Dienstag, November 27, 2012

Die Job-Garantie, ein Jahr später

Ich bin davon überzeugt, dass Vollbeschäftigung das beste Sozialprogramm ist. Jeder, der arbeiten will soll auch problemlos eine gesellschaftlich sinnvolle und angemessen bezahlte Arbeit finden. Dadurch wächst die Freiheit in der Wahl der Arbeit, so dass langfristig unser Verständnis von Arbeit insgesamt fundamental transformiert werden kann.

Das hört sich für die meisten Menschen gut an. Leider bezweifeln viele, dass Vollbeschäftigung überhaupt erreicht werden kann. Deshalb will ich noch einmal über die Job-Garantie reflektieren, die ich vor etwas über einem Jahr schon einmal erklärt habe.

Die Grundidee der Job-Garantie ist einfach. Sie erzeugt einen Pool an offenen Stellen, der so groß ist, dass jeder eine Arbeit findet. Die Stellen werden von Ländern, Kommunen und gemeinnützigen Organisationen (zum Beispiel Sportvereine, Umweltverbände und wohltätige Organisationen) ausgeschrieben und zu einem gesetzlich festgelegten Stundenlohn mit Mindestlohn-Charakter bezahlt. Die wichtigsten Fakten zur Job-Garantie sind (siehe z.B. hier):
  • Wer arbeiten will und kann erhält von der Job-Garantie eine Stelle, unabhängig von seiner Ausbildung, seinem Lebenslauf, oder von der aktuellen wirtschaftlichen Lage.
  • Die Job-Garantie gibt den Menschen eine Möglichkeit, ihren Arbeitswillen konkret zu bezeugen, und wird zudem durch Weiterbildungs-Programme begleitet. Dadurch öffnet sich für die Beschäftigten der Weg in den privaten Arbeitsmarkt, und für private Unternehmen wird es einfacher, qualifizierte Beschäftigte zu finden.
  • Die Job-Garantie und der Privatsektor stehen nicht im Wettbewerb zueinander: Die Job-Garantie nimmt genau die Menschen auf, denen vom Privatsektor kein angemessener Arbeitsplatz angeboten wird.
  • Im Gegensatz zu klassischen Konjunkturprogrammen gibt es bei der Job-Garantie keine Inflationsgefahr, weil der ausgezahlte Lohn gesetzlich fixiert ist.
  • Die Richtlinien für die Job-Garantie - also zum Beispiel die Höhe des Lohns und die Kriterien für Ausschreibungen - werden zentral festgelegt, aber die einzelnen Stellen werden vor Ort durch die jeweiligen Ländern, Kommunen und gemeinnützigen Organisationen angeboten und verwaltet.
  • Die Job-Garantie wird von zentraler Stelle finanziert.
Der letzte Punkt ist besonders wichtig. Die Idee der Job-Garantie basiert unter anderem auf der Einsicht, dass es einerseits Millionen von Menschen gibt, die gerne einer sinnvollen Arbeit nachgehen würden, und dass es andererseits viele für die Gesellschaft sinnvollen Arbeiten gibt, die getan werden könnten. Das Problem ist, dass den Kommunen und gemeinnützigen Organisationen, die diese Arbeiten normalerweise durchführen würden, das Geld dazu fehlt. Die Job-Garantie überbrückt ganz gezielt diese Finanzierungslücke.

Ich möchte auch den Unterschied zu klassischen "keynesianischen" Konjunkturprogrammen betonen. Klassische Konjunkturprogramme werden gefordert, wenn produktive Kapazitäten in der Volkswirtschaft brach liegen. Die Politik legt dabei Projekte fest, die umgesetzt werden sollen, und geht dann auf den Markt, um diese Projekte "zu kaufen". Sie legt sich also von vornherein auf die Art und die Anzahl der Projekte fest, nicht aber auf deren Preis. Wenn die Politik dabei das Angebot überschätzt, dann steigt der Preis, und das kann sich auf das allgemeine Preisniveau auswirken.

Die Job-Garantie umgeht dieses Problem, indem sich die Politik nicht auf die Art und Anzahl der Projekte festlegt, sondern auf ihren Preis. Indem der Preis - genauer: der Lohn, der für Beschäftigte in der Job-Garantie gezahlt wird - politisch festgelegt wird, können die Preise nicht überraschend ansteigen, eine Inflationsgefahr gibt es daher nicht. Diese theoretische Überlegung wird auch durch ökonometrische Simulationen belegt.

Alles in allem bietet uns die Job-Garantie einen aus ökonomischer Perspektive realistischen Weg, um Arbeitslosigkeit grundsätzlich abzuschaffen. Gleichzeitig kann sie eine positive Transformation unserer Gesellschaft auslösen, indem Arbeit, die von gesellschaftlichem Nutzen ist, auch finanziell angemessen honoriert wird.

Mittwoch, November 14, 2012

Vollbeschäftigung

Ich rede und streite gerne und viel über die Zukunft unserer Gesellschaft. Wie sieht die Zukunft aus? Wie können wir die Zukunft besser machen? In mir wächst die Überzeugung, dass wir ein ganz zentrales Thema im öffentlichen Diskurs permanent verankern müssen, das dort heute fehlt. Dieses Thema ist die Vollbeschäftigung.

Beim Wort Vollbeschäftigung denkt sich der ein oder andere erfahrungsgemäß: Ist doch Quatsch, dass jeder arbeiten soll. Darum geht es auch gar nicht. Vollbeschäftigung heißt nicht, dass jeder arbeitet. Vollbeschäftigung heißt, dass jeder, der arbeiten will auch eine reguläre, angemessen bezahlte und nützliche Arbeit findet. Die Gesellschaft soll jedem die Möglichkeit geben, sich sinnvoll und Sinn stiftend einzubringen.

Viele glauben, das sei unrealistisch, weil es gar nicht genug zu tun gäbe. Aber nüchtern betrachtet sehen wir auf der einen Seite Millionen von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten. Auf der anderen Seite sehen wir so viele nützliche Dinge, die getan werden könnten, in Infrastruktur, in Betreuung, in Bildung, in Kunst und Kultur - diese beiden Seiten müsste man nur zusammen bringen.

Der Vorteile wären viele. Der nächstliegende Vorteil ist die Abschaffung der Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit ist auf vielen Ebenen ein Verlust, für die betroffenen Menschen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Für die betroffenen Menschen, weil sie in Armut führt, weil sie den Menschen das zermürbende Gefühl gibt, nicht gebraucht zu werden. Die Gesellschaft verliert, weil sie auf die Arbeit dieser Menschen verzichtet. Dadurch geht Potential für reale Wertschöpfung für immer verloren. Im Gegensatz dazu wird dieses Potential durch die Vollbeschäftigung sinnvoll genutzt.

Darüber hinaus gibt es sekundäre Vorteile. Wer eine Arbeit mit einem regulären Einkommen hat wird weniger strafanfällig. Für Kinder macht es einen ganz wesentlichen Unterschied in der Entwicklung, ob die Erwachsenen in ihrer Familie morgens früh aufstehen und zur Arbeit gehen oder nicht.

Vollbeschäftigung bietet auch Sicherheit. Wer weiß, dass er im Zweifelsfall leicht wieder eine Arbeit und damit ein reguläres Einkommen finden kann, der hat im Leben weniger Sorgen. Das stärkt auch die Position der Arbeitnehmer in Lohn- und Gehaltsverhandlungen, was wiederum dazu führt, dass sich die Löhne und Gehälter wieder angemessen entwickeln.

Vollbeschäftigung ist ein Thema, das eigentlich auf breiten Rückhalt in der Bevölkerung stoßen müsste, auch wenn es heute in den Medien kaum ein Thema ist. Warum ist es heute kaum ein Thema? Und was ist also zu tun?

Zum einen liegt die Erklärung sicherlich in der Funktionsweise der Medien. Damit ein Thema in den Medien erscheint, muss es von außen an die Medien heran getragen werden. Offenbar setzen selbst die Parteien und Verbände, insbesondere Gewerkschaften, die eigentlich natürliche Verbündete sein müssten, das Thema Vollbeschäftigung nicht auf die Agenda. Wir müssen hier selbst aktiv werden und ein breites gesellschaftliches Bündnis für Vollbeschäftigung schaffen.

Zum anderen vermute ich - auch wenn ich keine genauen Zahlen kenne - dass viele Menschen nicht mehr an Vollbeschäftigung glauben. Sie denken, dass es unmöglich wäre, diese zu erreichen. Wir müssen den Menschen also auch konkrete Modelle bieten, mit denen Vollbeschäftigung real implementiert werden kann. Mein persönlicher Favorit dafür ist die von Ökonomen wie Bill Mitchell, Randall Wray und Warren Mosler entwickelte Job-Garantie, aber ich würde mich über eine lebhafte Diskussion über verschiedene, ernst gemeinte Modelle freuen.

Wie auch immer die Strategie aussehen mag, ich will Vollbeschäftigung als universelles gesellschaftliches Ziel im Bewusstsein der Menschen verankert sehen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es ist eine Vision für die es zu kämpfen wert ist.

Samstag, Juni 30, 2012

Mikrophon-Ärger mit Skype unter Linux

Ich verwende auf meinem Laptop Debian, und ich konnte Skype zwar problemlos installieren; leider hat das Mikrophon unter Skype nicht funktioniert. In allen anderen Anwendungen hat das Mikrophon einwandfrei funktioniert, nur in Skype kam aus irgendeinem Grund nichts an.

Lange Zeit war mir das egal, weil ich Skype nur selten benutze, aber jetzt kam der Punkt, an dem ich mich doch auf die Suche begeben habe, und so dokumentiere ich hier meine "Lösung" des Problems für die Zukunft und für andere.

Der Hintergrund der Lösung ist folgender. Unter Linux hat sich ein Audiosystem namens Pulseaudio auf dem Desktop de facto durchgesetzt. Pulseaudio kennt Audio-Quellen (z.B. das Mikrophon) und Audio-Senken (z.B. Lautsprecher). Anwendungen verbinden sich mit dem Pulseaudio-System und haken sich entweder an Audio-Quellen, um Ton aufzunehmen oder an Audio-Senken, um Ton auszugeben, oder (wie z.B. im Fall von Skype) beides.

Mein System - und wahrscheinlich so ziemlich jedes System - hat zwei Audio-Quellen. Die eine Quelle ist das Mikrophon, die andere Quelle ist eine Monitor-Quelle. Die Monitor-Quelle ist einfach ein Loopback dessen, was über den Lautsprecher ausgegeben wird. Das ermöglicht es Anwendungen, die Tonausgabe des Rechners aufzuzeichnen.

Skype hat den großartigen Bug, dass es sich ausgerechnet auf meinem System nicht an das Mikrophon hängt, sondern an den Monitor. Das kann natürlich nicht funktionieren.

Zum Glück gibt es ein Programm, mit dem man die dummen Entscheidungen von Anwendungsprogrammen als Anwender manuell überschreiben kann. Das geht sogar graphisch. Das Tool heißt pavucontrol. Es ist schnell installiert und hat eine einfache graphische Oberfläche, über die ich Skype nun beibringen kann, dass es bitteschön meinem Mikrophon zuhören soll.

Also: -1 für einen idiotischen Bug in Skype, +1 für Pulseaudio, das einen angemessenen Workaround erlaubt und genau so funktioniert, wie es soll.

Mittwoch, April 18, 2012

Warum wir ein langfristiges Haushaltsdefizit brauchen

John Maynard Keynes ist berühmt für seine Forderung, dass das Haushaltsdefizit des Staates antizyklisch sein soll. In Zeiten der Rezession soll die Nachfrage mit einem hohen Defizit angekurbelt werden, und diese Maßnahmen sollen in Zeiten des Booms wieder zurückgefahren werden. Das ist vernünftig. Aber heute wird oft gefordert, dass während eines Booms Haushaltsüberschüsse gefahren werden sollen, so dass Defizit und Überschuss sich langfristig gegenseitig ausgleichen. Diese Forderung geht hinten und vorne einfach nicht auf, sie ist geradezu gefährlich.

Wir brauchen langfristig ein staatliches Haushaltsdefizit von wenigen Prozent des BIP. Das bedeutet in schlechten Zeiten ein noch größeres Haushaltsdefizit und in guten Zeiten ein kleineres Haushaltsdefizit, manchmal vielleicht auch einen Überschuss, aber im langfristigen Mittel muss ein Defizit herauskommen, und die Begründung ist so einfach, dass sie wirklich jeder verstehen kann.

Wir alle finden es als Privatleute gut, wenn wir Vermögen aufbauen können. Vermögen bedeutet Sicherheit, es bedeutet, dass wir uns ab und zu etwas Größeres leisten können, und es bedeutet zusätzliche Vorsorge fürs Alter. In unserer monetarisierten Welt ist dieses Vermögen zu einem sehr großen Teil Geldvermögen. Jedem Geldvermögen steht per Definition die Verbindlichkeit eines anderen Wirtschaftsteilnehmers gegenüber. Das kann die Verbindlichkeit einer Firma bzw. eines Unternehmers sein in Form eines Bankkredits oder einer Unternehmensanleihe, oder eine Verbindlichkeit des Staates in Form einer Staatsanleihe.

Unser aller privates Streben nach Geldvermögen ist so groß, dass die Verbindlichkeiten des privaten Sektors alleine nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Wenn man alle Geldvermögen im privaten Sektor aufsummiert und die Verbindlichkeiten gegenrechnet, dann bleibt ein Betrag übrig: das Netto-Geldvermögen des privaten Sektors.

Erfahrungsgemäß verlangt der private Sektor Netto-Geldvermögen in Höhe von 30% bis 250% des BIP. Ein Teil davon kann durch Verbindlichkeiten des Auslands gedeckt sein, aber am Ende des Tages muss der größte Teil dieser Verbindlichkeiten von der Regierung gehalten werden. Verbindlichkeiten des Staates, vulgo Staatsschulden, sind also notwendig.

Was würde passieren, wenn der Staatshaushalt wirklich langfristig ausgeglichen wäre? Lasst uns ein Gedankenexperiment wagen, in dem wir die folgenden Beispielzahlen annehmen.

BIP im 1. Jahr: 1.000 Mrd. #
Netto-Geldvermögen des privaten Sektors im 1. Jahr: 800 Mrd. # = 80% des BIP
Jährliches reales Wirtschaftswachstum im Durchschnitt: 1%
Inflation im Durchschnitt: 1,8%

Wenn wir mit diesen Annahmen rechnen, also einem sehr moderaten Wirtschaftswachstum und einer Inflation, die der aktuellen Zielsetzung der EZB entspricht, und weiter annehmen, dass der Staatshaushalt im Durchschnitt ausgeglichen ist, erhalten wir folgendes Ergebnis nach 25 Jahren:

BIP im 26. Jahr: 1.994 Mrd. #
Netto-Geldvermögen des privaten Sektors im 26. Jahr: 800 Mrd. # = 40% des BIP

Wir sehen also, dass der private Sektor langfristig deutlich weniger Netto-Geldvermögen zur Verfügung hätte, bezogen auf die wirtschaftliche Gesamtlage. Die Menschen wären wahrscheinlich insgesamt ärmer, und das Schrumpfen der relativen Netto-Geldvermögen von 80% auf 40% wäre wahrscheinlich ein sehr schmerzhafter Anpassungsprozess.

Nach weiteren 25 Jahren wäre das Netto-Geldvermögen des privaten Sektors nur noch bei 20% des BIP, ein unvorstellbar niedriger Wert. Solange sich der Wunsch des privaten Sektors nach Netto-Geldvermögen nicht ändert, ist ein langfristiges Haushaltsdefizit notwendig, um die Netto-Geldvermögen aufrecht zu erhalten. In unserem konkreten Beispiel ist ein Haushaltsdefizit in Höhe von 2,18% des BIP notwendig, wie in den folgenden Grafiken veranschaulicht wird.




Kann sich der Wunsch nach Netto-Geldvermögen ändern? Natürlich. Aber wir müssen bedenken, dass sich dieser Wunsch zu großen Teilen aus einem Wunsch nach wirtschaftlicher Sicherheit speist. Wer einfach blind den Haushalt kürzt, der erzeugt Arbeitslosigkeit. Dadurch werden die Menschen weiter verunsichert.

Eine Alternative wäre die von Vertretern der Modern Monetary Theory vorgeschlagene Job-Garantie. Diese gibt den Menschen Sicherheit, und so ist denkbar, dass der Wunsch nach Netto-Geldvermögen durch ihre Einführung sinken wird. Dann wird für einige Zeit ein kleineres Haushaltsdefizit möglich, während dieser Anpassungsprozess stattfindet. Aber solange der Wunsch nach Netto-Geldvermögen nicht auf Null sinkt, wird langfristig immer im Durchschnitt ein Haushaltsdefizit notwendig sein.

Donnerstag, April 12, 2012

Wie funktionieren Überweisungen?

Ich schreibe auf diesem Blog immer wieder über volkswirtschaftliche Themen aus der in Deutschland nicht weit verbreiteten Perspektive der Modern Monetary Theory. Damit verbunden sind neue und kreative Lösungsansätze für die wirtschaftlichen Probleme unserer Zeit. Leider werden die Auswirkungen dieser Lösungsansätze oft falsch analysiert, weil wir einen massiven Bildungsmangel haben. Die wenigsten Menschen wissen, wie unser Geldsystem eigentlich funktioniert. Deshalb widme ich mich heute einem ganz unkontroversen aber grundlegenden und daher wichtigen Thema.

Jeder weiß, wie man eine Überweisung tätigt. Man füllt einen Überweisungsträger aus und wirft ihn in den dafür vorgesehenen Briefkasten der Bank. Man geht mit der Bankkarte zum automatischen Bankingterminal und gibt die Überweisungsdaten ein. Oder man nutzt mit dem eigenen Computer das Onlinebanking. Aber was geschieht eigentlich hinter den Kulissen?

Wir wollen das einmal an Hand eines ersten Beispiels verfolgen. Herr Albrecht, Kunde der Berliner Beispielbank BB, möchte 1000€ an Frau Bartel überweisen, die ihr Konto ebenfalls bei der BB führt.

Die Überweisungsdaten werden an ein Rechenzentrum der Bank geschickt und dort verarbeitet. Irgendwo in dem Rechenzentrum gibt es eine große Tabelle mit den Kontoständen aller Kunden der BB-Bank. Da sowohl das Konto von Herrn Albrecht als auch das Konto von Frau Bartel in dieser Tabelle stehen, muss die Bank nur die Einträge in dieser Tabelle ändern, und schon ist die Überweisung abgeschlossen.



Die gesamte Überweisung besteht alleine darin, dass die Bank ihre (elektronischen) Bücher anpasst. Das ist alles. Natürlich werden auch die Details der Überweisung irgendwo gespeichert, damit sie auf dem nächsten Kontoauszug bereitgestellt werden können, und um die rechtlichen Dokumentationspflichten zu erfüllen. Solche Details sind für uns allerdings weniger wichtig.

Durch die Überweisung ändert sich implizit auch die Bilanz der Bank. Einlagen der Kunden stehen auf der Passivseite der Bankbilanz, weil es sich dabei aus Sicht der Bank um Verbindlichkeiten bzw. Schulden handelt. Als Bankkunde mit Einlagen hat man eine Forderung gegenüber der Bank:
man kann gegenüber der Bank einfordern, dass sie Überweisungen im eigenen Namen durchführt oder den Gegenwert als Bargeld auszahlt.

In unserem Beispiel ändert sich die Summe der Bilanz nicht, aber es werden Einträge auf der Passivseite verschoben, wie die folgende Grafik illustriert (die Flächen in grau stehen für andere Einträge der Bilanz, die von der Überweisung nicht berührt werden).



Überweisungen zwischen Banken

Betrachten wir ein zweites Beispiel: Frau Bartel will 500# an Herrn Cuhn überweisen, der sein Konto bei der Ersten Exemplarischen Bank EE führt.

Die Überweisungsdaten werden in einem Rechenzentrum der Bank BB, bei der Frau Bartel Kundin ist, verarbeitet. Dort kann in der Tabelle mit den Kontoständen 500# von Frau Bartels Konto abgezogen werden.



Aber die Bank BB kann die 500# nicht direkt auf das Konto von Herrn Cuhn gutschreiben, da dessen Kontostand von der Bank EE verwaltet wird. Also kontaktiert die Bank BB die Bank EE und informiert sie über die Überweisung. Nun kann Bank EE ihre Tabelle mit Kontoständen entsprechend anpassen.



Aber Moment! Jetzt hat Bank EE eine zusätzliche Verbindlichkeit, eine Schuld gegenüber Herrn Cuhn. Warum sollte sie diese Verbindlichkeit eingehen, wenn sie dafür nichts im Gegenzug erhält? Dieses Problem wird auch in den Bankbilanzen sichtbar. Wir haben gesehen, dass die Kontostände auf der Passivseite stehen, und die Passivseite von Bank BB schrumpft jetzt während die Passivseite von Bank EE wächst. Dabei ist die eherne Regel der Buchführung, dass Aktiva und Passiva die gleiche Summe ergeben müssen. Es muss einen Zahlungsausgleich zwischen Bank BB und Bank EE geben, um das Problem zu lösen.

Jede Bank hat ein Konto bei der Zentralbank, in Deutschland ist die Bankleitzahl gleichzeitig die Nummer dieses Kontos. Das Geld auf diesem Konto nennt man Zentralbankgeld oder Reserven,
und es wird für den Zahlungsausgleich verwendet. So wie die Banken eine Tabelle mit den Kontoständen ihrer Kunden verwalten, verwaltet die Zentralbank eine Tabelle mit den Zentralbankkontoständen der Banken. In unserem Beispiel weist Bank BB die Zentralbank an, 500# auf das Zentralbankkonto von Bank EE zu überweisen.



Die Reserven auf dem Zentralbankkonto sind Guthaben der Bank. Es sind also Vermögen, Forderungen gegenüber der Zentralbank, und deshalb stehen sie auf der Aktivseite der Bankbilanz. Jetzt können wir ein vollständiges Bild der Bankbilanzen vor und nach der Überweisung aufstellen:



Weil Überweisungen natürlich nicht nur in eine Richtung gehen, sondern in beide Richtungen zwischen zwei Banken, und kreuz und quer im gesamten Bankensystem, benötigen die Banken für den Zahlungsausgleich insgesamt weniger Reserven als die Summe aller verwalteten Kontostände. Wenn die Überweisungen doch einmal unausgeglichen sind und eine Bank in Gefahr gerät, zu wenige Reserven zu haben, um die Überweisungen abzudecken, dann muss sie sich refinanzieren. In der Regel geschieht das, indem sie sich die Reserven von einer anderen Bank ausleiht. Die Details sind aber ein Thema für einen anderen Artikel, und den Zusammenhang zu Geldpolitik und Leitzins habe ich bereits in einem Artikel angerissen.

Clearingstellen

Ich will fair sein: die Darstellung oben ist in ihren Grundprinzipien korrekt, die tatsächlichen Details sehen in der Praxis aber etwas anders aus. Täglich werden Millionen von Überweisungen in Auftrag gegeben, und es wird nicht für jede Überweisung einzeln Zentralbankgeld überwiesen. Stattdessen werden alle Überweisungen täglich in einer Clearingstelle gesammelt.

Am Ende des Tages werden alle Überweisungen gegen gerechnet. Dabei wird festgestellt, welche Banken insgesamt wie viele Reserven bezahlen müssen, und welche Banken Reserven erhalten. Wenn an einem Tag Überweisungen in der Höhe von 183 Mio. # von Konten der Bank BB auf Konten bei anderen Banken in Auftrag gegeben wurden, und umgekehrt Überweisungen in der Höhe von 175 Mio. # von Konten bei anderen Banken auf Konten bei der Bank BB in Auftrag gegeben wurden, dann muss die Bank BB lediglich 8 Mio. # an Reserven in das Clearingsystem zahlen, und alle Überweisungen des Tages können auf einen Schlag ausgeführt werden.

Es ist gut, dies im Hinterkopf zu behalten. Durch die Clearingstellen werden Schwankungen im Tagesverlauf geglättet, und so wird die Höhe der für den Zahlungsausgleich nötigen Reserven
weiter reduziert. Für die meisten Überlegungen kann man die Clearingstellen aber getrost ignorieren.

Freitag, April 06, 2012

Von Geld und der Zukunft der Eurozone

Allerorten hört man Seufzen, wenn die Rede von den Staatsschulden dieser Welt ist. So hoch seien sie. Wer soll das denn jemals bezahlen, fragt man? Die Sorge kommt daher, dass wir unsere eigene Erfahrung mit Geld auf die Situation der Staaten übertragen. Die Analogie ist verlockend. Sie ist aber leider auch falsch.

Was ist eigentlich Geld? Als Kinder lernen wir Geld als physikalisches Artefakt kennen. Geld, das sind Münzen und Scheine. Stolz bezahlen wir zum ersten Mal ein Eis selbst — mit Münzen. Später lernen wir, dass es Geld auch in weniger handfester Form gibt, nämlich als Zahl auf dem Konto. Diese neue Erfahrung erweitert unser Verständnis von Geld. Wir "wissen" nun, dass wir Geld auf die Bank tragen können, die es für uns hütet. Unsere Interaktion mit der Bank, bei der wir als Kinder oder Jugendliche lernen, wie man Scheine und Münzen einzahlt und sich Scheine später am Automaten wieder auszahlen lassen kann, festigt das Bild der Bank als Tresor, in dem unser physikalisches Geld lagert. Wir hören auch, dass die Bank mit unserem Geld mysteriöse Dinge tut, weshalb wir Zinsen bekommen. Wir finden das natürlich gut, auch wenn wir es — Hand aufs Herz — nicht so ganz verstehen. Und das, was wir zu verstehen glauben, ist in der Regel falsch.

Vor allem aber hat Geld für uns nach wie vor primär physikalischen Charakter. Wir sehen Geld als ein Ding, und unsere ursprüngliche Erfahrung mit Geld aus der Kindheit hinterfragen wir nicht. Das ist nicht wirklich unsere Schuld. In der Regel gibt es keinen Erwachsenen, der uns dazu ermuntern würde und dabei anleiten könnte. Das steht im deutlichen Gegensatz zum Beispiel zu unserem intuitiven Verständnis der physikalischen Welt, das im Schulunterricht gehörig auf den Kopf gestellt wird. Wer käme denn als Kind von alleine auf die Idee, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt? In der Schule und anderswo lernt man solche Tatsachen, und erlangt so ein schlüssiges und weitgehend korrektes Bild der physikalischen Welt, das sich vom kindlichen Verständnis in vieler Hinsicht deutlich unterscheidet. Eine äquivalente Bildung in Sachen Geld fehlt.

Daher denken die meisten Menschen leider auch als Erwachsene so über Geld, als wäre es ein physikalisches Artefakt. Für das Privatleben ist das in Ordnung. Menschen sind über Jahrtausende davon ausgegangen, dass die Erde im Mittelpunkt des Universums steht. Die falsche Annahme hat unseren fernen Vorfahren nicht geschadet, weil sie für ihren Wirkungskreis schlicht egal war. Genauso ist die Vorstellung von Geld als physikalischem Artefakt im Privatleben nicht weiter schädlich, weil sie dort als Analogie gut funktioniert. Aber die Analogie bricht in sich zusammen, sobald man die Mikroökonomie verlässt und über Wirtschafts- und Finanzpolitik auf makroökonomischer Ebene redet.

Aber was ist Geld denn nun wirklich? Es gibt keinen Konsens, der von heute auf morgen als ewige Wahrheit in die Schulbücher aufgenommen werden könnte, aber es gibt hilfreiche Sichtweisen, die unser Verständnis erweitern können. Insbesondere gibt es den Zusammenhang von Geld und Schulden, Vermögen und Verbindlichkeiten, der für mich hier im Vordergrund steht.

Geld ist Ausdruck einer Beziehung zwischen Menschen oder Institutionen. Jede Form von Geldbesitz ist gleichzeitig die Schuld bzw., mit weniger moralischen Konnotationen gesagt, die Verbindlichkeit eines anderen. Das Geld auf dem Bankkonto ist unser Vermögen und zugleich eine Verbindlichkeit der Bank. Wenn wir eine Anleihe besitzen, wie zum Beispiel einen Bundesschatzbrief, dann ist dieses Vermögen zugleich Verbindlichkeit des Ausgebers der Anleihe. Und die Banknoten, die wir mit uns tragen, sind Verbindlichkeiten der Zentralbank.

Diese Erkenntnis spiegelt sich in den Prinzipien der Buchführung wieder. Ich will das an einem Beispiel illustrieren. Wenn jemand etwas online auf Rechnung gekauft und noch nicht bezahlt hat, dann hat der Verkäufer ihm gegenüber eine Forderung. Diese Forderung ist eine Form von Geldvermögen. Auf der anderen Seite hält der Käufer eine Verbindlichkeit in seinen Büchern, nämlich die Verpflichtung, die Rechnung zu bezahlen.



Wie bezahlt der Käufer seine Rechnung? In der Regel per Überweisung, also mit Geld von seinem Konto. Dieses Geld auf dem Konto ist eine Forderung, die er gegenüber der Bank hat. In seiner privaten Bilanz löschen sich diese Forderung und die Verbindlichkeit gegenüber dem Verkäufer gegenseitig aus, sobald er die entsprechende Überweisung tätigt. Gleichzeitig wird die Forderung des Verkäufers uns gegenüber in eine Forderung gegenüber der Bank umgewandelt.



Man erkennt an diesem Beispiel einige zentrale Grundprinzipien eines Geldsystems:

  1. An jeder Transaktion sind, wenn man genau hinsieht, nicht nur zwei, sondern mindestens drei Parteien beteiligt: ein Käufer, ein Verkäufer, und ein Zahlungsdienstleister. In unserem Beispiel wird die letzte Funktion durch die Bank ausgefüllt. Wenn Käufer und Verkäufer ihre Konten bei verschiedenen Banken führen, dann erfüllen die Banken gemeinsam mit einer Clearingstelle (im Zweifelsfall ist das die Zentralbank) diese Funktion. Bei einer Barzahlung ist der Zahlungsdienstleister die Regierung in Form der Zentralbank, deren Dienstleistung in diesem Fall lediglich in der Produktion von Bargeld besteht.

    In jedem Fall stehen sowohl der Käufer als auch der Verkäufer in einer Geschäftsbeziehung zum Zahlungsdienstleister. Der Käufer hat zu Beginn eine Forderung gegenüber dem Zahlungsdienstleister, die dann als Zahlung in den Besitz des Verkäufers übergeht. Dieses Drei-Parteien-Prinzip wird besonders von den italienischen Circuitists gerne betont.

  2. Dadurch, dass der Käufer seine Schulden beglichen hat, ist die Bilanzsumme der Volkswirtschaft insgesamt geschrumpft. Vorher war die Bilanzsumme insgesamt gestiegen, als der Verkäufer implizit einen kurzfristigen, zinsfreien Kredit gewährt hat. Gleiches gilt für die Brutto-Geldvermögen, also die Summe aller finanzieller Forderungen ohne Gegenrechnung der Verbindlichkeiten. Durch den impliziten Kredit wurde eine neue Forderung geschaffen, und durch die Rückzahlung des Kredits wurde sie wieder vernichtet.

  3. Anders sieht es beim Netto-Geldvermögen aus, also wenn man die Verbindlichkeiten von den Forderungen abzieht. Das persönliche Netto-Geldvermögen des Käufers schrumpft durch den Kauf, was hoffentlich durch den realen Wert der gekauften Ware ausgeglichen wird. Aber über alle beteiligten Parteien aufsummiert bleibt das Netto-Geldvermögen gleich.
An dieser Stelle sei der Balance Sheet Visualizer empfohlen, auf dem man sich die Auswirkungen vieler wirtschaftlicher Transaktionen aus Sicht der Buchführung einmal selbst veranschaulichen kann. Dabei wird auch schnell klar, dass das Netto-Geldvermögen, wenn man es über alle wirtschaftlichen Akteure summiert, immer konstant bleibt, weil jeder Forderung eine gleich hohe Verbindlichkeit gegenüber steht.

Genauso wird klar, dass Staatsschulden einfach nur das rechnerische Gegenstück zum Netto-Geldvermögen des privaten Sektors plus Ausland sind. Mit dieser Erkenntnis sieht man in der Austeritätsdebatte klarer. Staatsschulden sind nichts Schlechtes, genau wie Geldvermögen im privaten Sektor nichts Schlechtes sind.

Sicher, wenn die Vermögen zu ungleich verteilt sind, dann sollte man dagegen etwas tun. Eine daran ausgerichtete Politik sähe aber ganz anders aus als das, was bei uns zur Zeit passiert. Und abgesehen von Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen ist es doch gut, wenn Privatpersonen in der Lage sind, ordentliche Vermögen und die damit verbundene wirtschaftliche Freiheit zu erlangen. Entsprechend sind auch die damit verbundenen Staatsschulden gut.

Die Höhe der Staatsschulden ist in der Eurozone nur deshalb so problematisch, weil die Mitgliedsstaaten nicht mehr monetär souverän sind. Ein vergleichender Blick in die USA ist da lehrreich. Der Schuldenstand der meisten US-Bundesstaaten liegt deutlich unter 20% des jeweiligen BIP. Die Finanzmärkte dort würden selbst die Maastricht-Grenze von 60% für die Bundesstaaten nicht akzeptieren. Es ist also kein Wunder, dass sich die Finanzkrise in der Eurozone zu einer Schuldenkrise entwickelt hat. Schließlich sind die Eurostaaten in Geldfragen in der gleichen Situation wie die US-Bundesstaaten.

Der Blick in die USA zeigt aber auch, wie die Eurozone repariert werden kann. Die dortige Bundesregierung ist monetär souverän und kann daher einen beliebig hohen Schuldenstand erreichen, ohne von den Finanzmärkten bedrängt zu werden. Man erinnere sich an das totale Desinteresse der Märkte an der Herabstufung durch Standard & Poor's.

Dies ist der Weg, der auch für die Eurozone vorgezeichnet ist. Eine monetär souveräne europäische Institution wird analog zur US-Bundesregierung auf lange Sicht den größten Teil der Schulden der Mitgliedsstaaten übernehmen, und sie wird auch danach fiskalisch aktiv bleiben, entweder direkt mit einem eigenen Haushalt oder indirekt über Weisungsbefugnisse an die Euromitglieder. Vor einigen Monaten mag das noch utopisch geklungen haben, aber da es der einzige gangbare Weg ist wird er nach vielem Hin und Her gegangen werden. Der Kauf von Anleihen durch die EZB und der Aufbau von EFSF, ESM und Fiskalpakt sind die ersten Schritte in diese Richtung.

Angesichts dessen möchte ich mit zwei Aufrufen schließen. Erstens, emanzipiert Euch von der kindlich-naiven Vorstellung von Geld als physikalischem Ding, und damit auch von dem Glauben, dass öffentliche Schulden und Defizite inhärent schlecht sind. Natürlich gibt es viele Staatsausgaben, die dumm sind. Aber unabhängig davon, dass einzelne Ausgaben schlecht sein können, ist ein langfristiges öffentliches Defizit meistens eine gute Sache, da es die Wirtschaft und die Menschen im privaten Sektor stützt.

An dieser Stelle grenzt sich Modern Monetary Theory ganz bewusst von Keynes ab. Der Staatshaushalt sollte sich antizyklisch bewegen, aber es gibt keinen Grund, einen langfristig ausgeglichenen Haushalt zu fordern. In der Regel ist ein Defizit auch im langfristigen Durchschnitt notwendig und gut, da es dem Verhalten des Privatsektors besser entspricht.

Überlegt Euch zweitens, welche Machtstrukturen Ihr bei der besagten monetär souveränen Institution für Europa vorfinden wollt. Sie wird über Geldflüsse in einer Größenordnung entscheiden, die die wirtschaftliche Entwicklung der Eurozone nachhaltig fördern, aber auch beschädigen können. Damit wird sie langfristig über das Schicksal von mindestens 300 Millionen Menschen mit bestimmen — deutlich mehr, wenn die Eurozone planmäßig ausgeweitet wird. Wer soll da am Hebel sitzen? Wie kann gewährleistet werden, dass diese Institution nicht im Interesse der Banken oder der sprichwörtlichen 0,1%, sondern im Interesse der gesamten Bevölkerung handelt? Darüber sollten wir nachdenken, bevor Tatsachen geschaffen werden. Ich wünsche uns allen viel Erfolg.

Mittwoch, Januar 25, 2012

Warum Geld?

Geld durchdringt unser Leben. Wenn dann mit dem Geld etwas gehörig schief läuft, wie in der sich nun schon seit Jahren in verschiedenen Formen hinziehenden Krise, dann wird schnell der Ruf laut, das Geld doch am Besten gleich ganz abzuschaffen. Das ist verständlich, wird Geld doch als Wurzel allen Übels wahrgenommen. Es ist aber auch intellektuell faul, da der Ruf nach Geldabschaffung in der Regel nur die eigene Unverständnis und Hilflosigkeit vertuschen will.

Zugegeben, sich dem Thema ernsthaft zu nähern kostet Zeit und Arbeit, und ab und zu muss man auch die eigenen Vorurteile ablegen. All das kann unangenehm sein. Ich versuche trotzdem, mich dem immer wieder zu stellen. Daraus entstehen dann unter anderem meine Blogeinträge zur Modern Monetary Theory. Und heute will ich mich ganz konkret der Frage widmen, ob Geld nicht vielleicht unausweichlich ist.

Wie werden innerhalb einer Gesellschaft die erwirtschafteten Güter verteilt? Man mag sich einen idyllischen kleinen Stammesverband vorstellen, in dem Geld dabei keine Rolle spielt. Es wird gejagt und gesammelt, und danach wird irgendwie verteilt.

Aber wer bekommt das größte Stück Fleisch? Wer bekommt die besten Felle? Wie auch immer die Entscheidung getroffen wird, niemand wird gerne übervorteilt. Damit es nicht zu Handgreiflichkeiten kommt, müssen die Stammesmitglieder den Überblick darüber behalten können, was fair und angemessen ist, und darüber Einigkeit herstellen können.

Dafür sind sowohl großer Verstand als auch ein gutes Gedächtnis nötig. Eine beliebte Theorie besagt, dass sich der Neocortex im Wesentlichen zur Bewältigung sozialer Aufgaben dieser Art entwickelt hat. Der Anthropologe Robin Dunbar hat eine Korrelation zwischen der Größe dieses Teils der Großhirnrinde und der typischen Größe sozialer Gruppen unter anderen Primaten festgestellt. Daraus hat er errechnet, dass die maximale Gruppengröße beim Menschen irgendwo zwischen 100 bis 230 Individuen liegen müsste. Wenn diese Größe überschritten wird, sind wir geistig nicht mehr in der Lage, den Überblick zu behalten.

Mit anderen Worten: wenn unser soziales und wirtschaftliches Netzwerk eine bestimmte Größe überschreitet, kann die Verteilung wirtschaftlicher Güter ohne technologischen Fortschritt nicht mehr funktionieren. Dieser Fortschritt bestand, historisch gesehen, in der schrittweisen Entwicklung von Schrift, Arithmetik, und Geld. Aber ist Geld unausweichlich?

Wie werden innerhalb einer Gesellschaft die erwirtschafteten Güter verteilt? Die Entstehungsgeschichte von Geld, die in der VWL meist erzählt wird, ist ziemlich naiv und hält empirischen Untersuchungen nicht stand. Aber sie legt zumindest nahe, dass reiner Tauschhandel für ein hochgradig differenziertes Wirtschaftssystem nicht geeignet ist.

Ich kann in einem Restaurant essen gehen, obwohl ich persönlich der Restaurantbesitzerin keinen realen Wert anbieten kann. Sie benötigt keine meiner besonderen Fähigkeiten, und auch an den Sachwerten, die ich besitze, hat sie wenig akutes Interesse. Aber es gibt in unserer Gesellschaft Personen und Organisationen, die meine Fähigkeiten nutzen wollen. Mittels Geld wird diese Wertschätzung greifbar und, noch wichtiger, übertragbar.

Geld ist eine flexible Abstraktion, die entgegen der Richtung von realen Gütern und Dienstleistungen zirkuliert. Ich bezahle im Restaurant, die Restaurantbesitzerin bezahlt Steuern, ihre Angestellten und Lieferanten, die wiederum ihre Angestellten und Lieferanten bezahlen, und so weiter. Mein Zahlungsstrom verzweigt sich und vermischt sich mit anderen, und irgendwann landet er wieder bei einer Organisation, die mein Gehalt bezahlt. Ohne Geld scheint eine derart komplexe Struktur kaum möglich. Aber geht es wirklich nicht anders?

Wie werden innerhalb einer Gesellschaft die erwirtschafteten Güter verteilt? Vielleicht hilft ein Beispiel bei der Beantwortung dieser Frage. Sagen wir, 100.000 Menschen in Deutschland hätten gerne ein neues Tablet, aber auf Grund beschränkter Produktionskapazitäten sind in naher Zukunft nur 50.000 verfügbar. Diese Einschränkung ist wichtig: die Verteilungsfrage würde sich nicht stellen, wenn wir Tablets einfach herbei zaubern könnten. Aber das können wir leider nicht.

Jedes Verteilungssystem muss mindestens zwei Dinge leisten:
  1. Besagte 100.000 Menschen müssen kommunizieren können, dass sie gerne ein Tablet hätten.
  2. Die 50.000 verfügbaren Einheiten müssen auf die 100.000 Menschen verteilt werden.
Hier ist die vermutlich einfachste Alternative zu dem heute bei uns praktizierten Verfahren. Wir könnten ein Formular bereitstellen, mit dem sich jeder selbst als Nachfrager eintragen kann. Danach werden die 50.000 verfügbaren Einheiten unter allen 100.000 Angemeldeten verlost.

Ein jeder mag sich zu den Schwächen und Unzulänglichkeiten dieses Modells seine eigenen Gedanken machen. Hier ist der m.E. größte Haken: das Modell ist unfair. Was jemand von der Gesellschaft bekommt ist unabhängig von dem, was er für die Gesellschaft leistet. Selbst die blauäugigsten Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens werden kaum behaupten, dass alle für unsere Gesellschaft notwendigen Arbeiten erledigt würden, wenn die Verteilung aller Güter allein nach diesem Zufallsprinzip geschähe.

Irgendwie wollen und müssen wir als Gesellschaft bewerten und dokumentieren, wie viel jemand, idealerweise im rein moralischen Sinne, verdient hat. Wir können uns winden, aber was bleibt uns am Ende anderes übrig, als dafür Zahlen zu verwenden? Und sind diese Zahlen dann nicht zwangsläufig zu Geld de facto äquivalent?

Vielleicht gäbe es mehr Restriktionen, wann und wie diese Zahlen hin- und hergeschoben werden können. Aber solche Restriktionen gibt es auch für unser heutiges Geld, und im Übrigen gibt es gute Gründe dafür, diese Zahlen prinzipiell für jeden verschiebbar zu machen - für privates Unternehmertum ist das zum Beispiel unabdingbar.

Ein anderer Haken des reinen Zufallsprinzips ist, dass es zu zufällig ist. In der Regel werden die meisten Menschen mit der Mischung an Gütern, die sie erhalten haben, nicht zufrieden sein. Es ist naheliegend, mit anderen zu tauschen. Aus diesem Tauschgeschäft wird zwangsläufig etwas entstehen, das zu Geld de facto äquivalent ist. Das kann das reale Äquivalent von Stones of Jordan sein. Zigaretten wären angesichts der empirischen Erfahrung ein naheliegender Kandidat. Wahrscheinlich ist auch, dass professionelle Tauschhändler ein eigenes Punktesystem einführen. Dann kommt jemand auf die Idee, dass man doch eigentlich Punkte beim Händler A gegen Punkte beim Händler B tauschen können müsste, und auf diese Weise wird unser modernes Geldsystem schrittweise neu erfunden.

Ich kann das Thema drehen und wenden wie ich will, das Ergebnis ist das Gleiche. Geld, in welcher Form auch immer, ist unausweichlich. Ich habe dafür keinen Beweis, der an mathematische Standards heran reicht, aber wer hat so etwas in diesem Gebiet schon? Und abgesehen davon: wem auch immer ich begegnet bin, der Geld gerne abschaffen würde, keiner hatte bis jetzt auf die hier aufgekommenen Fragen eine durchdachte Antwort.

So bleibt für mich nur ein Schluss möglich. Geld an sich ist nicht das Problem. Das Problem ist, wie wir damit umgehen, und welchen Regeln wir das Geld unterwerfen. An dieser Stelle müssen wir ansetzen und hartnäckig sein, auch wenn es manchmal kompliziert wird. Denn eins ist ganz klar: Geld ist von Menschen geschaffen, also kann es auch von Menschen geändert werden.

Montag, Januar 23, 2012

Zwei Briefumschläge und ein probabilistisches Wunder, Teil 2

Beim letzten Mal habe ich ein Rätsel vorgestellt und dessen Lösung versprochen. Wer über das Rätsel noch nicht nachgedacht hat, sollte jetzt schnell in einen anderen Tab wechseln oder die folgenden Spoiler in Kauf nehmen.

Aber bevor ich die Lösung präsentiere, hier zunächst noch einmal das Rätsel in Kurzform. Der Quiz-Master M in einer Quiz-Show hat zwei verschlossene Briefumschläge, in denen jeweils ein Zettel mit einer Zahl steckt. Die beiden Zahlen sind verschieden, aber darüber hinaus ist nichts bekannt, und der Quiz-Teilnehmer T muss sich nun festlegen, in welchem Umschlag er die größere Zahl glaubt. Liegt er richtig, so kann er in die nächste Runde weiter rücken.

Wir haben bereits gesehen, dass ohne ein Blick in die Umschläge die beste Strategie für T ist, einen der Umschläge zufällig auszuwählen. Er rückt dann mit Wahrscheinlichkeit 1/2 weiter. Deswegen denken wir über zwei Varianten nach.
  1. Der Quiz-Master (M) öffnet einen der Umschläge und zeigt T die Zahl darin, bevor dieser sich festlegen muss.
  2. T darf einen Umschlag seiner Wahl öffnen und die Zahl darin ansehen, bevor er sich festlegen muss.



Dem Quiz-Master ausgeliefert

In der ersten Variante gibt es keine bessere Strategie für T, und der Beweis ist ganz ähnlich zu dem im letzten Beitrag. Wir müssen die Strategie von M nur etwas präzisieren.

M schreibt in einen der Umschläge die Zahl 0. Danach entscheidet er mit Hilfe einer Münze, ob er in den anderen Umschlag die Zahl 1 oder -1 schreibt. Während der Show öffnet er immer den Umschlag mit der Zahl 0.

Wenn sich T auf einen Umschlag festlegt, dann geschieht dies stochastisch unabhängig vom Münzwurf von M, und damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass T weiter rückt, in jedem Fall 1/2 (denn er liegt mit dieser Wahrscheinlichkeit richtig, egal welchen Umschlag er wählt). Der formale Beweis ist analog zu dem letztes Mal diskutierten.


Die Wahl des Briefumschlags ist entscheidend

Wenn der Quiz-Master M die geschilderte Strategie einsetzt, und aber T auswählen kann, welcher Briefumschlag geöffnet werden soll, dann sieht die Situation auf einmal anders aus. Dann wählt T nämlich einen Umschlag zufällig aus. Mit 50%-iger Wahrscheinlichkeit öffnet er dabei den Umschlag, in dem die 0 steht - und dann ist er genau so schlau wie vorher. Ebenfalls mit 50%-iger Wahrscheinlichkeit öffnet er aber den anderen Umschlag, und dann gewinnt er in jedem Fall, weil er weiß, dass der ungeöffnete Umschlag eine 0 enthält. T gewinnt also mit Wahrscheinlichkeit 75%.

Diese Argumentation funktioniert aber nur, weil T weiß, wie sich der Quiz-Master verhält. Wie sieht es aus, wenn man dieses Wissen nicht hat? Erstaunlicherweise gibt es eine Strategie, die ganz allgemein funktioniert: T wählt zunächst eine zufällige Zahl z, gezogen gemäß einer Verteilung, deren Dichte überall positiv ist. Danach öffnet er einen der beiden Umschläge, zufällig gewählt. Wenn z größer als die Zahl im geöffneten Briefumschlag ist, so sagt T, die Zahl im anderen Umschlag sei größer, und umgekehrt.

Wie gut ist diese Strategie? Dazu unterscheidet man, ob z sich zwischen den Zahlen in den Umschlägen befindet oder nicht. Liegt z nicht dazwischen, so ist T genau so schlau wie vorher und gewinnt mit Wahrscheinlichkeit 50%. Liegt z aber zwischen den Zahlen in den beiden Umschlägen, so wird T immer richtig liegen. Da dies mit positiver Wahrscheinlichkeit geschieht, liegt die Gewinnwahrscheinlichkeit von T insgesamt ein wenig über 50%.