Montag, Dezember 24, 2007

New Orleans

Am Donnerstag bin ich mit einer Stunde Verspätung am Flughafen von New Orleans angekommen. Seit Langem habe ich zum ersten Mal wieder ein eingechecktes Gepäckstück schnappen müssen (ich hatte weder in Denver noch in Boston ein größeres Gepäckstück dabei) und durfte mich dabei über den heruntergekommenen Flughafen ohne Anzeige auf den Karussels freuen. Wenigstens war die Verspätung meines Fluges ganz okay, denn ich musste, Verspätung eingerechnet, immer noch zwei Stunden auf Sebastian warten, der seinen Anschlussflug in Philadelphia trotz allen Bemühungen der US-Einreisebehörde erreicht hat. Wir wollten eigentlich mit einem Bus in die Innenstadt fahren, aber nachdem wir eine halbe Stunde umsonst gewartet hatten haben wir doch eins der Shuttles genommen. Das Internet und die lokalen Bediensteten waren sich einig darüber, dass der Bus eigentlich hätte fahren müssen, aber die vollkommen fehlende Ausschilderung hat mich doch irgendwas verunsichert.

So sind wir spät abends eben direkt vor der Haustür des India House Backpackers Hostel angekommen. Das Hostel ist ein rundherum angenehmer Ort. Natürlich muss man mit den bei diesen Hostels üblichen Residents klarkommen, aber die waren hier alle ganz nett. Auch sonst schlägt der Ort hier meine Erfahrungen in Denver um Längen, da er von kostenlosem WLAN und ATM bis zur täglich aktualisierten Tafel mit Live Music-Locations einfach no-Nonsense-praktisch eingerichtet ist.

Da wir zwar Hunger hatten, aber dann doch nicht unbedingt Ramen Noodles aus dem Automaten essen wollten, sind wir nochmal rausgegangen und die Canal Street heruntergelaufen. Da das Hostel aber ein ganzes Stück außerhalb von Downtown liegt haben wir in der Nähe nur einen McDonald's und einen Burger King direkt daneben gefunden. Beide hatten schon zu, nur der Drive Through war jeweils noch offen. Wir haben also beschlossen, dass wir endlich einmal tun sollten, wovon andere nicht mal träumen: Zu Fuß durch den Drive Through laufen. Es hat sich herausgestellt, dass man zu Fuß leider keinerlei Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Die Sprechanlage ist vermutlich mit einer Induktionsschleife gekoppelt, die auf uns einfache Fußgänger natürlich nicht angesprungen ist.

Also sind wir zum Ausgabefenster vorgelaufen und haben dort die Aufmerksamkeit auf uns gezogen. Ich habe die Angestellte freundlich aber deutlich darauf hingewiesen, dass wir nunmal hier seien und sie ja einfach eine Bestellung entgegennehmen könnte. Ich habe sogar angeboten, so zu tun, als würde ich in einem Auto sitzen. Leider hat sie scheinbar nicht die notwendige Flexibilität besessen, und ihr Kollege war noch weniger hilfreich.

Irgendwann ist dann hinter uns ein Van vorgefahren, dessen Fahrer sich offensichtlich nicht traute, an uns vorbeizufahren. Ich bin zu ihm hingelaufen und habe ihm die Situation erklärt. Daraufhin hat er von sich aus vorgeschlagen, uns einmal um den Block zu nehmen um dann mit uns nochmal durch den Drive Through zu fahren. Das Angebot haben wir natürlich gerne angenommen, und so sind wir letztendlich doch noch an unser ungesundes Essen gekommen.

Ich fordere meine Leser dazu auf, das Experiment einmal irgendwo in Deutschland durchzuführen, und mir das Resultat mitzuteilen. Falls sich die Leute dort auch so unflexibel stellen sollten ist es vielleicht an der Zeit, ein Gerät zu basteln, mit dem man einer Induktionsschleife ein Auto vorgaukeln kann...

Am nächsten Morgen haben wir Iris, Amandines und Veronicas Mitbewohnerin aus Südkorea, vor dem Hostel getroffen. Die Welt ist doch klein! Es war nett, nochmal mit ihr zu reden. Sie war mit einem Freund schon länger in New Orleans, und die beiden haben uns ein paar Tipps gegeben.

Wir sind mit dem Trolley auf der Canal Street bis zum Lieblingswort aller Kombinatoriklehrer gefahren und sind ein paar Stunden lang durch die Gegend des French Quarters gelaufen. Am Jackson Square haben wir den Musikern zugehört und den Zauberkünstlern zugesehen, die zum Teil schon verdammt flinke Finger haben müssen - und natürlich ein noch flinkeres Maul, denn ein Großteil der Unterhaltung kommt von flotten Sprüchen. Und den ganzen Tag über sind wir blauen Menschen begegnet, da an dem Tag der New Orleans Bowl (College Football, was sonst?) stattfand. Die blauen Menschen waren übrigens aus Memphis und am Abend nicht mehr ganz so guter Laune. Einige von ihnen haben das wohl durch zusätzliche Bläue ausgeglichen.

Das French Quarter wirkt in den USA ziemlich fehl am Platz. Sympathische alte zwei- oder dreistöckige Steinhäuser stehen eng aneinandergedrängt an den kleinen Gassen, wie man sie eigentlich eher in Südeuropa vermuten würde. Zudem haben die Häuser hübsche Eisenbalkone, an denen sich gerne die Pflanzen entlangschlängeln.

Allerdings sind nicht alle Teile New Orleans' so schön. Wenn man auf der Canal Street aus Downtown herausfährt, in die Gegend unseres Hostels, sieht man eine Menge verlassener und auch einfach heruntergekommener Gebäude. An dieser Stelle wäre es schon interessant, einen vor/nach-Katrina-Vergleich zu sehen, aber so etwas scheint es nur in Büchern zu geben und nicht etwa hautnah. (Aus Touristensicht muss man an dieser Stelle Paderborn, wo an einigen Stellen in der Innenstadt Vergleiche zur Zeit vor und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auf Tafeln zu sehen sind, loben.)

Abends sind wir einem Tipp folgend in die Preservation Hall in der Nähe der Bourbon Street gegangen. Ich bin ja normalerweise nun wirklich kein Fan von Jazz, aber das Konzert dort hat sich definitiv gelohnt. Der beste und ehrlichste Indikator dafür ist, dass die drei Stunden unglaublich schnell vorbeigegangen sind. Bourbon Street selbst ist auch faszinierend. Überall wird lebendige Musik gespielt, und, da es sich um einen der wenigen Orte der USA, an denen öffentliches Trinken offiziell erlaubt ist, handelt, Handgranaten und Hurrikane verkauft. Die Polizei zeigt entsprechend noch stärkere Präsenz als sonst überall in New Orleans (das tatsächlich ein Polizeidepartment hat, auch wenn sich selbiges "NOPD" abkürzt). Richtig orwellsch wirkten die mobilen Wachtürme, die die Polizei an mehreren Kreuzungen auf der Bourbon Street und anderswo aufgestellt hat. Aber vermutlich sind solche Maßnahmen notwendig, um den durch Plünderungen zerstörten Ruf von New Orleans wieder herzustellen.

Am Samstagmorgen haben wir die Greyhoundstation ausgekundschaftet, bevor wir dem Voodoo-Museum einen Besuch abgestattet haben. Voodoo wurde von afrikanischen Sklaven in die Gegend von New Orleans gebracht. Dort ist es scheinbar auf fruchtbaren Boden gestoßen und hat sich mit diversen anderen Kulten vermischt. Entsprechend präsent ist Voodoo überall in New Orleans. Heutzutage gibt es zum Beispiel eine Ladenkette, die sich VoodooMart nennt.

Wir sind dann noch zum Garden District, einem vor allem dank dichter Bewaldung und niedlicher Häuser echt hübschen Wohngebiet gefahren und haben dort einen Friedhof mit diesen aus Filmen bekannten Grabmonumenten besucht. Da der Grundwasserpegel keine vernünftigen Bestattungen erlaubt, haben die Bewohner der Gegend irgendwann angefangen, Minimausoleen zu bauen, und so die perfekte Szenerie zum Versteckspielen geschaffen.

Als wir abends im Hostel gespeist haben wurden wir dank unserer deutschen Unterhaltung von einer Grazerin namens Jule in wunderbar österreichischem Dialekt angesprochen. Endlich habe ich mal wieder jemanden "heuer" (bzw. eigentlich "heier") sagen hören! Sie ist nach einem Auslandssemester in Atlanta ebenfalls auf einer USA-Reise und noch mit uns zur Bourbon Street gekommen, wo wir den jungen - die meisten von ihnen waren wahrscheinlich jünger als ich (jetzt komme ich mir schon vor wie Lars...) - Jazzmusikern auf der Straße gelauscht haben. In die Lokale sind wir dank hierzulande üblicher Altersbeschränkung leider nicht hereingekommen, und so hat der sintflutartige Regen, der nach kurzer Zeit angefangen hat, unserem Ausflug ein hektisches Ende verpasst. Immerhin hat sich der Fahrer unseres Streetcars richtig zuvorkommend um uns Fahrgäste gekümmert. Einer fünfköpfigen Familie hat er zum Beispiel einen Regenschirm mitgegeben, und für uns hat er an einer Stelle mit direkterem Weg zum Hostel gehalten. Diese Art von Freundlichkeit fehlt bei uns in Deutschland leider.

Damit war unsere Zeit in New Orleans auch schon fast vorbei, denn heute früh sind wir um kurz nach 6 Uhr wieder mit dem Streetcar abgefahren, um die achtstündige Fahrt mit dem Greyhoundbus nach Houston anzutreten.

Ich wünsche allen Lesern (innen und außen) frohe Weihnachten!

Samstag, Dezember 22, 2007

Die Schöne ist das Biest

[Der Blogpost bittet um Entschuldigung für die Verspätung. Er hat einen langen Weg hinter sich.]

Ich sitze gerade im Flughafen von Houston, wo zum ersten Mal jemand eins meiner XKCD-T-Shirts erkannt hat, und bin gerade dabei, wieder einigermaßen aufzutauchen. Die letzten anderthalb Wochen waren mit Finals und Abschieden so vollgepackt, dass kaum Zeit zur Reflektion übrig blieb. Ich habe also einiges nachzuholen.

Vielleicht sollte ich beim vorletzten Wochenende anfangen, als Oklahoma im Eis versunken ist. Nach einer finsteren und stürmischen Nacht sind wir in einer stillen, bizarren und zugleich wunderbar schönen Welt aufgewacht. Da die Temperaturen gerade so um den Gefrierpunkt waren hat es zwar geregnet, der Regen ist aber direkt am Boden zu einer zentimeterdicken Eisschicht gefroren. So hatten wir Eiszapfen vor dem Fenster, zugeeiste Treppengeländer und Eis auf dem Fliegengitter. Noch beeindruckender war aber der Effekt auf die Natur. Der Anblick der vom Eis bezwungenen Bäume und Büsche war atemberaubend, und die Erinnerung an das Knistern, als ich in Sandalen über den Rasen gelaufen bin, ruft mich immer wieder in die Kindheit zurück. Es war, als hätte jemand die ganze Welt über Nacht in eine ausgefeilte Skulptur verwandelt.

Allerdings gab es auch genügend Menschen, die sich zu Recht weniger gefreut haben. Bäume sind nun einmal nicht für Eisstürme ausgelegt, und dementsprechend sind viele von ohnen unter dem Übergewicht des Eises zusammengebrochen. Norman glich in dieser Hinsicht noch tagelang einem Schlachtfeld. Und was Äste zufriert, friert natürlich auch oberirdische Stromleitungen zu, mit unangenehmen Folgen für einen Großteil von Norman. So ist es schon irgendwie verständlich, dass die Uni am Montag geschlossen blieb, und alle montäglichen Finals auf den folgenden Samstag verschoben wurden. Die Situation in Norman mit der Flut in New Orleans zu vergleichen, wie auf manchen Onlineforen geschehen, ist trotzdem lächerlich.

An den folgenden Tagen hat sich das Wetter jedenfalls wie ein auf frischer Tat ertapptes Kind verhalten, und seit dem großen Unwetter waren kaum noch Wolken am Himmel zu sehen. Gestern bin ich bei strahlendem Sonnenschein mit Amandine auf dem Rasen gelegen. Im Wetterbericht wurde uns trotzdem noch lange für den jeweils nächsten Tag Schnee versprochen. Es hat zwar auch tatsächlich einmal geschneit, aber liegengeblieben ist nichts. Daher musste die Schneeballschlacht M-Gebäude gegen L-Gebäude leider ausfallen. Dabei hatte ich mich so darauf gefreut...

In den nächsten Tagen werde ich mit meinem Bruder New Orleans besuchen, und dann nach einem "Abstecher" nach Houston zum Space Center nach Washington D.C. fliegen. Die gemeinsame Reise werden wir mit einer mehrtägigen Rundfahrt durch Florida abschließen.

Sonntag, Dezember 09, 2007

Eiszapfen

Letzte Nacht hat es bei eisigen Temperaturen heftig geregnet, und die Kälte hat vor unseren Fenstern für Eiszapfen gesorgt. Welch Kontrast zu den 40°C, die wir im August hatten...

Manchmal lernt man in den unwahrscheinlichsten Momenten Neues. Ich verstehe zum Beispiel endlich, warum Körper auf englisch field heißt. Ob die Verbindung etymologisch direkt über das französische corps lief weiß ich nicht. Tatsache ist, dass corps zwar hauptsächlich Körper bedeutet, aber zusätzlich auch Feld im Sinne von Berufsfeld und ähnlichem bedeuten kann. Und damit ist nun auch dieses Rätsel des (mathematischen) Alltags zu meiner Zufriedenheit gelöst.

Immer wieder überraschend ist, welche Teile deutscher Kultur ins Ausland dringen. Dass ausgerechnet Rammstein offenbar die international bekannteste deutsche Band ist habe ich ja inzwischen akzeptiert. Jetzt habe ich darüber hinaus erfahren, dass Tokio Hotel dafür verantwortlich ist, dass französische Jugendliche vermehrt Deutsch lernen wollen...

Donnerstag, Dezember 06, 2007

Mir könnet alles

... außer Hochdeutsch. Wer Sinn für Humor hat und/oder 24 kennt, sollte sich das hier einmal ansehen. Man kann von der Originalserie halten was man will, die Idee daraus eine schwäbische WG-Soap zu machen ist genial und wurde genial umgesetzt.

Danach möchte ich den interessierten Leser bitten, sich diesen SWR-Beitrag zum Thema anzusehen, und dann über die angesprochene Problematik nachzudenken.

Für mich ist das ein klarer Fall von Perversion im Urheberrecht, wie sie sich in letzter Zeit leider häufen. Wann immer wir über Gesetze reden sollten wir im Hinterkopf behalten, welchem Zweck das Recht dienen soll. Ein Großteil der existierenden Gesetze dient sicherlich einfach dem friedlichen Zusammenleben, aber trifft das auch auf das Urheberrecht zu? Was würde ohne Urheberrecht passieren?

Unsere Gesellschaft würde sicher nicht zusammenbrechen. Aber das Urheberrecht kann den kreativen Menschen, die signifikant zu unserer Kultur beitragen, dabei helfen, ein geregeltes Leben zu führen. (Ich sage hier bewusst "kann", denn schließlich kommt es auf die konkrete Form des Urheberrechts an.) Die Gesellschaft als Ganze hat ein Interesse an einem reichhaltigen Kulturgut, und das entsteht nur durch die Arbeit von talentierten Menschen. Also kommt die Gesellschaft den talentierten Menschen entgegen, indem ein Urheberrecht eingeführt wird.

In dem konkret vorliegenden Fall wird dieses Ziel des Urheberrechts aber ins Gegenteil verkehrt. Sie sind zwar keine Hitchcocks, aber die Resynchronisationen von 24 und anderen Filmen bereichern zweifellos unser Kulturgut, womöglich auf kreativere Weise als die Originale selbst!

Die Nutzung des Filmmaterials in den Resynchronisationen ist zudem in jeder Hinsicht fair, nicht zuletzt weil die kreativen Köpfe, die viel Zeit in diese Resynchronisationen stecken, kein Geld dabei verdienen. Außerdem verlieren die ursprünglichen Autoren der Filme durch all das keine Kunden. Es ist also in unser aller Interesse, dass die schwäbischen Stimmkünstler und andere frei schaffen und ihr Gesicht zeigen können. Nur leider beraubt uns zu strenges oder zu streng ausgelegtes Urheberrecht in diesem und ähnlichen Fällen von wertvollem Kulturgut.

Wer die Entwicklung des Urheberrechts in den letzten Jahren verfolgt hat (nicht nur in Deutschland) wird feststellen, dass die Gesetzgebung die Interessen der Gesellschaft aus den Augen verloren hat. Leider entwickelt sich unser Urheberrecht in eine Richtung, die nicht der Bereicherung des Kulturguts, sondern der Kontrolle des Kulturguts dient. Das muss geändert werden.

Das ist die Stelle, an der in der klassischen Präsentation der Punkt "Und genau so könnt ihr handeln!" kommen sollte. Dummerweise handelt es sich hier nicht um ein Problem, das von heute auf morgen behoben werden kann. Ihr müsst bedenken, dass es eine handvoll milliardenschwerer Unternehmen gibt, deren Existenz womöglich davon abhängt, dass sich das Urheberrecht entgegen der Interessen der Gesellschaft weiterentwickelt. Solange diese Unternehmen in ihrer heutigen Form existieren wird das Urheberrecht nicht zur Ruhe kommen.

Sofern Ihr also nicht gerade zu den wenigen Bundestags- und Europaparlamentsmitgliedern gehört, die mein Blog lesen, ist Eure wichtigste Aufgabe, dieses Problem im Hinterkopf zu behalten und immer, wenn es in einer Diskussion sein hässliches Gesicht zeigt, auf der richtigen Seite zu stehen. Es schadet natürlich auch nicht, darüber Bescheid zu wissen, wer in diesem Gebiet aktiv ist.

Mittwoch, Dezember 05, 2007

Die Wiege der Freiheit

Es kann nicht sein, dass man zwei Mal, und dann auch noch so lange, in den USA ist, ohne nach New England gekommen zu sein. Also habe ich, da die Finals vor der Tür stehen auf eigene Faust, vor einiger Zeit einen Trip nach Boston gebucht. Am Samstagmorgen, viel zu früh für vernünftige Menschen, hat Alexis mich an den Flughafen gefahren, zusammen mit Dany, der allerdings ein anderes Ziel im Sinn hatte. Ganze 35 Minuten vor dem Abflug habe ich eingecheckt. Da der Flughafen von Oklahoma City schön klein ist und die Schlange an den Sicherheitskontrollen kurz war war das kein Problem, aber trotzdem halte ich's beim nächsten Mal lieber nicht so knapp. Das Umsteigen in Minneapolis war auch nochmal eher hektisch, aber am Ende bin ich wohlbehalten bei eiskaltem, aber klaren Wetter in Boston angekommen.

Der Flughafen dort ist irritierend ausgeschildert, aber ich habe den Bus ins Stadtinnere, der sich übrigens auf halber Strecke in eine Pseudo-U-Bahn verwandelt, letztendlich gefunden. Als erstes bin ich nach Cambridge gefahren und bin dort über den Campus von Harvard und durch das umherliegende Viertel geschlendert. Zu dieser Jahreszeit sind viele der Bäume schon kahl, die anderen strahlen dagegen im satten Rot oder Braun, selten auch mal Gelb. Was die Botanik anbelangt putzt sich die University of Oklahoma deutlich schöner heraus als Harvard. Dafür sind die Gebäude von Harvard wirklich altehrwürdige Ziegelbauten und tun nicht nur so.

Richtig voll mit Leben ist der Harvard Square, wo ein Café, Restaurant oder Laden neben dem nächsten steht. Trotz frierenden Füßen und Händen waren hier auch offenbar noch Filmstudenten am Werk, und mit zwei Greenpeace-Werbern, die schon über sechs Stunden in der Kälte gestanden hatten, habe ich mich köstlich darüber unterhalten, dass es bei solchen Minusgraden besonders schwierig sein kann, den Leuten klarzumachen, dass Global Warming Realität ist. Es war schon dunkel, als ich in Dunkin' Donuts, einer wie sich später herausgestellt hat für Boston typischen Kette, eine heiße Schokolade getrunken hatte.

Also bin ich ins Stadtinnere gefahren. Da ich den Bostontrip unter Einfluß von Denver gebucht habe und kein Hostel in Boston selbst mehr frei war hatte ich dort ein recht günstiges Hotel gebucht. Als ich dort ankam, war ich dann ziemlich baff, wie nobel alles dort aussah. Manch einer suchte den Exzess in Las Vegas, mich hat er in Boston überrumpelt.

Auf der Suche nach Essen bin ich einen Block weiter zum Boston Common, einem Park, der traditionell als Zentrum des Lebens in Boston diente, gelaufen. Der Park ist recht groß und hat entgegen meinen Vermutungen nur an einer Seite erschwingliches Essen zu bieten. In einem McDonald's habe ich dann immerhin mehr als nur Bauchfüllung gefunden und mich mit drei Au-Pair-Mädels aus nicht ganz allen Teilen Deutschlands unterhalten.

Den gesamten Sonntag habe ich damit verbracht, dem Freedom Trail zu folgen. Dieser unter anderem vom National Park Service unterhaltene Pfad führt quer durch Boston an Museen und historischen Stätten vorbei, zum Beispiel an der Faneuil Hall, die immer noch wie ursprünglich als Markthalle genutzt wird. In der Faneuil Hall wurde der Geschichte zufolge die Boston Tea Party geplant, eines der filmreiferen Ereignisse im Vorfeld des Unabhängigkeitskrieges. Auch Kirchen, Friedhöfe und ein überdimensioniertes Denkmal für eine Schlacht säumen den rot markierten Pfad durch die Stadt. In Charlestown, auf der anderen Seite des Charles River, befindet sich an dem Pfad das älteste immer noch, oder besser gesagt wieder, seetaugliche Kriegsschiff der Welt, das immerhin schon 210 Jahre auf dem Buckel hat. Obwohl ich nicht einmal in die Museen gegangen bin ging die Sonne mal wieder zu früh unter, weshalb ich den Pfad nicht mehr ganz zu Ende gelaufen bin.

Während ich dem Pfad gefolgt bin habe ich verstanden, warum Boston so sympathisch wirkt. Im Gegensatz zu allen anderen Städten, die ich in den letzten Monaten besucht habe, kann Boston auf eine echte, immerhin fast 400 Jahre lange Geschichte zurückblicken, die sich eben nicht nur in Form von Monumenten zeigt sondern auch darin, dass die Stadt wie eine richtige Stadt, die nicht einfach nur aus Schachbrettmustern besteht, gewachsen ist.

Als ich wieder in der Innenstadt war hat es angefangen zu schneien. Ich bin noch zum Prudential Center, einem großen Einkaufszentrum, gefahren und habe dort Au Bon Pain selbiges genossen, aber danach hat mich die Kälte doch von weiteren Ausflügen abgehalten.

Am nächsten Morgen hatte ich eigentlich vor, den Skywalk im 50. Stock des Prudential Center Towers zu besuchen, aber Boston hatte sich über Nacht in ein wolkiges Kleid gehüllt, was den Plan zunichte gemacht hat. Also bin ich nach einem kurzen Spaziergang über Copley Plaza und der Auskunft, dass der Eintritt in die angrenzende Trinity Church 5$ kosten würde, noch einmal nach Cambridge gefahren, diesmal um mir den Campus des MIT anzusehen.

Mit Ausnahme vom Hauptgebäude, das, abgesehen von den Inschriften, mehr einem Schloss als einer Universität glich, scheint am MIT Funktion generell vor Form zu gehen. Die Betonbauten erinnerten mich sehr an so manche im 20. Jahrhundert entstandene oder signifikant erweiterte Universität in Deutschland. Sympathisch ist auch die ungewöhnlich hohe Dichte von Differentialgleichungen auf der Kleidung der Menschen.

Wer hinreichend besonders ist, sollte damit nicht prahlen. Diese Maxime scheint am MIT und an Boston insgesamt nicht vorbeigegangen zu sein, was mir die Stadt noch ein Stückchen sympathischer gemacht hat. Nur eins von vielen Beispielen ist der vollkommen unscheinbare Friedhof in der Nähe des Boston Commons mit seinen mickrigen Grabsteinen. Auf einer Tafel fand ich im Kleingeschriebenen den Hinweis, dass auf dem Friedhof neben einigen Gouverneuren von Massachusetts auch drei Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung dort begraben liegen. Der einzige größere Brocken ist Benjamin Franklins Eltern gewidmet (er selbst ist in Philadelphia gestorben).

Am Montagnachmittag bin ich aus dem Schneegestöber ins MIT Museum geflüchtet, wo ich auf einem Modellhochhaus Tetris gespielt habe. Mit dem Spracherkennungssystem, mit dem man angeblich übers Wetter reden kann, hatte ich leider weniger Erfolg. Angeblich werden diese Dinger ja immer besser, aber zumindest am MIT habe ich davon nichts gesehen...

Und jetzt bin ich wieder zurück in Norman und blicke mit einem weinendem und einem lachenden Auge dem Ende meiner Zeit hier entgegen.

P.S.: Herzlichen Glückwunsch an Christoph und viel Erfolg in Kalifornien, wenn's soweit ist!