Montag, September 19, 2011

Die Job-Garantie: Kernstück einer alternativen Wirtschaftspolitik

Ich möchte heute ein wenig bekanntes Konzept vorstellen, das seit der Mitte des letzten Jahrhunderts in der ein oder anderen Form durch die Volkswirtschaftslehre geistert und in den letzten zwanzig Jahren einen deutlichen Entwicklungsschub erhalten hat. Es handelt sich um die Job Guarantee, wie sie unter anderem in Understanding Modern Money von Randall Wray ausführlich vorgestellt wird. Vom gleichen Autor gibt es auch ein neueres Working Paper, das einen kurzen Überblick über die Literatur gibt. Aber zunächst hole ich ein wenig aus, um die Motivation zu erklären.

Massenarbeitslosigkeit entsteht durch mangelnde Nachfrage. Wenn das Geschäft in der Kneipe so richtig gut läuft, dann wird eine zusätzliche Bedienung eingestellt. Wenn ein Produkt gut läuft, dann wird mit Neueinstellungen die Produktion ausgeweitet. Umgekehrt wirkt die gleiche Logik. Schwinden der Kneipe die Besucher weg, dann wird irgendwann das Personal gekürzt. Genauso läuft es in der Produktion.

Es kommt noch ein weiterer Faktor hinzu. Wenn die Produktivität, also die Menge pro Arbeitsstunde real erzeugter Güter und Dienstleistungen, steigt, dann kann die gleiche Nachfrage mit weniger Arbeitnehmern bedient werden. Produktivitätssteigerungen sind eine gute Sache, aber sie bedeuten eben auch, dass die (reale) Nachfrage gleich schnell wie die Produktivität wachsen muss, wenn die Anzahl der Arbeitsplätze gleich bleiben soll. Wächst die reale Nachfrage langsamer, oder sinkt sie gar, so gehen Arbeitsplätze verloren. Wächst sie schneller, so können neue Arbeitsplätze entstehen.

Sowohl die Nachfrage als auch die Produktivität sind aggregierte Größen unserer Volkswirtschaft, eines extrem komplexen dynamischen Systems. Dass darin zyklische Schwankungen entstehen ist ganz natürlich, und es gibt keinen Grund, weshalb die reale Nachfrage immer von alleine mit genau der richtigen Geschwindigkeit wachsen sollte.

Die Arbeitslosen sind ein Puffer gegen diese Schwankungen. Geht die Nachfrage zurück, so wächst der Puffer an Arbeitslosen. Wenn die Nachfrage wieder steigt, dann können Firmen aus diesem Pool heraus Menschen einstellen.


Arbeitslosigkeit ist ein schlechter Puffer

Arbeitslosigkeit ist aus einer ganzen Reihe an Gründen für die Gesellschaft nicht wünschenswert.

Erstens ist Arbeitslosigkeit für die Betroffenen ein schwerer Schlag, sowohl wirtschaftlich als auch psychisch. Die Arbeitslosen als Gruppe sind nicht für ihr Schicksal verantwortlich, da hohe Arbeitslosigkeit ein makro-ökonomisches Phänomen ist. Es liegt also in der Verantwortung der Gesellschaft, an dieser Stelle zu helfen.

Zweitens ist Arbeitslosigkeit verschwendetes Potenzial. Eine Gesellschaft, die Menschen keine Möglichkeit gibt, einer produktiven Tätigkeit nachzugehen, nimmt damit eine geringere Wirtschaftsleistung und einen niedrigeren Lebensstandard insgesamt in Kauf.

Drittens bedeutet Arbeitslosigkeit in der Praxis heutzutage überall auch, dass viele Menschen über einen sehr langen Zeitraum arbeitslos sind. In dieser Zeit kommen sie aus der Übung, und dadurch gehen Fähigkeiten verloren. Arbeitslosigkeit verschwendet Potenzial also nicht nur, sie zerstört es auch und reduziert damit die Fähigkeit der Gesellschaft, zukünftige Probleme zu lösen.

Viertens verteilt sich Arbeitslosigkeit nicht gleichmäßig, sondern betrifft verschiedene Regionen und soziale Milieus unterschiedlich hart. So bedeutet eine Arbeitslosenrate von 10% eben auch, dass es einzelne Milieus gibt, in denen die Rate über einem Drittel liegt. Das hat Folgen für die soziale Realität dieser Milieus. Es ändert zum Beispiel die persönlichen Einstellungen gegenüber Arbeit und Arbeitslosigkeit, was in einen Teufelskreis führen kann. Zudem verarmt das Milieu und wird zur Brutstätte für Kriminalität, Gewalt, und Unruhen aller Art.


Die Job-Garantie: ein besserer Puffer

Genau hier haben Ökonomen wie Bill Mitchell und Randall Wray angesetzt und die Job-Garantie als bessere Alternative zur Arbeitslosigkeit entwickelt.

Kurz zusammengefasst sieht sie so aus: ein Regierungsprogramm wird eingerichtet, das jedem arbeitswilligen und -fähigen Bürger einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt. Dieser Arbeitsplatz wird zu einem gesetzlich festgelegten Lohn bezahlt und verlangt dem Arbeitnehmer eine mit anderen Arbeitsplätzen vergleichbare Leistung ab. Er ist unbefristet und für jeden ohne Malträtierung durch Arbeitsagenturen zugänglich. Die Arbeitsplätze decken gesellschaftliche Aufgaben ab, wobei die genaue Zuteilung immer auch eine politische Entscheidung ist.

Dieses Programm ersetzt die Arbeitslosigkeit als Puffer. Wenn die private Wirtschaft schlecht läuft und Arbeitsplätze abschafft werden die Arbeiter aufgefangen. Sie erhalten weiterhin ein (wenn auch reduziertes) Einkommen in einem sozialversicherungspflichtigen Job und können einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen. Wenn die private Wirtschaft wieder an Geschwindigkeit gewinnt und neue Arbeitsplätze schafft, kann sie Arbeiter aus dem Pool der Job-Garantie abwerben.

Zudem holt die Job-Garantie die Arbeitnehmer dort ab, wo sie mit ihren Fähigkeiten stehen, beinhaltet aber auch begleitende Fortbildungen. Diese sind den heutigen Weiterbildungsmaßnahmen der Arbeitsagenturen überlegen, weil sie mit einer echten Arbeit in Verbindung stehen und damit nicht nur sinnlose Beschäftigungstherapie sind. Anstatt in Zeiten der Arbeitslosigkeit wichtige Fähigkeiten zu verlieren kann also im Idealfall sogar das Gegenteil geschehen.

Das hat einen weiteren Vorteil. Private Firmen haben eine natürliche Abneigung dagegen, Arbeitslose einzustellen. Einerseits lautet das Vorurteil, dass Arbeitslose grundsätzlich weniger zur Arbeit fähig oder willens sind (ein jeder möge sich selbst überlegen, wie viel er von diesem Vorurteil hält). Andererseits haben Arbeitslose per Definition keinen Arbeitgeber, der ihnen ein Zeugnis ausstellen könnte. In der Job-Garantie haben Arbeitnehmer die Möglichkeit, ihre Leistung klar zu demonstrieren, und so sind private Arbeitgeber besser in der Lage, die Leistung der Kandidaten einzuschätzen. Etwaige angebotsseitige Hürden zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft werden also kleiner.

Es ist leicht zu sehen, dass die Job-Garantie in jedem der oben genannten vier Punkte gegen die Arbeitslosigkeit gewinnt.

Erstens wird der persönliche Schock der Arbeitslosigkeit gedämpft. Der Lohn wird in der Job-Garantie zwar in der Regel geringer sein als an einem privatwirtschaftlichen Arbeitsplatz, aber zumindest bleibt ein geregeltes, reguläres Arbeitsverhältnis bestehen.

Zweitens wird den heutigen Arbeitslosen eine für die Gesellschaft sinnvolle Tätigkeit gegeben. Selbst wenn rein markwirtschaftlich gesehen die ein oder andere individuelle Job-Garantie-Stelle nicht so produktiv sein sollte wie die ein oder andere Stelle in der Privatwirtschaft gilt immer noch ein ganz einfaches Prinzip: fast alles ist produktiver als Nichtstun. Und abgesehen davon: sobald die Privatwirtschaft sich berappelt und wieder Arbeitsplätze schafft, kann sie die Job-Garantie-Nehmer leicht abwerben. Die Job-Garantie tritt nicht mit der Privatwirtschaft in Konkurrenz.

Drittens können Arbeitnehmer in der Job-Garantie ihre Fähigkeiten erhalten und sogar weiter ausbauen.

Viertens kann die Leichtigkeit, mit der ein Arbeitsplatz in der Job-Garantie erhalten werden kann, auch die Entwicklung von sozial abgehängten Milieus positiv beeinflussen. Menschen werden wieder in reguläre Arbeitsverhältnisse eingebunden und finden so leichter zum Rest der Gesellschaft zurück.


Wo sollen die ganzen Arbeitsplätze herkommen?

In der Eurozone sind mehr als 15 Millionen Menschen arbeitslos. Es ist sinnvoll, groß angelegte zentrale Projekte zum Aufbau von Infrastruktur für die Zukunft zu starten, um so Arbeitsplätze zu schaffen. Aber der wahre Schlüssel zum Erfolg liegt in einer dezentralen Organisation.

Dazu wird jedem Land, jeder Kommune, und auch qualifizierten Non-Profit-Organisationen die Möglichkeit gegeben, Job-Garantie-Stellen auszuschreiben. Solange die zentral festgelegten Richtlinien eingehalten werden, werden die Stellen zu 100% über das Job-Garantie-Programm finanziert und schonen damit die ohnehin gestressten Haushalte von Kommunen und Ländern. Eine solche dezentrale Organisation kann effizient und unbürokratisch arbeiten. Es versteht sich natürlich von selbst, dass die Einhaltung der Spielregeln mit regelmässigen, aber unangekündigten Stichproben kontrolliert wird.

In den ersten Jahren mit der Job-Garantie werden wir Erfahrungen sammeln, die nicht vorhergesagt werden können. Es besteht aber kein Zweifel, dass genügend sinnvolle Projekte existieren um Arbeitsplätze zu schaffen. Ein jeder mag sich seine Lieblingsbeschwerde in Sachen Mängel in Infrastruktur oder öffentlichen Diensten überlegen und dies mit der gesamten Eurozone multiplizieren. Gerade die Einbindung von lokalen Organisationen hilft ja dabei, dass nicht (nur) die Prestigeprojekte von Europa-Politikern in Angriff genommen werden, sondern ganz konkrete Probleme vor Ort. Davon gibt es wahrlich genügend.


Wie soll das alles bezahlt werden?

Eigentlich könnte jede Regierung, selbst auf kommunaler Ebene, eine Job-Garantie einführen. Allerdings besteht die Gefahr, dass es zu finanziellen Engpässen kommt wenn das Land, das die Job-Garantie einführt, ein Leistungsbilanzdefizit hat. Gerade für die am härtesten von Arbeitslosigkeit betroffenen Länder, wie zum Beispiel Spanien, wäre es also besonders schwierig, die Job-Garantie wirklich durchzusetzen.

Deswegen soll sie von einer Regierung eingeführt werden, die im Sinne der Modern Monetary Theory monetär souverän ist, also eine eigene Währung mit flexiblen Wechselkursen ausgibt. Diese Regierung kann dann, ungestört durch irrationale Märkte, die notwendigen Ausgaben zur Bezahlung der Löhne einfach so tätigen.

An dieser Stelle geraten viele Menschen in die Nähe des Herzinfarkts. Zumindest fangen sie an, zu hyperventilieren. Das wäre doch Geld drucken! Dann gibt es Hyperinflation! Die Welt geht unter!

Natürlich haben die Entwickler der Job-Garantie diese Problematik bedacht. Im Gegensatz zu anderen möglichen Konjunkturprogrammen sagt die Job-Garantie nicht "Wir wollen X Bahnhöfe bauen, koste es was es wolle". Bei dieser Herangehensweise bestünde tatsächlich die Gefahr, dass Engpässe auf der Angebotsseite überlastet und Preise nach oben gedrückt werden. Stattdessen sagt die Job-Garantie: "Jeder der will, kann für Y Lohn eine Arbeit bekommen". Da dieses Y gesetzlich festgelegt ist, kann der Preis der Arbeit durch die Job-Garantie gar nicht weiter nach oben gedrückt werden. Wenn aber der Preis der Arbeit nicht nach oben gedrückt wird, dann bleiben auch weitere Effekte auf Preise in der Wirtschaft insgesamt aus. Zur Inflation kommt es also nicht.


Marktwirtschaftlich durchgesetzte Mindeststandards

Eines ist bezüglich des Preis der Arbeit aber auch klar. Der von der Job-Garantie bezahlte Lohn wird de facto zum Mindestlohn. Das Elegante dabei ist, dass es sich nicht um einen gesetzlichen Mindestlohn handelt. Stattdessen erklärt sich die Regierung über das Job-Garantie-Programm bereit, beliebig viele Arbeitsstunden zu einem festen Preis zu kaufen. Alles weitere regelt der Markt.

An einigen Stellen wird deshalb auch von einem "Job-Standard" gesprochen, im Kontrast zum Gold-Standard. Beim Gold-Standard fixiert die Regierung den Preis von Gold. Mit dem "Job-Standard" fixiert die Regierung den Preis von ungelernter Arbeit. Im Gegensatz zum gesetzlichen Stundenlohn ist es dabei als Ergebnis des Marktes durchaus denkbar, dass einige besonders attraktive Stellen geringer entlohnt werden.

Dieser Effekt kann auch für andere normative Zwecke genutzt werden. Wenn die Regierung der Ansicht ist, dass jenseits des Lohns zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers zum Mindeststandard eines jeden Arbeitsplatz gehören sollte (seien es Weiterbildungsangebote, Kinderbetreuung, längerer Urlaub, etc.), dann kann sie diese Leistungen zunächst Job-Garantie-Nehmern anbieten. Dadurch übt sie marktwirtschaftlichen Druck auf private Arbeitgeber aus, mit vergleichbaren Angeboten nach zu ziehen, ohne dabei auf komplexe Regulierungen zu setzen.


Die Job-Garantie und der private Sektor

Die Einführung der Job-Garantie sagt nichts darüber aus, wie groß der Anteil des Staates an der Wirtschaft insgesamt sein soll. Auch nach der Einführung der Job-Garantie bleibt es das Ziel, die Beschäftigung im privaten Sektor zu erhöhen.

Die Job-Garantie springt aber ein, wenn der private Sektor versagt. Auch mit der Job-Garantie muss es nach einem Abschwung das wirtschaftspolitische Ziel sein, die Privatwirtschaft wieder auf Trab zu bringen. Aber bis das gelingt vergeht in der Regel ein längerer Zeitraum. Aktuell versagt die Privatwirtschaft sogar seit über 30 Jahren dabei, genügend Arbeitsplätze zu schaffen. Es geht einfach darum, diesen Zeitraum zu überbrücken, indem die negativen Folgen der Arbeitslosigkeit durch die positiven Effekte der Job-Garantie ersetzt werden.

Auch die aktuelle Eurokrise zeichnet sich letztendlich vor allem dadurch aus, dass es den Mechanismen in der Privatwirtschaft nicht gelingt, die produktiven Kapazitäten unserer Gesellschaft vollständig zu nutzen - die hohe Arbeitslosigkeit ist nur eines von mehreren Indizien dafür. Die Scharmützel, über die in den Medien berichtet wird, sind zum größten Teil nur Symptome. Eine Euro-weite Job-Garantie würde viele unserer Probleme von der Wurzel her lösen. In wie weit sie politisch realisierbar ist ist aber eine andere Geschichte, und die soll ein andermal erzählt werden.

2 Kommentare:

Keynesianer hat gesagt…

Noch besser als eine Job-Garantie fände ich es, wenn die Notenbanken gar nicht erst eine Rezession und Massenarbeitslosigkeit verursachen dürften, solange nicht wirklich eine Hyperinflation droht.

Das Problem mit öffentlichen Jobs für jeden Erwerbslosen wäre vermutlich, dass es sich in der Praxis dann doch um demütigende und entwürdigende, also disziplinierende und abschreckende Tätigkeiten handeln dürfte.

Wie es heute mit den 1-Euro-Jobs schon praktiziert wird.

Anonym hat gesagt…

Das ist schon ein weitreichender visionärer Gedanke.

Ich denke wir hätten schon einen Riesenschritt getan, wenn das Wort Kostenkrankheit von Baumolf als Problem ins gesellschaftliche Bewusstsein wandert.

Die Kostenkrankheit besagt das Dienstleistungen immanent nicht wie die Güterproduktion rationalisierbar sind. Bsp.: Ein Lehrer kann ohne qualitative Verluste nicht eine größere Klasse unterrichten.

Aber weil der Lohnzuwachs allgemein sich danach richtet, wie die anderen Sektoren abschließen, entstehen höhere Kosten.

Allgemein steht in den Medien immer geschrieben, Kostenexplosion im Gesundheitswesen, deswegen liegen die Kostenzuwächse unter der Inflationsrate. Deswegen fehlen schon über 100.000 Jobs.

Die Folgen sind überfüllte Hörsääle, gestresste Krankenpfleger die sich um eine Masse Patienten kümmern müssen, usw...

Da könnten schon Jobs ohne Ende geschaffen werden, die arbeitsintesiv sind und die Lage deutlich verbessern...