Eine der zentralen Erkenntnisse von Modern Monetary Theory ist, dass das Haushaltsdefizit der Regierung zwangsläufig 1:1 der Zunahme der Nettosparvermögen des privaten Sektors entspricht - solange man von einem abgeschlossenen System oder einem ausgewogenen Außenhandel ausgeht (Nachtrag: bei einem unausgewogenen Außenhandel verschiebt sich das Verhältnis entsprechend der Außenhandelsbilanz, abgesehen davon ändert sich nichts). Mit anderen Worten: die privaten Haushalte können Sparvermögen netto nur dann aufbauen, wenn die Regierung ein Haushaltsdefizit fährt.
Dieses Resultat folgt zwangsläufig aus einer Betrachtung der Volkswirtschaft als Flussnetzwerk und der Berücksichtigung, dass für private Haushalte Flusserhaltung gilt: alles Geld, das ein privater Haushalt einnimmt, wird zwangsläufig entweder ausgegeben oder gespart, und alles Geld, das ausgegeben wird, stammt entweder aus einer Einnahme oder aus der Auflösung von Sparvermögen bzw. aus Verschuldung. Eine ausführlichere Erklärung, wie man aus dieser Art von Beobachtung die sogenannten Sectoral Balances herleiten kann, findet sich hier: Norway and sectoral balances
Solange die privaten Haushalte netto in der betrachteten Währung sparen wollen, sollte die Regierung also ein entsprechendes Haushaltsdefizit fahren, weil ansonsten die Wirtschaft abgewürgt wird und Arbeitslosigkeit entsteht. Wollen die privaten Haushalte umgekehrt netto ihre Sparvermögen abbauen, so sollte die Regierung einen entsprechenden Haushaltsüberschuss fahren, weil ansonsten erhöhte Inflation oder Asset Bubbles entstehen.
Es gibt also zu jeder gegebenen Zeit eine "richtige" Höhe des Haushaltsdefizit aus wirtschaftlicher Perspektive. Ab und zu kann diese richtige Höhe durchaus auch bei null liegen, aber das wäre wohl eher ein zufälliges Ereignis. Da der private Sektor typischerweise netto Sparvermögen aufbauen will ist damit zu rechnen, dass die Höhe des "richtigen" Haushaltsdefizits langfristig positiv ist. Der Staat sollte dann ein entsprechendes langfristiges Defizit fahren.
Ein typischer Einwand dagegen ist die Behauptung, dass eine Regierung ein Defizit nicht beliebig lange fahren könne, weil sie dadurch in finanzielle Schwierigkeiten geriete. Dieser Einwand ist für nicht-souveräne Staaten wie Deutschland, Frankreich und Griechenland richtig, und er gilt auch für Landes- und Kommunalregierungen. Für souveräne Staaten wie z.B. die USA, Großbritannien, Island, die Schweiz oder Japan ist dieser Einwand falsch, wie ich in einem früheren Eintrag erklärt habe.
Aus deutscher Perspektive ist die richtige Schlussfolgerung, die politisch daraus gezogen werden sollte, dass entweder Deutschland seine Souveränität wiederherstellen sollte, oder auf Ebene der Euro-Zone eine souveräne Regierung geschaffen werden sollte. (Ich persönlich bevorzuge aus politischen Erwägungen heraus Letzteres, aber beide Varianten sind aus rein volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll.)
Heute will ich mich einem anderen typischen Einwand widmen: mit schöner Regelmäßigkeit wird behauptet, die laufenden Defizite würden zwangsläufig zu Inflation führen. Das ist ein Irrglauben. Um ihn vernünftig zu entwirren stelle ich mir heute die Fragen, was Inflation überhaupt ist, ob sie schlimm ist, und wodurch sie entsteht. Außerdem will ich darauf eingehen, woher der Irrglaube kommt.
Was ist Inflation?
Inflation (Vorsicht: die Wikipedia hat leider einen neo-klassischen Bias) ist die Preissteigerung eines fest definierten Warenkorbs. Kostet der Warenkorb in einem Jahr 1000# und im nächsten Jahr 1035#, so beträgt die Inflation 3,5%.
Darüber, wie der Warenkorb zusammengesetzt sein soll, kann man natürlich streiten. Da Preissteigerungen nur im aller seltensten Fall alle Güter gleichmäßig betreffen, kann man dies in statistischen Tricksereien ausnutzen um den Eindruck einer höheren oder niedrigeren Inflation zu erzeugen. Ein schönes Beispiel dafür ist die außerordentliche Preisstabilität von Schokolade in Deutschland. Wäre der Warenkorb nur mit Schokoladentafeln gefüllt gewesen, dann hätte es in Deutschland vom Zweiten Weltkrieg bis zur Einführung des Euro fast keine Inflation geben.
Natürlich wird der Warenkorb normalerweise einigermaßen sinnvoll definiert, so dass Inflation ein nützliches Maß für allgemeine Preissteigerungen ist.
Ist Inflation schlimm?
Der wichtigste Effekt von Inflation ist, dass sie ähnlich wirkt wie negative Zinsen auf Sparvermögen. Sie ist daher ein Anreiz, verdientes Geld wieder auszugeben, entweder für Konsum oder für Investitionen, die einen höheren Gewinn versprechen. Das ist sinnvoll. Auf der anderen Seite ist es auch sinnvoll, die Menschen zum Sparen zu ermutigen, so dass sie sich ab und zu mit ihren Ersparnissen etwas Größeres leisten können. Zwischen diesen beiden Überlegungen muss eine Balance gefunden werden, die durchaus auch von den politischen Zielen der Regierung abhängt.
Ein weiterer Effekt von Inflation ist die Verbesserung der Preisfindung an Märkten. Menschen mögen große Zahlen, weshalb sie davor zurückschrecken, Preise nominell zu senken - auch wenn dies aus wirtschaftlicher Perspektive sinnvoll wäre. Eine gemäßigte Inflation kann diesen Effekt ausgleichen, da sie dafür sorgt, dass reale Preise sinken, solange es keine nominelle Preissteigerung gibt.
Aus diesen Überlegungen folgt, dass eine gemäßigte Inflation erstrebenswert ist.
Genauso klar ist aber auch, dass sowohl eine zu niedrige Inflation (oder gar Deflation) als auch eine zu hohe Inflation schädlich ist.
Wodurch entsteht Inflation?
Wie wir oben gesehen haben muss die Frage eigentlich lauten: Wodurch entstehen Preissteigerungen? Dafür können verschiedene Ursachen gefunden werden, zum Beispiel kann ein Preisanstieg von grundlegenden Rohstoffen auf den Preis des Endprodukts durchgereicht werden. Für die Diskussion hier ist ein anderer Faktor wichtiger, nämlich die Nachfrage.
Die naive Betrachtungsweise ist, dass eine erhöhte Nachfrage nach einem Produkt zu einer Preissteigerung führt. Aber Moment: wenn ich als Produzent einer Ware die erhöhte Nachfrage sehe und dementsprechend meinen Preis steigere, so riskiere ich damit, Marktanteile an die Konkurrenz zu verlieren. Ich sollte also besser erst einmal meine Produktion steigern, vor allem wenn wegen einer Rezession Produktionskapazitäten brachliegen. Erst wenn die Produktion nicht mehr ohne langfristige Investitionen weiter gesteigert werden kann ist eine Preissteigerung zwangsläufig die logische Reaktion.
In der Realität wird die Wirtschaft auf eine Steigerung der Nachfrage also mit einer Mischung aus Preissteigerung und Produktionssteigerung reagieren. In den meisten (aber natürlich nicht allen) Fällen überwiegt dabei zunächst letzteres. Erst wenn die Produktionsfaktoren an ihre Grenze stoßen, z.B. wegen einem Mangel an Rohstoffen, Arbeitskräften oder Produktionsanlagen, wird eine Preissteigerung durch den Markt unabwendbar.
Damit kommen wir zu der natürlichen Frage ob eine Regierung, die langfristig Haushaltsdefizite fährt, dadurch eine überhöhte Inflation riskiert. Die Antwort darauf ist ebenso natürlich: es kommt darauf an, ob durch das Verhalten der Regierung die Nachfrage über die Produktionskapazität der Wirtschaft gehoben wird.
Die Vertreter von Modern Monetary Theory empfehlen, dass die Regierung ihren Haushalt an das Verhalten des privaten Sektors anpasst, und zwar so, dass durch die Nachfrage insgesamt die Kapazität der Wirtschaft voll ausgelastet ist, aber eben auch nicht mehr. Solange die Regierung dazu in der Lage ist, besteht das Risiko einer überhöhten Inflation also nicht (jedenfalls nicht als Folge des Staatshaushalts; überhöhte Inflation wegen Rohstoffknappheit etc. ist natürlich nie ausgeschlossen).
Es sollte betont werden: Vertreter von MMT sagen nicht, dass die Regierung in jedem Fall ständig ein Haushaltsdefizit fahren soll. Ob ein Defizit oder ein Überschuss angemessen ist hängt vom Verhalten des privaten Sektors ab. Was Vertreter von MMT sagen ist folgendes: wenn sich die Regierung vernünftig verhält, und sich das Verhalten des privaten Sektors nicht wesentlich gegenüber dem, was wir heutzutage beobachten, verändert, dann wird die Regierung aller Wahrscheinlichkeit nach langfristig ein Defizit fahren - und dieses Defizit ist für eine souveräne Regierung vollkommen unproblematisch.
Was geschieht, wenn der private Sektor sein Verhalten ändert?
Zum Beispiel könnte es sein, dass der private Sektor seine Sparquote senkt und dadurch die Nachfrage erhöht. Dann ist der Ratschlag von Modern Monetary Theory, dass die Regierung ihr Defizit senken bzw. einen Überschuss anstreben sollte. Dies kann sie entweder durch Senkung der Ausgaben oder durch Erhöhung der Steuern erreichen.
Welche dieser beiden Maßnahmen ergriffen werden sollte, bzw. in welcher Mischung, hängt dabei lediglich von den politischen Zielen der Regierung ab. Teilweise geschieht die Anpassung des Haushalts von alleine durch automatische Stabilisatoren, idealerweise durch eine Job Guarantee - über die ich ich hier ein andermal schreiben werde.
Wenn die automatischen Stabilisatoren nicht ausreichen, kann die Regierung weitere Ausgaben senken. Aber irgendwann wird das nicht mehr möglich sein, weil zumindest die Grundfunktionen des Staates gewährleistet werden müssen. Spätestens dann muss die Regierung entweder die Steuern anheben, und dem privaten Sektor dadurch nominale Kaufkraft wegnehmen, oder sie muss eine erhöhte Inflation in Kauf nehmen.
Aha! wird jetzt vielleicht manch einer sagen. Also führen die Defizite ja doch zur Inflation oder müssen irgendwann ausgeglichen werden. Wenn der private Sektor sein Verhalten ändert, dann vielleicht ja - je nachdem, wie flexibel die Produktionskapazität der Wirtschaft ist.
Denn der zentrale Punkt ist folgender: in jedem Zeitraum können die Menschen höchstens so viel kaufen, wie die Wirtschaft auch in der Lage ist, real zu produzieren. Wer ein Sparvermögen anlegt erhofft sich dabei, in der Zukunft mit diesem Sparvermögen reale Güter oder Dienstleistungen kaufen zu können. Wenn die Wirtschaft in der Zukunft dann nicht leistungsfähig genug ist, um die erhofften realen Dinge auch produzieren zu können, dann hat man Pech gehabt.
Diese einfache Beobachtung gilt immer und hat nichts mit dem Haushaltsdefizit zu tun. Ein langfristiges Haushaltsdefizit ermöglicht es dem privaten Sektor lediglich, die Sparvermögen aufzubauen, von denen sich später womöglich herausstellen könnte, dass sie nicht so viel wert sind wie sich die Sparer erhofft haben. Ob sich der reale Wert der Sparvermögen so entwickelt wie erhofft hängt aber - wie die Diskussion oben zeigt - ganz wesentlich davon ab, ob die Produktionskapazitäten der Wirtschaft in Zukunft ausreichen werden, um steigende Nachfrage zu absorbieren.
Was Modern Monetary Theory nun sagt ist, dass die Regierung dafür sorgen sollte, dass die Produktionskapazitäten der Wirtschaft möglichst weitgehend ausgelastet sind, einerseits um der Bevölkerung einen hohen Lebensstandard in der Gegenwart zu ermöglichen, anderseits aber auch in der durchaus berechtigten Hoffnung, dass sich die Produktionskapazitäten dadurch langfristig vergrößern, was den zukünftigen Wert der angelegten Sparvermögen garantiert und den realen Lebensstandard der Bevölkerung weiter verbessert.
(Kleine ökologische Nebenbemerkung: aus volkswirtschaftlicher Sicht bedeutet eine Vergrößerung der Produktionskapazitäten nicht unbedingt ein höheres Materialvolumen, sondern kann sich auch in einer qualitativen Verbesserung der Produkte und Dienstleistungen äußern. Eine ökologisch denkende Regierung sollte versuchen, durch gezielte Impulse das Wirtschaftswachstum in diesem qualitativen Sinn zu lenken.)
Die klassischen Einwände gegen eine Regierung, die ihren Haushalt zur Auslastung der Wirtschaft einsetzt, sind also unbegründet.
Trotzdem muss man natürlich anerkennen, dass die Sparvermögen, die durch die langfristigen Defizite ermöglicht werden, aus anderweitigen Gründen politisch ungewollt sein können. Wenn die Vergrößerung der Sparvermögen einhergeht mit einer wachsenden Ungleichverteilung zwischen Armen und Reichen, dann ist dies eine ganz konkrete Gefahr für eine Demokratie. Zudem können wachsende Sparvermögen vielleicht einen durchgeknallten Finanzsektor fördern, der wiederum mit Risiken verbunden ist. Aus solchen Gründen ist es sinnvoll, über gezielte Maßnahmen zur Begrenzung von hohen Sparvermögen - wie zum Beispiel eine progressive Vermögenssteuer - nachzudenken. Aber das ist ein anderes Thema, über das ich vielleicht ein andermal schreiben werde.
Der Goldstandard und das Wort "Inflation"
Wenn ein langfristiges Staatsdefizit also für einen souveränen Staat so unproblematisch ist, woher kommt dann die allgemeine Furcht davor? Zum einen ist es wichtig zu verstehen, dass es mächtige Interessen gibt, die von dieser Furcht profitieren. Aber auch darüber hinaus gibt es doch Argumente, die für diese Furcht sprechen - oder? Es ist wichtig zu verstehen, warum diese "Argumente" falsch sind, also will ich auf einige davon eingehen.
Früher, in grauer Vorzeit, waren Währungen an einen Goldstandard gekoppelt. Das bedeutet, dass die Regierungen versprachen, Geld gegen Gold zu einem festen Preis umzutauschen. Das Geld hatte also einen intrinsischen Wert, nämlich den Wert der entsprechenden Goldmenge.
In diesem festen Rahmen ist es der Regierung nur dann möglich, ein langfristiges Defizit zu fahren, wenn sie dieses durch den Verkauf von Schuldpapieren finanzieren kann. Wenn sie trotzdem mehr Geld ausgeben will ohne dies durch Schuldpapiere auszugleichen, muss sie entweder die Deckung des Geldes durch Gold reduzieren. Darunter versteht man, dass die Regierung nur einen Bruchteil des insgesamt im Umlauf befindlichen Geldes zu Gold tauschen kann. Die USA haben z.B. lange Zeit mit einer Deckung von 40% operiert und sind dadurch das Risiko eingegangen, womöglich irgendwann nicht mehr genug Gold in Reserve zu haben, wenn ein Run auf Gold entstanden wäre.
Oder die Regierung verändert den Umtauschfaktor von Geld zu Gold. Dadurch verringert sich der intrinsische Wert des Geldes und man spricht von "Aufblähung" der Geldmenge, weil die Regierung nun netto mehr Geld ausgeben kann, ohne die Deckung zu reduzieren. Das lateinische Wort für "Aufblähung" ist "Inflation".
Aber Moment! Entsteht dadurch denn tatsächlich erhöhte Inflation in unserem heutigen Sinne? Heutzutage versteht man unter Inflation eine Preissteigerung, und in diesem Szenario steigt natürlich per Definition der Preis von Gold, so viel ist klar. Aber steigen auch die anderen Preise? Insbesondere stellt sich die Frage: steigt der Preis des Warenkorbs, über den Inflation definiert wird?
Definieren wir also ein erstes Szenario: ein abgeschlossenes Goldstandard-System ohne Außenhandel, in dem die Regierung den Goldpreis erhöht, jedoch zunächst ohne das Haushaltsdefizit zu verändern.
Weiter oben haben wir uns überlegt, wodurch eine Preissteigerung entstehen kann: einerseits durch höhere Rohstoffpreise. Gold wird aber außer in Schmuck nur in eher geringen Mengen eingesetzt, von daher wird dieser Effekt auf die Inflation gering ausfallen. Andererseits kann Inflation potentiell durch erhöhte Nachfrage entstehen. Solange die Regierung ihr Haushaltsdefizit nicht ändert, wird sich aber auch die Nachfrage nicht ändern - bis auf denkbar minimale Effekte durch Menschen, die im Goldbesitz sind und dieses verkaufen, um sich dafür andere Dinge zu leisten. In diesem ersten Szenario ist also keine erhöhte Inflation zu erwarten, obwohl die Regierung den "Wert des Geldes" senkt.
Sobald die Regierung den niedrigeren Geldwert ausnutzt um ihr Haushaltsdefizit zu erhöhen, wird Inflation durch steigende Nachfrage möglich, aber auch da gilt wieder die Überlegung, dass die Wirtschaft die steigende Nachfrage zunächst durch Produktionssteigerungen ausgleichen kann.
Die Annahme eines abgeschlossenen Systems ist natürlich unrealistisch. In Wirklichkeit führt die Änderung des Goldpreises durch die Regierung zu einer Anpassung der Wechselkurse. Dadurch werden Importe teurer und die Nachfrage steigt in Form steigender Exporte. Beide Effekte tendieren zu einer erhöhten Inflation. Wie stark diese ausfällt hängt davon ab, wie groß der Einfluss des Außenhandels auf die Wirtschaft ist.
Soweit die Überlegungen zu einem Goldstandard-System: Inflation entsteht auch in einem Goldstandard-System nur so weit durch den reduzierten "Wert des Geldes", wie sich dieser auf den Außenhandel auswirkt. Jeder weitere signifikante Inflations-Effekt entsteht nicht durch den reduzierten "Wert des Geldes", sondern durch einen Anstieg von Nachfrage relativ zu den Produktionskapazitäten der realen Wirtschaft, wie ich ihn bereits besprochen habe.
Wie sieht es nun in einem Fiat-Geldsystem mit souveräner Regierung aus? Hier hat Geld keinen intrinsischen Wert. Von einem reduzierten "Wert des Geldes" zu sprechen ist also vollkommen unsinnig. Die naive Denke von "mehr Geld = mehr Inflation", die sich auch aus der Sprache des Goldstandards ergibt, ist selbst im Goldstandard-System falsch. In einem Fiat-System bricht sie vollständig in sich zusammen.
Modern Monetary Theory bietet einen Rahmen, um Inflation in Bezug auf das Haushaltsdefizit in einem Fiat-Geldsystem zu untersuchen. Dort kommt man zum Schluss, dass ein Haushaltsdefizit nur dann zu Inflation führt, wenn es zu hoch ist. Wie hoch ist zu hoch? Kommt drauf an. Manchmal kann die Grenze durchaus bei null liegen, also bei einem ausgeglichenen Haushalt, aber das ist dann einfach Zufall.
Quantitätstheorie
Mainstream-Ökonomen argumentieren sehr gerne, dass eine höhere "Geldmenge" (egal welche von den vielen vollkommen verschiedenen Definitionen ihnen gerade ins Konzept passt) zu Inflation führen wird. Sie haben so auch die letzten zwei Jahre angesichts der Maßnahmen der Zentralbanken weltweit argumentiert, und kaum jemand scheint es ihnen übel zu nehmen, dass das Inflationsgeunke ganz offensichtlich vollkommen unbegründet war. Um dieses Gerede zu durchschauen muss man verstehen, dass sich dahinter die Quantitätstheorie versteckt.
Die Quantitätstheorie wird ungefähr so hergeleitet. Sei M die "Geldmenge", P das Preisniveau, und Q die Menge umgesetzter Güter pro Zeiteinheit. Dann kann man einen Proportionalitätsfaktor erfinden, um diese Größen in eine Gleichung zu pressen. Man nennt ihn V, die "Umlaufgeschwindigkeit des Geldes", und kommt so zu der Gleichung:
MV = PQ
Eigentlich ist schon hier klar, dass die Quantitätstheorie als Theorie wenig brauchbar ist, denn natürlich kann man beliebige Proportionalitätsfaktoren erfinden um Gleichungen hinzuschreiben, aber da V außerhalb des Gedankengebäudes der Quantitätstheorie bedeutungslos und nicht direkt messbar ist, ist diese Gleichung wenig erhellend.
Zugegeben, selbst in der Physik gibt es solche Proportionalitätsfaktoren. Lange Zeit war die Fallbeschleunigung auf der Erde ein solcher Faktor. Nur: erstens haben sich die Physiker damit nicht zufrieden gegeben. Inzwischen können sie diesen Faktor aus den Gravitationsgesetzen erklären, die zwar auch wieder mit der Gravitationskonstante einen beliebigen Faktor enthalten, aber besonders glücklich sind die Physiker darüber ja auch nicht. Zweitens sprechen die empirischen Befunde dafür, dass die verbleibenden Proportionalitätsfaktoren in der Physik universelle Konstanten sind.
Die "Umlaufgeschwindigkeit des Geldes" V ist aber alles andere konstant und variiert ziemlich wild. Spätestens mit dieser Erkenntnis sollte man die Quantitätstheorie vernünftigerweise als hoffnungslosen Fall aufgeben.
Aber Mainstream-Ökonomen machen trotzdem weiter. Sie behaupten einfach: V und Q sind konstant. Also verdoppeln sich mit einer Verdopplung der Geldmenge auch die Preise. Das ist aber einfach falsch, wie man praktisch überall an den empirischen Fakten sieht, hier zum Beispiel im Vergleich US CPI vs. Geldmenge.
Die typische Ausrede ist dann, dass man sich die falsche Definition von Geldmenge ansieht, auch wenn es in Wirklichkeit einfach keine Definition von Geldmenge gibt, mit der die Vorhersage richtig wird. Vermutlich stammt die große Zahl von Geldmenge-Definitionen auch aus diesen erfolglosen Versuchen, die Quantitätstheorie zu reparieren. Offenbar gibt es hier einige Gläubige, die einfach ihre Definition von Gott verändern, sobald man ein rationales Argument dargelegt hat, das zeigt, wie unplausibel die Existenz Gottes ist.
Andere erklären dann, die Quantitätstheorie sei trotzdem richtig, weil V und Q nicht unbedingt konstant sind - und widersprechen damit genau dem, was sie erst fünf Minuten vorher selbst behauptet haben.
Aber nein, reden sie sich heraus, so haben sie das ja gar nicht gemeint. V und Q seien nur langfristig konstant, behaupten sie dann, ungeachtet dessen, dass V und Q über praktisch alle bisher betrachteten Zeiträume nicht konstant sind. Praktischerweise legen sich diese Ökonomen auch nicht darauf fest, wie groß die Zeiträume denn sind, die sie mit "langfristig" meinen.
Auf diese Art, "Wissenschaft" zu betreiben, könnten wir nun wirklich verzichten.
Und das Fazit?
Um Inflation ranken sich jede Menge Legenden, viele aus der längst vergangenen Zeit des Goldstandards, die meisten von ihnen gar frei erfunden. Nüchtern betrachtet ist ein geringes Maß an Inflation sinnvoll, und sowohl zu geringe als auch zu hohe Inflation schädlich.
Eine souveräne Regierung kann die Ziele moderate Inflation und (nahezu) volle Auslastung der Wirtschaft, inklusive echter Vollbeschäftigung (definiert als weniger als 2% Arbeitslosigkeit bei null Unterbeschäftigung) problemlos erreichen, wenn sie sich die Erkenntnisse von Modern Monetary Theory zunutze macht.
Dabei ist nicht auszuschließen, dass sich angelegte Sparvermögen in manchen Situationen als real weniger wertvoll als erhofft herausstellen. Diese Möglichkeit besteht aber immer, und mit den Erkenntnissen von Modern Monetary Theory kann eine Regierung auf reale volkswirtschaftliche Resultate zielen, die in jedem Fall mindestens so gut wie, und in vielen Fällen besser als die Resultate der klassischen, pro-zyklischen Sparkurs-Politik sind, auf die die heutige Diskussion in fast allen Staaten weltweit hinausläuft.
Coda
Unfug wie die Quantitätstheorie hält sich auch deshalb so hartnäckig, weil es der menschlichen Natur widerstrebt, eine einmal widerlegte Theorie kategorisch abzulehnen. Lieber gehen Menschen dazu über, dass ja vielleicht doch "ein klein bißchen Wahrheit" daran sein könnte.
Dazu möchte ich den großartigen Douglas Adams zitieren, der diese Denkweise wie folgt parodiert hat:
A man didn't understand how televisions work, and was convinced that there must be lots of little men inside the box, manipulating images at high speed. An engineer explained to him about high frequency modulations of the electromagnetic spectrum, about transmitters and receivers, about amplifiers and cathode ray tubes, about scan lines moving across and down a phosphorescent screen. The man listened to the engineer with careful attention, nodding his head at every step of the argument. At the end he pronounced himself satisfied. He really did now understand how televisions work. "But I expect there are just a few little men in there, aren't there?"
Ihm ging es dabei um die Kreationismusdebatte, aber ich habe diese Art von Reaktion auch in Diskussionen über Volkswirtschaft schon oft genug beobachtet.