeln und im Extremfall Schneeballsysteme zu produzieren. Wie man sieht kann das durchaus schiefgehen, aber darum geht es hier nicht.
Der Punkt ist, dass der Kontostand einer Bank bei der Zentralbank auch, wenn alles nach Plan funktioniert, regelmässig ins Minus rutschen kann (was nicht unbedingt bedeutet, dass die Bilanz der Bank negativ ist!).
Der Staat sieht das nicht gerne. Wenn er Banken regelmässig einfach so erlauben würde, ihr Konto zu überziehen, würde er de facto sein Geldmonopol aufgeben. Also verbietet er den Banken, ihren Kontostand bei der Zentralbank unter einen bestimmten Betrag fallen zu lassen.
Und jetzt kommen wir endlich auf die "klassische" Antwort nach der Funktion der Zentralbank zu sprechen!
Gegen entsprechende Sicherheiten können sich Banken bei der Zentralbank kurzfristig Geld leihen zu einem Zinssatz, der nach politischen Erwägungen von der Zentralbank bestimmt wird. Die Fed nennt diesen den Diskontsatz. Bei der EZB heißt er Spitzenrefinanzierungssatz.
Liegt eine Bank mit ihrem Zentralbankkonto im Plus, so gibt es bei manchen Zentralbanken dafür Guthabenzinsen. Bei der EZB nennt sich das Einlagefazilität. Auch dieser Zinssatz wird nach politischen Erwägung von der Zentralbank bestimmt, und bei vielen Zentralbanken liegt er bei 0%.
Damit bietet sich eine Geschäftsgelegenheit für die Banken. Anstatt von der Zentralbank Geld zu leihen, kann eine Bank versuchen, bei einer anderen Bank zu leihen, deren Zentralbankkonto gut gefüllt ist. So entsteht ein für beide Banken profitables Geschäft, da beide einen für ihre jeweilige Situation günstigeren Zinssatz heraushandeln können. Das Ganze nennt sich dann Interbankenmarkt, auf dem sich der (Overnight-)Zinssatz für Banken herausbildet. Politisches Ziel der Zentralbanken ist in der heutigen Praxis, diesen Zinssatz zu kontrollieren.
Zurück zum Thema: Was hat diese Geschichte eigentlich mit Staatsschulden zu tun?
Wie wir letztes Mal gesehen haben ist es in der Regel - solange der private Sektor sparen will - vernünftige Politik, wenn die Regierung mehr Geld ausgibt als sie durch Steuern wieder einzieht. Zwangsläufige Folge ist, dass die Menge an Geld, die auf Zentralbankkonten liegt, steigt - ich erinnere daran, dass Geld aus Zentralbankkonten nur verschwinden kann, indem die Regierung es einzieht.
Langfristig wird dann also jede Bank einen ordentlichen Überschuss auf ihrem Zentralbankkonto liegen haben. Wenn sich aber keine Bank mehr Geld leihen muss, schläft der Interbankenmarkt ein und der Zinssatz für Banken sinkt praktisch auf 0%, oder was auch immer der Zinssatz ist, den die Zentralbank für Guthaben ausgibt.
Man kann darüber streiten, ob das schlimm ist. In den Zentralbanken sitzen aber nunmal überwiegend Monetaristen, die glauben, dass sich eine ganze Volkswirtschaft effektiv steuern lässt, indem man einen einzigen Parameter - nämlich den Zinssatz für Banken - kontrolliert. Auf mich persönlich wirkt das eher wie ein Glaubensbekenntnis (damit meine ich das "effektiv"; dass sich der Zinssatz auf die Wirtschaft auswirkt, ist unbestritten). Jedenfalls wollen sie diese Kontrolle nicht verlieren, sie aber nur indirekt ausüben.
Wenn man diese Prämissen bzw. diese politische Entscheidung akzeptiert, dann ist die logische Schlussfolgerung, dass die Zentralbankkonten geleert und dadurch der Interbankenmarkt aktiviert werden muss. Und wie macht man das? Mit Staatsschulden!
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen, weil es dem landläufigen Verständnis von Staatsschulden so krass widerspricht.
Die Zentralbank will die Zentralbankkonten im Schnitt möglichst leer halten, weil dadurch ein Teil der Banken gezwungen wird, kurzfristig Geld zu leihen. Das belebt den Interbankenmarkt, so dass sich ein positiver Zinssatz für Banken herausbildet.
Aber wir haben gelernt, dass nur die Regierung Geld aus Zentralbankkonten entfernen kann. Mit Steuern sollte sie das in diesem Fall nicht machen, weil das mit den Sparzielen des privaten Sektors kollidieren und dadurch die Wirtschaft abwürgen und Arbeitslosigkeit erzeugen würde (siehe mein Beispiel zur Entstehung von Arbeitslosigkeit hier). Also verkauft die Regierung stattdessen Wertpapiere, und diese Wertpapiere werden Staatsschulden genannt.
Wenn die Regierung ein solches Wertpapier verkauft, dann reduziert sie den Zentralbankkontostand der Bank des Käufers um den entsprechenden Betrag und gibt ihm im Gegenzug das Papier.
Wenn ein solches Wertpapier ausläuft, schreibt die Regierung den entsprechenden Betrag dem Zentralbankkonto der Bank des Besitzers gut.
Beobachtung: Staatsschulden haben nichts damit zu tun, ob die Regierung Geld ausgeben kann oder nicht.
Beobachtung: Staatsschulden sind nicht Fiskalpolitik, sondern Geldpolitik.
Ein geldsouveräner Staat kann seine Schulden also immer begleichen, woran man sieht, dass die Schuldendebatte bezüglich solcher Länder ziemlich meschugge ist.
Heißt das, es gibt keine Probleme? Ich bin mir darüber noch nicht ganz im Klaren.
Solange die Staatsschulden nur vom privaten Sektor im Inland gehalten werden, sind Staatsschulden wohl wirklich eher ein gutes als ein schlechtes Zeichen. Schließlich entsprechen Staatsschulden, wie wir oben gelernt haben, einfach dem Sparvermögen der eigenen Bürger, und das Staatsdefizit entspricht ihren Sparzielen.
Sollten sich die Sparziele der Bürger irgendwann ändern, müsste die Regierung darauf natürlich reagieren und womöglich irgendwann mehr Steuern einziehen als Staatsausgaben getätigt werden, wenn sie eine Preissteigerung verhindern will. Aber auch das würde am Ende nur bedeuten, dass sich die Bürger eben mehr reale Werte leisten und den daraus folgenden Lebensstandard genießen. Da kann man wohl kaum dagegen sein. (Ungleiche Verteilung von Sparvermögen sind ein davon unabhängiges Thema.)
Wenn ein großer Teil der Staatsschulden vom Ausland gehalten wird, kann das Thema womöglich eine außenpolitische Dimension gewinnen. Darüber muss ich auch noch nachdenken. Wenn das Ausland große Mengen der Währung loswerden will, würde sich der resultierende Effekt aber vermutlich durch eine entsprechende Änderung der Wechselkurse automatisch selbst dämpfen.
Eins ist in jedem Fall klar. Wenn die Regierung einfach nur versucht, ihr Defizit zu reduzieren, dann wird darunter der private Sektor im Inland leiden, bevor sich die Maßnahmen auf die vom Ausland gehaltenen Staatsschulden auswirken. Das bedeutet, dass der eigenen Wirtschaft durch Arbeitslosigkeit Know-How verlorengeht, und das Land insgesamt für zukünftige Probleme schlechter gerüstet sein wird.
Wer sich von Defiziten und Staatsschulden blenden lässt und darüber die reale Welt vergisst, kann am Ende nur verlieren.
Was folgt daraus für die Eurozone?
Gute Frage. Für die Staaten der Eurozone gilt nichts von dem, was ich oben geschrieben habe, weil sie tatsächlich wie ein privater Haushalt wirtschaften müssen. Durch den Eintritt in die Eurozone haben wir freiwillig volkswirtschaftlichen Handlungsspielraum aufgegeben, ohne auf Ebene der Eurozone eine Institution zu schaffen, die das ausgleichen würde. Das ist ein ernstes Problem.
Grundsätzlich gibt es zwei naheliegende Möglichkeiten, die volkswirtschaftliche Handlungsfähigkeit wieder herzustellen: erstens die Auflösung der Eurozone; zweitens die Einführung einer Wirtschaftsregierung für die Eurozone.
Beide Varianten sind aus Sicht von Modern Monetary Theory tragbar, wenn die jeweiligen souveränen Regierungen dann auch wirklich verstehen, wie ihr Geldsystem funktioniert. Ich persönlich würde - aus politischen Erwägungen - die zweite Variante bevorzugen, und zwar so, dass der Eurozonen-Haushalt ausschließlich von einem auf die Abgeordneten der Euro-Länder reduzierten Europäischen Parlament kontrolliert wird - wie es sich bei einer Demokratie gehört.
Praktisch stehen dieser Lösung natürlich jede Menge mit kleinen Karos bemalte Hürden im Weg. Warren Mosler, einer der Vertreter von Modern Monetary Theory, schlägt zumindest eine drastische, aber überlegenswerte Übergangslösung vor.
Aber das ist eine andere Geschichte, über die ich vielleicht ein andermal schreiben werde.
Montag, September 06, 2010
Kabarett schreibt sich gerne selbst
Aus der Kategorie "Unglaubliches, das unkommentiert in der Zeitung steht" heute auf Seite 6 der Süddeutschen ein Artikel über weltweite Versorgung mit sauberem Wasser (längere Online-Version). Hier die Stelle, bei der ich nur noch die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen habe:
Ein Pilotprojekt sind zum Beispiel die 100 elektronischen Wasserzapfstellen in Uganda, die die GTZ im Auftrag der Bundesregierung aufgebaut hat. Mit einer aufladbaren Chipkarte können die Bewohner von Kampala an briefkastenartigen Stationen öffentliche Wasserhähne entsperren und sich sauberes Wasser zapfen.
Wasser ist ein überlebenswichtiges Gut - und das Beste, was der GTZ einfällt ist, Pumpen aufzustellen, die an elektronische Bezahlsysteme gekoppelt sind? In einem Entwicklungsland? Das ist einfach nur pervers.
Gut, auch wir bezahlen für Wasser. Aber in Deutschland liegt der Wasserpreis praktisch überall unter 2 Euro pro Kubikmeter, das sind 0,2 Cent pro Liter. Welcher Schwachkopf kommt auf die Idee, bei einem so wichtigen Gut wie Trinkwasser den Bezahlaspekt so ins Zentrum zu stellen?
So richtig bizarr ist das Detail mit der Chipkarte. Bei so etwas frage ich mich immer, ob das nicht einfach nur eine Form moderner Kolonialismus ist. Unter dem Vorwand bei der Trinkwasserversorgung zu helfen, überredet man die lokale Regierung, ein überteuertes, unangemessenes, vollkommen unnötiges Chipkartensystem bei einem deutschen Hersteller zu kaufen. Dann kann man sich selbst als Helfer stilisieren und die Menschen gleichzeitig noch richtig schön ausbeuten. Gleichzeitig verarscht man die Menschen in Deutschland, indem man das für Entwicklungshilfe bestimmte Geld in die Kassen der heimischen Industrie lenkt.
Ein Pilotprojekt sind zum Beispiel die 100 elektronischen Wasserzapfstellen in Uganda, die die GTZ im Auftrag der Bundesregierung aufgebaut hat. Mit einer aufladbaren Chipkarte können die Bewohner von Kampala an briefkastenartigen Stationen öffentliche Wasserhähne entsperren und sich sauberes Wasser zapfen.
Wasser ist ein überlebenswichtiges Gut - und das Beste, was der GTZ einfällt ist, Pumpen aufzustellen, die an elektronische Bezahlsysteme gekoppelt sind? In einem Entwicklungsland? Das ist einfach nur pervers.
Gut, auch wir bezahlen für Wasser. Aber in Deutschland liegt der Wasserpreis praktisch überall unter 2 Euro pro Kubikmeter, das sind 0,2 Cent pro Liter. Welcher Schwachkopf kommt auf die Idee, bei einem so wichtigen Gut wie Trinkwasser den Bezahlaspekt so ins Zentrum zu stellen?
So richtig bizarr ist das Detail mit der Chipkarte. Bei so etwas frage ich mich immer, ob das nicht einfach nur eine Form moderner Kolonialismus ist. Unter dem Vorwand bei der Trinkwasserversorgung zu helfen, überredet man die lokale Regierung, ein überteuertes, unangemessenes, vollkommen unnötiges Chipkartensystem bei einem deutschen Hersteller zu kaufen. Dann kann man sich selbst als Helfer stilisieren und die Menschen gleichzeitig noch richtig schön ausbeuten. Gleichzeitig verarscht man die Menschen in Deutschland, indem man das für Entwicklungshilfe bestimmte Geld in die Kassen der heimischen Industrie lenkt.
Donnerstag, September 02, 2010
Modern Monetary Theory
Wie funktioniert eigentlich unser modernes Geldsystem?
Es gab einmal eine Zeit, in der Regierungen ihre Währungen an andere Dinge gekoppelt haben: an Gold, oder an andere Währungen. Das ist heutzutage in der Regel nicht mehr der Fall (wobei man bei der Betrachtung des Euro vorsichtig sein muss): Regierungen haben Währungen eingeführt, in denen sie beliebig Geld erzeugen und vernichten können, und diese Währungen werden international frei gehandelt. Wie funktioniert das System also?
Der erstaunlich blogwütige Bill Mitchell erklärt das ungefähr wie folgt, wobei ich seine Geschichte entsprechend meines Verständnisses des Themas etwas modifiziert habe. Stellen wir uns eine ganz typische Familie vor, bestehend aus Eltern und fünf Kindern, die wir kanonischerweise Alice, Bob, Charlie, David und Eva nennen. Der Kinderreichtum ist vielleicht eher untypisch, aber wie üblich haben die Kinder nicht unbedingt Lust, im Haushalt mitzuhelfen.
Die Eltern sind Volkswirtschaftler und wollen ihren Kindern das Prinzip von Geld anschaulich näher bringen und damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Also führen sie die Regel ein, dass die Kinder für erledigte Arbeiten (Rasenmähen, Staubsaugen, Wäsche aufhängen, was auch immer) Familien-Coupons erhalten - das sind einfach bedruckte Papierstücke. An dieser Stelle frage ich mich, was wohl schlimmer sein mag: VWLer als Eltern, oder Mathematiker als Eltern. Aber die Kinder fragen sich wohl eher, was das ganze soll. Wieso sollten sie wertlose Papierstücke sammeln?
Den Eltern ist das natürlich auch klar. Also kündigen sie an, dass jedes Kind am Ende jeder Woche 10 Coupons an die Eltern bezahlen muss, ansonsten kriegt es Hausarrest. Ferner beschließen die Eltern, die an einer durchschnittlichen deutschen Universität gelernt haben, dass sie einen ausgeglichen Haushalt führen müssen, dass sie pro Woche höchstens 50 Coupons ausgeben werden, die den 50 von den Kindern zu zahlenden Coupons gegenüber stehen.
Nun sind die Kinder natürlich motiviert. Jedes Kind arbeitet für seine 10 Coupons, die am Ende der Woche zurück an die Eltern fließen.
Beobachtung #1: Das Ganze ist eine leicht durchschaubare Parabel mit den Eltern als Regierung, den Kindern als privatem Sektor und Coupons als Währung. Die 10 Coupons, die jedes Kind pro Woche zahlen muss, sind Steuern.
Beobachtung #2: Die Coupons erhalten ihren Wert dadurch, dass die Eltern Steuern erheben. Genauso erhalten "echte" Währungen ihren Wert dadurch, dass sie das einzige gültige Zahlungsmittel für Steuerschulden sind.
Die Kinder erkennen natürlich sehr schnell, dass sie auch untereinander tauschen können: ein paar Coupons gegen Süßigkeiten, zum Beispiel.
Beobachtung #3: Sobald eine Währung einen Wert hat, wird sie zu einem praktischen Tauschmittel für allgemeinen Handel. Dadurch entsteht leicht der Irrtum, dass nicht Steuern sondern etwas anderes die Quelle des Wertes der Währung sind. Das ist aber, wie gesagt, ein Irrtum.
Das Ganze funktioniert ein paar Wochen lang gut. Die Eltern haben ihren Stapel mit 50 Coupons zu Beginn der Woche, die Kinder erledigen Haushaltsarbeiten, für die sie von den Eltern Coupons erhalten. Am Ende der Woche zahlen die Kinder ihre Coupons als Steuern zurück.
In einer Woche aber beschließen Alice, Bob und Charlie, dass es eigentlich eine gute Idee wäre, ein paar Coupons mehr zu verdienen und zu sparen. Dann, so die Idee, können sie sich irgendwann einmal leisten, eine Woche einfach nur zu faulenzen. Die Steuern in dieser Woche würden sie dann mit Ersparnissen begleichen. Also reißen sie sich gleich zu Beginn der Woche um die Arbeiten und arbeiten für insgesamt 50 Coupons.
David und Eva wollen natürlich trotzdem noch arbeiten um Coupons zu verdienen, doch sie müssen erfahren, dass der Coupon-Stapel der Eltern bereits leer ist. Die Regierung hat also keine Nachfrage nach Arbeit mehr, und David und Eva werden arbeitslos.
Was ist passiert? Alice, Bob und Charlie haben zusammen Arbeit im Wert von 50 Coupons angeboten. David und Eva bieten Arbeit im Wert von mindestens 20 Coupons an. Insgesamt wird also Arbeit im Wert von 70 Coupons angeboten. Die Nachfrage nach Arbeit beträgt aber nur 50 Coupons.
Die neoliberale Reaktion der Eltern ist die, die wir im Alltag erleben. Die Eltern beschimpfen David und Eva als zu faul und erklären, dass die beiden am kommenden Hausarrest selbst schuld sind. Das ist natürlich zynischer Unsinn, denn gerade eben haben David und Eva ihren Arbeitswillen erklärt. Aber so läuft die Argumentation nunmal in der Realität.
Die humane Reaktion der Eltern wäre natürlich eine andere. Vielleicht stellen sie fest, dass der Gartenzaun mal wieder gestrichen werden müsste, oder andere Arbeiten getan werden könnten, die zwar nicht dringend notwendig sind, das Zusammenleben aber verschönern könnten. Also beschließen sie einfach, 20 zusätzliche Coupons zu drucken und damit David und Eva für zusätzliche Arbeit zu bezahlen. Der Familienfrieden ist damit gesichert, und das Leben wird auch noch ein wenig schöner.
Aber Moment: die Eltern operieren diese Woche mit einem Defizit von 20 Coupons! Müssen sie das nicht durch Steuern oder Schulden finanzieren? Nein, denn sie können neue Coupons ja einfach ausdrucken, völlig unproblematisch.
Beobachtung #4: Die Regierung muss sich nicht durch Steuern oder Schulden finanzieren. Sie ist immer liquide. Wenn eine Regierung mehr oder weniger Steuern einnimmt ändert dies nichts an ihrer Zahlungsfähigkeit. Die Regierung mit einem Privathaushalt gleichzusetzen ist ein Denkfehler.
Beobachtung #5: Es ist nicht so, dass die Regierung Steuern einzieht, um ihre Ausgaben bezahlen zu können. Umgekehrt ist es richtig: die Regierung muss Geld ausgeben, damit der private Sektor seine Steuerschulden begleichen und gleichzeitig seine Sparziele verfolgen kann.
Vielleicht stecken die Eltern aber immer noch in der neoliberalen Ideologie fest. Sie halten ein Defizit für problematisch und glauben, dieses auszugleichen zu müssen, indem sie in der nächsten Woche die Steuern auf 11 Coupons pro Kind anheben und dadurch einen "Überschuss" erzielen.
Es ist klar, dass die Coupons, die in der nächsten Woche in den Kreislauf einfließen, alleine nicht ausreichen um alle Steuern zu begleichen. Wenn es trotzdem nicht zu Steuerausfällen kommen soll, müssen Alice, Bob und Charlie einige ihrer gesparten Coupons wieder hergeben.
Beobachtung #6: Staatsdefizite entsprechen wachsendem Sparvermögen des privaten Sektors. Wenn der Staat einen Überschuss erwirtschaftet, schrumpfen zwangsläufig die privaten Vermögen.
(Kleine Nebenbemerkung: diese vollkommen simple Beobachtung hat es Vertretern von Modern Monetary Theory ermöglicht, bereits um 2000 die jetzige Wirtschaftskrise mit ihren Kreditausfällen und anderen Folgen vorherzusagen.)
Das einfache Gedankenspiel unserer imaginären Familie ist kein perfektes Abbild eines modernen Geldsystems. Zum Beispiel gibt eine Regierung Geld nicht aus, indem sie dieses druckt. Stattdessen werden einfach Kontostände bei der Zentralbank entsprechend angepasst, während Bargeld im Grunde eine sekundäre Währung ist, die 1:1 an die primäre Währung gekoppelt ist. Genauso könnte unsere Familie den "Coupon-Stand" im Computer in einer Tabelle verwalten. Trotzdem gelten die sechs einfachen Beobachtungen in der echten Welt.
Für Deutschland und andere Euro-Mitgliedsstaaten sind sie mit Vorsicht zu interpretieren, da diese Staaten aus Geldperspektive nicht souverän sind. In der Eurozone besteht die Regierung nur aus der Europäischen Zentralbank, während die nationalen Regierungen (und die darunter liegenden Landes- und Kommunalregierungen) Teil des privaten Sektors sind.
Die wichtigste Beobachtung bleibt aber: ein Staat, dessen Wirtschaft mit einer eigenen modernen Währung arbeitet, ist immer flüssig und kann, rein technisch, soviel Geld ausgeben wie er will. Es gibt keine Finanzierungsgrenzen. Insbesondere heißt das, dass ein Staatsdefizit nicht durch die Aufnahme von Schulden finanziert werden muss (dies geschieht aus rein politischen Gründen). Staatsschulden sind auch keine Belastung für zukünftige Generation, sondern enstprechen im Gegenteil privaten Vermögen, die an die nächste Generation weitergegeben werden.
All das widerspricht natürlich den Geschichten, die wir tagtäglich in den Medien hören, und es widerspricht den versteckten Annahmen, die diesen Geschichten zugrundeliegen. Ich habe einige Zeit auf der Suche nach Fehlern in Modern Monetary Theory verbracht und keine gefunden. Wir haben hier also wohl tatsächlich die überraschende Situation, dass eine Wissenschaft fast einheitlich an Aderlass glaubt.
Ich vermute, dass bei Lesern, die bis hierher gekommen sind (vielen Dank!) und denen diese Ideen nicht bereits vertraut waren, nun eine ganze Menge Fragen im Kopf schwirren. Mir ging das am Anfang auch so, und ich empfehle die Lektüre des bereits oben erwähnten Blogs für weitere Erklärungen, Fallanalysen und jede Menge empirischer Hinweise.
Es brennt mir zwar in den Fingern, zu den häufigsten dieser Fragen noch mehr zu schreiben, insbesondere zu Inflation (kurz: Inflation hat nicht wirklich etwas mit Geldmenge zu tun, was auch immer das überhaupt sein soll, sondern mit dem Verhältnis von Gesamtnachfrage zu Produktionskapazitäten; solange wegen mangelnder Nachfrage industrieweit Kapazitäten brach liegen und massive Unterbeschäftigung herrscht gibt es keine Inflationsgefahr, wie man ja auch in der jetzigen Krise am lebenden Beispiel sieht) und dazu, welche Lehren wir aus all dem für die Eurozone schließen sollten (kurz: Einführung einer Euro-weiten Finanzpolitik mit dem Ziel, in Europa Vollbeschäftigung zu erreichen; dies kann z.B. so ablaufen, dass auf Euro-Ebene Geld erzeugt wird, das dann gemäß wirtschaftspolitischer Kriterien an die Mitgliedsstaaten verteilt wird zum Zwecke der Schaffung von Arbeitsplätzen für unsere Infrastruktur und allgemeine Lebensqualität). Aber für heute ist dieser Eintrag schon sehr, sehr lang geworden. Also vielleicht ein andermal.
Es gab einmal eine Zeit, in der Regierungen ihre Währungen an andere Dinge gekoppelt haben: an Gold, oder an andere Währungen. Das ist heutzutage in der Regel nicht mehr der Fall (wobei man bei der Betrachtung des Euro vorsichtig sein muss): Regierungen haben Währungen eingeführt, in denen sie beliebig Geld erzeugen und vernichten können, und diese Währungen werden international frei gehandelt. Wie funktioniert das System also?
Der erstaunlich blogwütige Bill Mitchell erklärt das ungefähr wie folgt, wobei ich seine Geschichte entsprechend meines Verständnisses des Themas etwas modifiziert habe. Stellen wir uns eine ganz typische Familie vor, bestehend aus Eltern und fünf Kindern, die wir kanonischerweise Alice, Bob, Charlie, David und Eva nennen. Der Kinderreichtum ist vielleicht eher untypisch, aber wie üblich haben die Kinder nicht unbedingt Lust, im Haushalt mitzuhelfen.
Die Eltern sind Volkswirtschaftler und wollen ihren Kindern das Prinzip von Geld anschaulich näher bringen und damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Also führen sie die Regel ein, dass die Kinder für erledigte Arbeiten (Rasenmähen, Staubsaugen, Wäsche aufhängen, was auch immer) Familien-Coupons erhalten - das sind einfach bedruckte Papierstücke. An dieser Stelle frage ich mich, was wohl schlimmer sein mag: VWLer als Eltern, oder Mathematiker als Eltern. Aber die Kinder fragen sich wohl eher, was das ganze soll. Wieso sollten sie wertlose Papierstücke sammeln?
Den Eltern ist das natürlich auch klar. Also kündigen sie an, dass jedes Kind am Ende jeder Woche 10 Coupons an die Eltern bezahlen muss, ansonsten kriegt es Hausarrest. Ferner beschließen die Eltern, die an einer durchschnittlichen deutschen Universität gelernt haben, dass sie einen ausgeglichen Haushalt führen müssen, dass sie pro Woche höchstens 50 Coupons ausgeben werden, die den 50 von den Kindern zu zahlenden Coupons gegenüber stehen.
Nun sind die Kinder natürlich motiviert. Jedes Kind arbeitet für seine 10 Coupons, die am Ende der Woche zurück an die Eltern fließen.
Beobachtung #1: Das Ganze ist eine leicht durchschaubare Parabel mit den Eltern als Regierung, den Kindern als privatem Sektor und Coupons als Währung. Die 10 Coupons, die jedes Kind pro Woche zahlen muss, sind Steuern.
Beobachtung #2: Die Coupons erhalten ihren Wert dadurch, dass die Eltern Steuern erheben. Genauso erhalten "echte" Währungen ihren Wert dadurch, dass sie das einzige gültige Zahlungsmittel für Steuerschulden sind.
Die Kinder erkennen natürlich sehr schnell, dass sie auch untereinander tauschen können: ein paar Coupons gegen Süßigkeiten, zum Beispiel.
Beobachtung #3: Sobald eine Währung einen Wert hat, wird sie zu einem praktischen Tauschmittel für allgemeinen Handel. Dadurch entsteht leicht der Irrtum, dass nicht Steuern sondern etwas anderes die Quelle des Wertes der Währung sind. Das ist aber, wie gesagt, ein Irrtum.
Das Ganze funktioniert ein paar Wochen lang gut. Die Eltern haben ihren Stapel mit 50 Coupons zu Beginn der Woche, die Kinder erledigen Haushaltsarbeiten, für die sie von den Eltern Coupons erhalten. Am Ende der Woche zahlen die Kinder ihre Coupons als Steuern zurück.
In einer Woche aber beschließen Alice, Bob und Charlie, dass es eigentlich eine gute Idee wäre, ein paar Coupons mehr zu verdienen und zu sparen. Dann, so die Idee, können sie sich irgendwann einmal leisten, eine Woche einfach nur zu faulenzen. Die Steuern in dieser Woche würden sie dann mit Ersparnissen begleichen. Also reißen sie sich gleich zu Beginn der Woche um die Arbeiten und arbeiten für insgesamt 50 Coupons.
David und Eva wollen natürlich trotzdem noch arbeiten um Coupons zu verdienen, doch sie müssen erfahren, dass der Coupon-Stapel der Eltern bereits leer ist. Die Regierung hat also keine Nachfrage nach Arbeit mehr, und David und Eva werden arbeitslos.
Was ist passiert? Alice, Bob und Charlie haben zusammen Arbeit im Wert von 50 Coupons angeboten. David und Eva bieten Arbeit im Wert von mindestens 20 Coupons an. Insgesamt wird also Arbeit im Wert von 70 Coupons angeboten. Die Nachfrage nach Arbeit beträgt aber nur 50 Coupons.
Die neoliberale Reaktion der Eltern ist die, die wir im Alltag erleben. Die Eltern beschimpfen David und Eva als zu faul und erklären, dass die beiden am kommenden Hausarrest selbst schuld sind. Das ist natürlich zynischer Unsinn, denn gerade eben haben David und Eva ihren Arbeitswillen erklärt. Aber so läuft die Argumentation nunmal in der Realität.
Die humane Reaktion der Eltern wäre natürlich eine andere. Vielleicht stellen sie fest, dass der Gartenzaun mal wieder gestrichen werden müsste, oder andere Arbeiten getan werden könnten, die zwar nicht dringend notwendig sind, das Zusammenleben aber verschönern könnten. Also beschließen sie einfach, 20 zusätzliche Coupons zu drucken und damit David und Eva für zusätzliche Arbeit zu bezahlen. Der Familienfrieden ist damit gesichert, und das Leben wird auch noch ein wenig schöner.
Aber Moment: die Eltern operieren diese Woche mit einem Defizit von 20 Coupons! Müssen sie das nicht durch Steuern oder Schulden finanzieren? Nein, denn sie können neue Coupons ja einfach ausdrucken, völlig unproblematisch.
Beobachtung #4: Die Regierung muss sich nicht durch Steuern oder Schulden finanzieren. Sie ist immer liquide. Wenn eine Regierung mehr oder weniger Steuern einnimmt ändert dies nichts an ihrer Zahlungsfähigkeit. Die Regierung mit einem Privathaushalt gleichzusetzen ist ein Denkfehler.
Beobachtung #5: Es ist nicht so, dass die Regierung Steuern einzieht, um ihre Ausgaben bezahlen zu können. Umgekehrt ist es richtig: die Regierung muss Geld ausgeben, damit der private Sektor seine Steuerschulden begleichen und gleichzeitig seine Sparziele verfolgen kann.
Vielleicht stecken die Eltern aber immer noch in der neoliberalen Ideologie fest. Sie halten ein Defizit für problematisch und glauben, dieses auszugleichen zu müssen, indem sie in der nächsten Woche die Steuern auf 11 Coupons pro Kind anheben und dadurch einen "Überschuss" erzielen.
Es ist klar, dass die Coupons, die in der nächsten Woche in den Kreislauf einfließen, alleine nicht ausreichen um alle Steuern zu begleichen. Wenn es trotzdem nicht zu Steuerausfällen kommen soll, müssen Alice, Bob und Charlie einige ihrer gesparten Coupons wieder hergeben.
Beobachtung #6: Staatsdefizite entsprechen wachsendem Sparvermögen des privaten Sektors. Wenn der Staat einen Überschuss erwirtschaftet, schrumpfen zwangsläufig die privaten Vermögen.
(Kleine Nebenbemerkung: diese vollkommen simple Beobachtung hat es Vertretern von Modern Monetary Theory ermöglicht, bereits um 2000 die jetzige Wirtschaftskrise mit ihren Kreditausfällen und anderen Folgen vorherzusagen.)
Das einfache Gedankenspiel unserer imaginären Familie ist kein perfektes Abbild eines modernen Geldsystems. Zum Beispiel gibt eine Regierung Geld nicht aus, indem sie dieses druckt. Stattdessen werden einfach Kontostände bei der Zentralbank entsprechend angepasst, während Bargeld im Grunde eine sekundäre Währung ist, die 1:1 an die primäre Währung gekoppelt ist. Genauso könnte unsere Familie den "Coupon-Stand" im Computer in einer Tabelle verwalten. Trotzdem gelten die sechs einfachen Beobachtungen in der echten Welt.
Für Deutschland und andere Euro-Mitgliedsstaaten sind sie mit Vorsicht zu interpretieren, da diese Staaten aus Geldperspektive nicht souverän sind. In der Eurozone besteht die Regierung nur aus der Europäischen Zentralbank, während die nationalen Regierungen (und die darunter liegenden Landes- und Kommunalregierungen) Teil des privaten Sektors sind.
Die wichtigste Beobachtung bleibt aber: ein Staat, dessen Wirtschaft mit einer eigenen modernen Währung arbeitet, ist immer flüssig und kann, rein technisch, soviel Geld ausgeben wie er will. Es gibt keine Finanzierungsgrenzen. Insbesondere heißt das, dass ein Staatsdefizit nicht durch die Aufnahme von Schulden finanziert werden muss (dies geschieht aus rein politischen Gründen). Staatsschulden sind auch keine Belastung für zukünftige Generation, sondern enstprechen im Gegenteil privaten Vermögen, die an die nächste Generation weitergegeben werden.
All das widerspricht natürlich den Geschichten, die wir tagtäglich in den Medien hören, und es widerspricht den versteckten Annahmen, die diesen Geschichten zugrundeliegen. Ich habe einige Zeit auf der Suche nach Fehlern in Modern Monetary Theory verbracht und keine gefunden. Wir haben hier also wohl tatsächlich die überraschende Situation, dass eine Wissenschaft fast einheitlich an Aderlass glaubt.
Ich vermute, dass bei Lesern, die bis hierher gekommen sind (vielen Dank!) und denen diese Ideen nicht bereits vertraut waren, nun eine ganze Menge Fragen im Kopf schwirren. Mir ging das am Anfang auch so, und ich empfehle die Lektüre des bereits oben erwähnten Blogs für weitere Erklärungen, Fallanalysen und jede Menge empirischer Hinweise.
Es brennt mir zwar in den Fingern, zu den häufigsten dieser Fragen noch mehr zu schreiben, insbesondere zu Inflation (kurz: Inflation hat nicht wirklich etwas mit Geldmenge zu tun, was auch immer das überhaupt sein soll, sondern mit dem Verhältnis von Gesamtnachfrage zu Produktionskapazitäten; solange wegen mangelnder Nachfrage industrieweit Kapazitäten brach liegen und massive Unterbeschäftigung herrscht gibt es keine Inflationsgefahr, wie man ja auch in der jetzigen Krise am lebenden Beispiel sieht) und dazu, welche Lehren wir aus all dem für die Eurozone schließen sollten (kurz: Einführung einer Euro-weiten Finanzpolitik mit dem Ziel, in Europa Vollbeschäftigung zu erreichen; dies kann z.B. so ablaufen, dass auf Euro-Ebene Geld erzeugt wird, das dann gemäß wirtschaftspolitischer Kriterien an die Mitgliedsstaaten verteilt wird zum Zwecke der Schaffung von Arbeitsplätzen für unsere Infrastruktur und allgemeine Lebensqualität). Aber für heute ist dieser Eintrag schon sehr, sehr lang geworden. Also vielleicht ein andermal.