Ich komme gerade von meinem Midterm in Introduction to Differential Geometry - meinem ersten und vorläufig einzigem Exam hier - zurück, und meine Güte, leicht ist gar kein Ausdruck. Ich fühle mich an den LK Physik erinnert, in dem unser Lehrer Simmerl immer zu etwa zwei Dritteln Aufgaben aus früheren Abiturklausuren gestellt hat. Da jeder von uns Bücher mit alten Abituraufgaben samt Lösungen hatte, war das schon etwas lächerlich. Die Klausur heute bestand zu 90% aus Aufgaben, die bereits als Assignments gestellt wurden und war dann auch noch ein "Open book exam". Trotzdem waren fünf von sieben Leuten im Kurs auch nach 50 von 60 Minuten in die Arbeit vertieft. Nun ja. Nachdem ich das Treiben ein wenig beobachtet hatte bin ich früher gegangen, um einen früheren Bus nach Hause zu erwischen, aber das ist eine andere Geschichte.
Gestern erst habe ich mich mit Nilson, einem meiner kolumbianischen Mitbewohner, darüber unterhalten, dass Menschen gerne übers Wetter reden, wenn sie über nichts reden wollen. Hier an der OU hat das Wetter natürlich dank National Weather Center nochmal einen ganz anderen Stellenwert (und man kann sich über Tornados, ähh, ich meine natürlich Tornados unterhalten!), aber das ist hier nicht der Punkt. Worauf ich hinaus will ist, dass es unter internationalen Studenten ungefähr genauso beliebt ist, sich über die vielen Exams, Quizzes und Papers zu beschweren. Für fast alle ist die Arbeitslast hier anscheinend größer als in der jeweiligen Heimat. Angenehmerweise kann ich da nicht mitreden, denn zumindest die offiziell geforderte Arbeitslast ist hier definitiv niedriger als bei uns in Paderborn.
Ich habe hier vier Vorlesungen, die jeweils nominell drei Wochenstunden haben. Man muss dazu wissen, dass alle meine Vorlesungen (und überhaupt die meisten der Vorlesungen uniweit) auf einer von zwei Schienen laufen. Einmal gibt es die MWF-Schiene, das bedeutet montags, mittwochs und freitags jeweils 50 Minuten, und die TR-Schiene, das bedeutet dienstags und donnerstags jeweils 75 Minuten. Zusätzliche Übungsgruppen gibt es nicht, woraus ein recht überschaubarer und vor allem einfacher Stundenplan entsteht, denn statt fünf muss man sich nur zwei Tage merken.
Es wird durchaus erwartet, dass man Vorlesungen nacharbeitet, aber etwa regelmässige Übungszettel gibt es in keiner meiner Vorlesungen. Am nächsten kommt Convexity Theory, wo Übungsaufgaben regelmässig an der Tafel vorgestellt werden. Und da ich nun schon zwei Vorlesungen erwähnt habe und sich die geneigte Leserin sicher die Frage stellt:
Meine erste Vorlesung MWF von 9.30 bis 10.20 ist Advanced Numerical Analysis I, eine meiner zwei Vorlesungen auf Graduate Level. So Advanced wie der Titel behauptet ist die Vorlesung natürlich nicht, aber sie deckt mit adäquatem Tempo ganz interessante Themen ab, z.B. Konvergenz von verschiedenen Varianten der Newton-Methode im R^n und die Conjugate Gradient Method zum Lösen von symmetrisch positiv definiten linearen Gleichungssystemen.
Direkt im Anschluss, von 10.30 bis 11.20, geht es in die Tiefkühlräume im Erdgeschoss für Convexity Theory, was sich am besten als Nelius-Vorlesung beschreiben lässt. Da wird auf Details rumgehackt und Dinge werden fünfmal wiederholt (gerne auch noch ein sechstes Mal). Thema sind, nachdem der ganze einfache Topologiekram endlich vorbei ist, z.B. ein Satz von Carathéodory und Separierbarkeit von konvexen Mengen.
TR geht es dann schon von 9.00 bis 10.15 mit Introduction to Differential Geometry los. Die Vorlesung ist bei einem lustigen Chinesen, an dessen "you low" = "you know" ich mich zum Glück rasch gewöhnt habe. Hier geht es um Kurven und Flächen im R^3, also Dinge, die ich in Hilgerts Global Analysis schon gesehen habe, nur nochmal auf anschaulich und deutlich weniger allgemein - und vor allem viel, viel langsamer. Es kommen aber auch ein paar Themen dazu, z.B. Frenet frames und die isoperimetrische Ungleichung. Und jede Stunde fragt er von Neuem, ob die Beweise auch nicht zu schwierig sind...
Von 13.30 bis 14.45 (ups, ich meine natürlich 1.30 bis 2.45) habe ich dann meine zweite Vorlesung auf Graduate Level, Topics in Number Theory. Das ist finsterste Algebra bei einem etwas merkwürdigen, aber sehr rigorosen Kauz. Prinzipiell geht es um diophantische Gleichungen, also ganzzahlige Lösungen von Polynomgleichungen in mehreren Variablen, aber man verliert sich leicht im Dschungel von algebraischen Körpererweiterungen und Moduln über Ringen von algebraischen ganzen Zahlen. Diese Vorlesung ist definitiv anspruchsvoll und ich würde nicht behaupten, den Überblick über das ganze Thema zu haben, vor allem, weil das alles wenig anschaulich ist.
Nebenbei besuche ich noch regelmässig zwei Seminare, im zweiten habe ich auch selbst einen Vortrag gehalten.
Als kleine Schlussbemerkung sollte ich vielleicht noch sagen, dass Analysis II bei Hilgert verdammt viel gebracht hat. Die Vorlesung war zwar eine Tortur; dafür muss ich jetzt nicht wie der Prof in Advanced Numerical Analysis mit partiellen Ableitungen rumhantieren, sondern sehe die Lösung von bestimmten Problemen sofort. Auch in Introduction to Differential Geometry hilft es enorm, wenn man nicht immer auf die Koordinatenebene gehen muss, sondern auf der Ebene von Vektoren und Matrizen denken kann.
P.S.: Es herrscht gewisse Uneinigkeit über das Alter. Wikiquote sagt, er ist jetzt drei Jahre alt, aber der erste Treffer bei einer Google-Suche spricht von vier Jahren. Andere Quellen reden sogar von fünf Jahren. Ich denke, der Median ist eine angemessene Wahl.
Donnerstag, Oktober 18, 2007
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