Mittwoch, November 09, 2011

Die Marktlogik der Popkultur

Was haben Lady Gaga, Günter Jauch, und andere Stars gemeinsam? Sie alle verdienen mehr, als ihr Talent eigentlich wert ist.

Keine Frage: ganz talentfrei werden die wenigsten zum Star, zumindest nicht für lange. Vielleicht sind viele der Stars sogar deshalb zum Star geworden, weil sie tatsächlich zu den Besten in ihrem jeweiligen Gebiet gehören. Darauf kommt es mir aber hier nicht an. Worauf es ankommt ist ganz einfach. Es gibt viele, viele andere Menschen, die einer Lady Gaga oder einem Günter Jauch in deren jeweiligen Beschäftigungsfeld das Wasser reichen können, was das reine Talent angeht. Lady Gaga ist in dem, was sie tut, um Größenordnungen besser als ich, aber sie steht mit ihrem Talent nicht allein da. Warum verdient sie dann soviel mehr als andere Musiker?

Um es anders zu formulieren: Talent ist in praktisch jedem Bereich und in praktisch jeder Hinsicht ungefähr normalverteilt. Einkommen ist aber -- besonders in Bereichen, die im weitesten Sinne der populären Kultur zugeordnet werden können -- exponentialverteilt. Woher kommt diese Diskrepanz?

Dieses Phänomen hat mich immer wieder gewundert. Denn zum einen läuft es dem Fairness-Verständnis der meisten Menschen zuwider. Wenn Leistung angemessen bezahlt werden soll, und die Fähigkeiten der Menschen ungefähr normalverteilt sind, sollte dann nicht auch das Einkommen ungefähr normalverteilt sein?

Zum anderen stellt sich die Frage, warum eigentlich nicht der Wettbewerb auf "dem Markt" dieses Missverhältnis zwischen Leistung und Einkommen korrigiert. Was läuft da schief?

Hier ist eine Sichtweise gerade auf diese letzte Frage. Lady Gaga verkauft sich nicht auf dem Markt für Musiker. Sie verkauft sich auf dem Markt für Lady Gagas (oder Ladies Gaga?). Auf diesem Markt gibt es aber nur einen Anbieter, und dementsprechend profitiert Lady Gaga von ihrer Stellung als Monopolist. In ihrem Fall wird dieses Monopol sogar noch über das Urheberrecht staatlich gestützt.

Genauso sieht es bei Günter Jauch aus, und bei praktisch jedem anderen Star der populären Kultur, sei es im Fernsehen, im Kino, in der Musik oder sonstwo. Die Stars werden nicht für ihre Leistung bezahlt, sondern für die Marke, zu der sie entweder durch Zufall geworden sind, oder zu der sie sich ganz bewusst stilisiert haben.

Diese Dynamik ist heutzutage stärker als noch vor zweihundert Jahren. Auch damals konnten Stars ihre Marke monopolisieren, aber mit einer sehr viel kleineren Reichweite. Mangels moderner Kommunikationstechnologie gab es, im Vergleich zu heute, nur kleinere, dafür aber viel mehr "Kulturkreise", in denen sich jeweils lokale Stars etablieren konnten. Heute ist es schwieriger für Künstler, sich lokal zu etablieren, weil sie von den globalen Stars so leicht übertönt werden können. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach den wenigen Stars, die noch existieren, sehr viel größer. Die Verzerrung des Verhältnisses von Einkommen zu Talent wird also ebenfalls stärker.

Aber ist das gut oder schlecht? Und nach welchem Maßstab bewertet man das überhaupt?

Letztlich muss darauf jeder seine eigene Antwort finden. Ich persönlich finde den ganzen Zirkus zutiefst unsympathisch. Da er in vieler Hinsicht auf natürliche Weise entsteht, ja, viele Menschen es offenbar genau so und nicht anders wollen, muss man wohl damit leben. Allerdings muss man ihn nicht auch noch fördern.

Insbesondere muss man ihn nicht noch mit öffentlichen Mitteln fördern.

Vor diesem Hintergrund sollten gerade die Öffentlich-Rechtlichen Sender in sich gehen und reflektieren, ob nicht vielleicht zu viele ihrer Sendungen den Namen eines Stars im Titel haben. Sollen doch von mir aus die privaten Sender ihre Stars überbezahlen. Die Öffentlich-Rechtlichen sollten einfach Wert auf gutes Programm und gute Sendungen legen (und das bedeutet übrigens nicht einfach nur verstaubte Kultursendungen!).

Wenn dann die Schausteller oder Moderatoren dieser Sendungen im Laufe der Zeit zu Stars werden, dann ist das in Ordnung, solange die Sender sich nicht zu übertriebenen Gagen verleiten lassen.

Im Grunde ist es sogar gut, wenn die Öffentlich-Rechtlichen auf diese Weise zu einer Quelle neuer Stars werden. Dann besteht zumindest die geringe Hoffnung, dass sich die Aufmerksamkeit der Popkultur etwas weniger stark konzentriert, und dadurch die ungleiche Einkommensverteilung zumindest ein klein wenig abgeflacht werden kann.

1 Kommentar:

Vogel hat gesagt…

Tach Nicolai,
Du hast imho selbstverständlich recht: Die ÖR-Medien sollten sich unbedingt wieder auf ihren ursprünglichen Auftrag zurück besinnen und sich fragen, was Sie von privater Schoiße unterscheiden muss: Z. B. Recherche-Qualität ( nicht googeln - recherchieren!! - keine Argenturmeldungen einfach nur abschreiben oder PR unhinterfragt wiederkäuen), journalistische Qualität (also das, was noch übers Recherchieren hinaus dazu gehört: Beste Allgemeinbildung, mutiges und unbekümmertes nachfragen ...), Abwesenheit von Werbung, Abwesenheit von "stündlichen" Börsenberichten und IVs mit Fröschen, die wortreich erklären, das Sümpfe keinesfalls trocken gelegt werden dürfen ...

Zu den Gagas und Jauchs will ich mich garnicht weiter äußern, nur soviel: Zu ersten: Jedem Tierchen sein Plaisierchen; zum zweiten: Er sollte bei RTL bleiben, geblieben sein ...