Donnerstag, Oktober 20, 2011

Der Rettungsplan der Troika wird fehlschlagen. Zeit für das Endspiel

Von L. Randall Wray. Aus dem Englischen übersetzt von Nicolai Hähnle.

Wieder zieht ein Rettungsplan für die Währungsunion seine Runden durch Mitteleuropa—das verfügbare Gesamtvolumen wird auf umgerechnet 600 Milliarden Dollar erhöht. Deutschland hat zugestimmt, seinen Beitrag zum Fonds um mehr als umgerechnet 100 Milliarden Dollar zu erhöhen. Aber die Slowakei hat ihr Veto gegen die Rettung ausgesprochen, und alle Augen richten sich nun auf den kommenden Gipfel am 23. Oktober. (Anm. d. Ü.: Seit Erscheinen des Originalartikels hat das slowakische Parlament dem Rettungsplan zugestimmt.)

Keine Sorge: irgendein Rettungspaket wird kommen, egal was geschieht, weil das Zentrum Europas seine Banken retten will—und diese halten Milliarden von Euros in den gefährdeten Staatsanleihen. Niemand ist dumm genug um zu glauben, dass der jetzige Plan reichen wird. Zuletzt hat es die Dexia Group getroffen, einen belgisch-französischen Giganten, der sich auf Staatsschulden spezialisiert hat. Er wurde bereits einmal gerettet und muss jetzt wieder gerettet werden. Aber Dexia is nur der Dominostein des Tages—auch die anderen europäischen Banken werden fallen. Das ist kein griechisches Problem. Es ist kein irisches Problem. Es ist kein portugiesisches Problem. Es ist kein spanisches Problem. Es ist kein italienisches Problem.

Es ist ein Problem der Währungsunion selbst, und einfach nur Löcher zu stopfen wird niemals ausreichen.

Der Konstruktionsfehler der Währungsunion ist die Trennung der Staaten von ihren Währungen, wie ich, zusammen mit Charles Goodhart, Warren Mosler und Wynne Godley, seit langem argumentiere. (Hier ist ein neuerer Policy Brief zum Thema.) Und wie ich vor wenigen Wochen gesagt habe ist die Währungsunion ein System, dessen Scheitern bereits im Entwurf veranlagt war. Es gibt keine zentrale Regierung, von der die Währung ausgegeben wird. Deshalb gibt es niemanden, der in hinreichend großem Umfang Fiskalpolitik machen kann, um Wirtschaftszyklen entgegenzutreten, geschweige denn um eine Finanzkrise in der Größenordnung, wie wir sie seit 2007 sehen, in den Griff zu kriegen.

Der nahende Sturm—wenn die Finanzinstitute gezwungen werden, sich dem wahren Ausmaß ihrer Verluste zu stellen—wird die Eurostaaten überwältigen.

Selbst wenn die Eurostaaten nicht alle Hände voll damit zu tun hätten, mit den Fingern aufeinander zu zeigen und über die verschwenderische Ausgabenpolitik der jeweils anderen zu schimpfen, würde die gegenwärtige Konstruktion der Eurozone eine wirksame Antwort auf die Krise verhindern. Wenn Finanzmärkte ein Mitglied der Währungsunion angreifen, dann gerät es schnell in eine teuflischen Schuldenfalle, weil seine Zinssätze steigen und ein Loch in den Haushalt reißen. Die anderen Staaten können bestensfalls ein Schuldenpaket zusammenstellen, bei dem zu etwas besseren Bedingungen Geld verliehen wird.

Aber was die hoch verschuldeten Staaten brauchen sind nicht noch mehr Schulden, sondern ein Schuldenerlass und Wirtschafswachstum. Der Sparkurs, der ihnen im Gegenzug für den niedrigeren Zinssatz abverlangt wird, schädigt ihre Wirtschaft, wodurch das Defizit größer wird und noch mehr Schulden gemacht werden müssen.

Das ist die Falle, in die der verschuldete Staat rutscht: wenn er sich Geld von den Märkten leiht, dann steigen die Zinssätze; wenn er von den anderen Eurostaaten oder dem IWF leiht, geht sein Wirtschaftswachstum zurück und die Steuereinkünfte sinken.

Es ist eine Zwickmühle.

Eine Lösung für die in Schwierigkeit geratenen Staaten ist, die Währungsunion zu verlassen und zu einer eigenen, von der dann souveränen Regierung ausgegebenen Währung zurückzukehren—also die Drachme für Griechenland, Lira für Italien, und so weiter. Die Umstellung wird für kurzfristig für Chaos und damit verbundene Kosten sorgen. Aber die Staaten könnten danach ihre innere Handlungsfähigkeit wieder herstellen und die Krise bekämpfen. Ein Zahlungsausfall bei Anleihen, die in Euro laufen, wäre notwendig. Die EU könnte mit Sanktionen reagieren. Aber das wäre besser als das Konzept von Nord- vs. Süd-Euro, "Teutonic vs. Latin", das vorgeschlagen wurde, und die Staaten einfach nur an eine andere externe Währung binden würde. Ein Staat wie Griechenland wäre genauso handlungsunfähig wie jetzt, wenn auch mit einer abgeschwächten Währung.

Wenn die Auflösung der Währungsunion nicht gewollt ist, dann ist die einzige echte Lösung, sie grundlegend zu umzubauen. Viele Kritiker machten die EZB für das schleppende Wachstum vor allem der Peripherie verantwortlich. Die EZB habe den Leitzins zu hoch gehalten, als dass Vollbeschäftigung hätte erreicht werden können. Ich war immer der Ansicht, dass dieses Argument falsch ist—nicht weil ein niedriger Leitzins nicht wünschenswert gewesen wäre, sondern weil selbst mit der perfekten Zentralbank das wahre Problem immer noch bei der beschränkten Handlungsfähigkeit der Politik in Sachen Fiskalpolitik gelegen hätte. Tatsächlich haben Claudio Sardoni und ich vor ein paar Jahren gezeigt, dass die Geldpolitik der EZB nicht wesentlich strenger war als die der Fed. Trotzdem hat sich die US-Wirtschaft durchwegs besser entwickelt. (Working Paper)

Es war die Fiskalpolitik, in der sich die beiden Währungszonen unterscheiden. Der Haushalt der Regierung in Washington macht mehr als 20% des BIP aus, und das üblicherweise bei einem Defizit von mehreren Prozent des BIP. Im Unterschied dazu macht der Haushalt des EU-Parlaments weniger als 1% des BIP aus. Die einzelnen Eurostaaten haben zwar versucht, diese Lücke durch Defizite der eigenen Regierungen füllen, aber das hat zu genau den Problemen geführt, die wir heute sehen.

Als Defizite und Schulden stiegen, haben die Märkte die Zinssätze erhöht. Sie haben erkannt, dass die Eurostaaten—im Gegensatz zu souveränen Staaten wie die USA, Japan oder Großbritannien—die Nutzer einer externen Währung sind. Wie ich schon früher argumentiert habe ist ihre Situation eher mit der von US-Bundesstaaten vergleichbar. Sie könnten zwar einerseits viel größere Defizite haben als US-Bundesstaaten (die alle bis auf zwei durch ihre Verfassung dazu gezwungen werden, den Haushalt auszugleichen)—teilweise auch wegen der Erwartung, dass die EZB den Zentralbanken der Länder aushelfen würde, wenn die Dinge schlecht laufen. Andererseits unterstützt Washington die US-Bundesstaaten mit seiner Fiskalpolitik—diese Stütze fehlt den Eurostaaten. Bestenfalls könnten sie Euro von europäischen Institutionen oder dem IWF leihen. Aber das erhöht nur die Zinssätze und führt in die teuflische Schuldenfalle. Als Folge fließt ein größerer Teil der Defizite in der Währungsunion in Zinszahlungen, die nicht gerade der beste Konjunkturimpuls sind. Amerika vermeidet dies zu einem gewissen Grad, indem die Bundesstaaten von den Märkten zu ausgeglichenen Haushalten gezwungen werden, während Washington die Folgeschäden durch Ausgleichszahlungen dämpft.

Sobald die Schwäche der Währungsunion verstanden ist, ist es nicht schwer, die Lösungen zu sehen. Eine besteht darin, den fiskalpolitischen Handlungsspielraum des EU-Parlaments zu vergrößern, zum Beispiel indem sein Budget auf 15% des BIP erweitert wird und ihm die Möglichkeit gegeben wird, Schulden aufzunehmen. Ob die Entscheidungen über die Ausgaben zentral gefällt werden sollen ist eine politische Frage—das Geld könnte einfach auf pro-Kopf-Basis an die einzelnen Eurostaaten überwiesen werden.

Auch die EZB kann dies tun. Man kann die Regeln zum Beispiel so ändern, dass die EZB Anleihen der Mitgliedstaaten im Wert von bis zu 6% des BIP der gesamten Eurozone kaufen kann. Als Käufer kann sie den Zinssatz festlegen, am besten wohl auf den Leitzins der EZB oder auf einen festen Spread darüber. Auch hier würden die Kontingente auf die Mitgliedsstaaten auf einer pro-Kopf-Basis verteilt. Dies ist ähnlich zu dem Vorschlag der "Blue Bonds" und "Red Bonds", den ich vor einigen Wochen besprochen habe. Die Staaten könnten auch weiterhin Anleihen auf dem freien Markt ausgeben, so dass sie mehr als die von der EZB getragenen Schulden aufnehmen könnten—so wie auch US-Bundesstaaten Anleihen ausgeben.

Man kann sich Varianten dieser Idee ausdenken, zum Beispiel die Schaffung einer Euro-weiten Finanzierungsbehörde, die von der EZB abgesicherte Schulden ausgibt um die Schulden der Regierungen aufzukaufen—wiederum vergleichbar mit den "Blue Bonds". Essentiell ist aber, dass die Schulden zentral garantiert werden, dass also die EZB oder die EU als Ganzes hinter den Schulden steht. Dadurch bleiben die Zinssätze niedrig und die "Marktdisziplin" sowie der Teufelskreis der Schulden wird entfernt. Indem die Anleihen nach einer Formel (d.h. pro Kopf) auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden, sollte jeder den gleichen Zinssatz erhalten.

All diese Vorschläge sind technisch einfach und wirtschaftlich vernünftig. Sie sind politisch schwer umsetzbar. Je länger die EU wartet, um so schwieriger wird es. Krisen verstärken die Rufe nach Auflösung, vergrößern die Wahrscheinlichkeit einer Trennung und vergrößern gegenseitige Feindseligkeiten. Dies wiederum verzögert eine echte Lösung, wodurch eine "Great Depression 2.0"—die Kombination eines Abschwungs zusammen mit Schuldendeflation à la Fisher—immer wahrscheinlicher wird.

Ich werde mein Argument, dass auch die US-Banken auch am Ende sind, hier nicht wiederholen: platzende Blasen auf den Kapital- und Rohstoffmärkten, der fortlaufende Niedergang des US-Immobilienmarktes und der Tsunami aus Klagen gegen der Betrug der Bankster werden sie übel treffen.

Der Kapitalismus der Money Manager ist dem Untergang geweiht. Wir müssen uns entscheiden, welches Endspiel wir möchten.

L. Randall Wray ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of Missouri-Kansas City und Senior Scholar am Levy Economics Institute in Bard College, NY. Er ist unter anderem der Autor von Understanding Modern Money: The Key to Full Employment and Price Stability (Elgar, 1998) und Money and Credit in Capitalist Economies (Elgar, 1990). Er hat seinen B.A. von der University of the Pacific, und einen M.A. und Ph.D. von der Washington University in St. Louis. Er bloggt regelmässig auf Great Leap Forward und New Economic Perspectives, wo er den Modern Money Primer schreibt.

Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Link zur Originalfassung.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Grüß Gott, Nicolai

Dein Post hier ist drüben beim Spiegelfechter schon kommentiert. Man kann sich vielen Kommentatoren dort nur anschließen. Wenig Neues, aber gut zusammen gefasst. Der Euro kann nur funktionieren, wenn die Politik „euromäßig“ denkt und handelt, wenn aktionsfähige europäische Strukturen installiert und legitimiert werden, wenn das agieren wie Duodezfürsten aufhört.

Ich will noch den Aspekt Banken und Verteilung ansprechen und zitiere Ulrike Herrmann sinngemäß: „Die Banken sind nichts anderes als Hüllen, als Gefäße. In diesen Hüllen, in diesen Gefäßen ist das Vermögen der Reichen und der Vermögenden drin!“ Deutlich wird für mich hier der Zusammenhang, der da heißt:

Zwar müssen wir die Banken prügeln („Occupy ...“ als äußeres Zeichen), da können wir uns davor stellen, da können wir unser Geld (falls vorhanden) abziehen, aber die Banken sind der Sack, den wir so hart prügeln müssen, dass der Esel, der diesen Sack trägt – die „Reichen“ und die Vermögenden – auch unter der Knute (gesetzliche Maßnahmen, harte Regulierung, Tobinsteuer u. a.) leiden muss.
Und: „Die schlauen unter den Reichen, wie Soros und Buffet, bemerken ihr Dilemma: Zukünftig mehr Steuern zahlen – und einen kontrollierten Vermögensabfluss erleiden -, oder ab ins Chaos und dann einen unkontrollierten Vermögensabfluss erleiden!“

Ich glaube, letzteres ist schon ein Anzeichen dafür, dass die Parole: „Alle Man in die Boote!“ schon in diesen Kreisen ausgerufen wird.

Was den Interplanetaren betrifft: Für mich d i e Ergänzung zu SF/NDS und Feynsinn. Mach' bitte weiter so!

Beste Grüße
Vogel