Sonntag, Juli 21, 2013

Transferzahlungen und Targetsalden

Seit vielen Jahren werden die Völker Europas durch die Folgen der Finanzkrise zermürbt. Die humanitäre Situation in Griechenland ist so schlecht wie eh und je, und eine Besserung ist nicht in Sicht, jedenfalls nicht außerhalb von Sonntagsreden. Ich sehe auch die Krisenmüdigkeit, die sich deswegen in Europa ausgebreitet hat. Nach so langer Zeit begegnen viele der Krise mit emotionaler Erschöpfung.

Die Diagnose hat sich in den letzten zwei Jahren wenig verändert. Die Handelsungleichgewichte innerhalb der Eurozone haben zum "monetären Ausbluten" einiger Mitgliedsstaaten geführt, in denen deshalb die Wirtschaft zusammen gebrochen ist. Der Geldmangel verhindert ein sinnvolles Wirtschaften, und Ressourcen liegen brach während Menschen leiden.

Es ist richtig, dass in Griechenland nicht so produktiv gearbeitet wird wie in Deutschland. Aber dass in Griechenland deshalb Menschen gar nicht arbeiten, obwohl sie können und wollen, das ist ein großes Unglück. Richtig pervers wird dieses Unglück dadurch, dass es nur über ein soziales Konstrukt -- nämlich den Mangel an Geld -- ausgelöst wurde.

In einer funktionierenden Währungsunion wäre die Krise schon längst überwunden, und zwar durch zwei gleichzeitig wirkende Mechanismen. Erstens würden Menschen auf der Suche nach Einkommen in ein anderes Land umziehen. Dies geschieht in Europa wegen der Sprachbarrieren nur unzureichend. Zweitens würden Geldtransfers in Form von automatischen Stabilisatoren den Geldmangel ausgleichen: In den USA wird das, was an Sozialhilfe und Arbeitslosengeld existiert, zu großen Teilen von der zentralen Bundesregierung finanziert. In Kombination mit dem Steuersystem ergibt sich ein impliziter Geldtransfer von reichen zu armen Bundesstaaten. Die Eurozone hat jedoch keine Zentralregierung und damit keine zentral implementierten automatischen Stabilisatoren.

Die Krise löst sich nicht von allein, und die Politik eiert ineffektiv herum.

Nun las ich vor Kurzem die Behauptung, die Target-Salden verhielten sich wie implizite Geldtransfers:
Transferzahlungen, um die Leistungsbilanzdefizite der Peripherie zu beseitigen bedeuten nichts anderes, als dass die Überschussländer den Defizitländern das Geld schenken, um die Importe zu bezahlen.

So einfach ist das. Im Augenblick passiert das implizit über nicht ausgeglichene Targetsalden im Eurosystem[.]
Das hat bei mir mal wieder ein Kopfschütteln ausgelöst, das ich dem geneigten Leser gerne erklären möchte. Dazu muss ich aber etwas weiter ausholen.

Was sind eigentlich Target-Salden?

Erst einmal muss man sich vergegenwärtigen, wie Überweisungen funktionieren: Wenn Person A von ihrem Konto bei der A-Bank etwas Geld an Person B mit Konto bei der B-Bank überweist, dann gleichen die Banken diese Zahlungen untereinander aus, indem die A-Bank eine zweite, parallel laufende Überweisung tätigt, bei der Zentralbankgeld vom Konto der A-Bank bei der Zentralbank auf das Zentralbankkonto der B-Bank überwiesen wird. So logisch, so einfach (und vereinfacht), so gut.

Nun ist das Europäische Zentralbanksystem nicht vollständig vereinheitlicht. Es gibt zwar die EZB als eigentliche Zentralbank der Eurozone. Aber auch die Zentralbanken der Länder existieren weiter. Die Zentralbanken der Länder erstellen auch nach wie vor separate Bilanzen, hier die der Bundesbank, der deutschen Zentralbank.

In den Bilanzen der Landes-Zentralbanken stehen die Zentralbankkonten der Banken aus diesem Land auf der Passiv-Seite, wie das in einer Bankbilanz eben üblich ist. (An dieser Stelle sei auch einmal wieder der exzellente Balance Sheet Visualizer empfohlen, mit dem man sich Bilanzen und die Veränderungen darin aus einer makroökonomischen Perspektive anzeigen lassen kann.)

Wenn nun Menschen und Unternehmen in Griechenland weitaus mehr aus Deutschland importieren als umgekehrt, dann wird mehr Geld aus Griechenland nach Deutschland überwiesen als umgekehrt. Das bedeutet natürlich auch, dass -- netto betrachtet -- griechische Banken Zentralbankgeld an deutsche Banken überwiesen haben. Die Passiv-Seite der Bilanz der Bundesbank ist deshalb im Laufe der Jahre deutlich gewachsen.

In einer ordentlichen Bilanz müssen die Aktiv- und Passiv-Seiten gleich hoch sein. Also muss auch die Aktiv-Seite gewachsen sein. Damit das alles funktioniert, wurden beim Aufbau des europäischen Zentralbanksystems die Target-Salden erfunden. In der Bilanz der Bundesbank steht auf der Aktiv-Seite eine Target-Forderung (versteckt in Punkt 9.4 der Aktiva). Die Höhe dieser Forderung dokumentiert auf den Cent genau, wie viel Zentralbankgeld seit Gründung des Euro aus dem Rest der Eurozone nach Deutschland netto überwiesen wurde[1].

Mit anderen Worten: Die Target-Salden dokumentieren, dass Geld von Griechenland nach Deutschland geflossen ist! Spätestens hier wird der eingangs zitierte Vergleich von Target-Salden mit Transferzahlungen äußerst suspekt.

Der Vergleich bricht gänzlich in sich zusammen, wenn man sich die Frage stellt, woher dieses Geld, das nach Deutschland geflossen ist, ursprünglich gekommen ist, und wie es um die Netto-Geldvermögen bzw. Netto-Schulden der Menschen und Unternehmen in Griechenland bestellt ist.

Geld entsteht in unserem Geldsystem im Wesentlichen durch Kreditvergabe. Zentralbankgeld entsteht also primär dadurch, dass Banken einen Kredit bei der Zentralbank aufnehmen, oder zu Krediten de facto identische Wertpapiergeschäfte mit der Zentralbank durchführen (sogenannte Repo-Geschäfte). Die Banken wiederum machen das nicht aus Spaß. Sie brauchen das Zentralbankgeld zum Zahlungsausgleich, weil Kunden der Bank Kredite aufgenommen haben. Letztlich ist das Geld, das nach Deutschland geflossen ist, also dadurch entstanden, dass sich Menschen, Unternehmen, und natürlich auch der Staat in Griechenland verschuldet haben.

Ändert sich an diesen Schulden etwas durch die Target-Salden? Natürlich nicht. Ändert sich an den eigenen Schulden zumindest netto etwas, wenn man Geld geschenkt bekommt? Natürlich ja.

Mit anderen Worten: Target-Salden sind keine Transferzahlungen. Sie haben auch keine Ähnlichkeit mit Transferzahlungen. Dass es überhaupt Menschen gibt, die auf diese Idee kommen, haben wir wahrscheinlich nur Meister Unsinn zu verdanken.



[1] Um genau zu sein dokumentiert sie, wie viel Zentralbankgeld netto von nicht-deutschen Banken zu deutsche Banken überwiesen wurde.

Ein Beispiel: Wenn ein Deutscher im Euro-Ausland lebt, dort ein Konto bei einer lokalen Bank eröffnet, dann wieder zurück nach Deutschland zieht und das Konto aber behält, dann fließt durch seinen Umzug natürlich kein Zentralbankgeld nach Deutschland. Erst, wenn er in Deutschland einkauft und elektronisch zahlt (bei einem Händler, dessen Konto bei einer deutschen Bank liegt), oder bei einem Geldautomaten einer deutschen Bank Geld abhebt, fließt Zentralbankgeld durch den Zahlungsausgleich nach Deutschland.

Ausschlaggebend ist also immer, über welches Zentralbankkonto die beteiligten Banken ihren Zahlungsverkehr abwickeln, und in welchem Land dieses Zentralbankkonto angemeldet ist.

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