Donnerstag, September 15, 2011

Woher kommt Massenarbeitslosigkeit?

Vor einiger Zeit habe ich über einige Aspekte dessen geschrieben, wie man mit Arbeitslosigkeit umgehen soll. Aber woher kommt Arbeitslosigkeit eigentlich? Diese harmlos wirkende Frage ist, zusammen mit der ebenso harmlos wirkenden Frage danach, wo eigentlich Profite herkommen, konstituierend für die Makro-Ökonomie als eigenständiges Forschungsgebiet. Das Gesamtsystem verhält sich nämlich eben nicht so wie ein mikro-ökonomischer Haushalt, der auf größere Dimensionen aufgeblasen wird.

In grauer Vorzeit gab es keine Arbeitslosigkeit. Jeder konnte sich im Zweifelsfall selbst mit Jagd oder Ackerbau beschäftigen. Selbst die Expansion der Siedler in Nordamerika kann man aus dieser Perspektive heraus noch als Flucht vor der Arbeitslosigkeit in die Selbständigkeit betrachten. Heutzutage funktioniert das nicht mehr so, und zwar nicht nur, weil die meisten von uns vom Ackerbau keine Ahnung mehr haben. Selbst wer das nötige Wissen besitzt kann nicht einfach auf eigene Faust Ackerbau betreiben, weil die geeigneten Grundflächen alle schon vergeben sind. Dies ist der erste Schritt zum Verständnis von Arbeitslosigkeit als Massenphänomen: Wenn die Besitzer der Produktionsmittel nicht genügend Arbeiter einstellen, dann entsteht Arbeitslosigkeit.

Wer hier mit der Analyse aufhört greift aber zu kurz. Erstens gibt es in unserer heutigen Wirtschaft mit ihrem sehr großen Dienstleistungssektor viele Arbeitsplätze, die wenig kapitalintensiv sind. Es wäre denkbar, dass Arbeitslose sich die notwendigen Produktionsmittel zumindest in diesen Bereichen einfach selbst besorgen, und das geschieht auch regelmäßig. Aber es reicht offenbar nicht aus.

Zweitens hilft eine Verteufelung der Besitzer der Produktionsmittel auch nicht weiter. Wenn sie keine zusätzlichen Arbeiter einstellen geschieht das ja in der Regel nicht aus Boshaftigkeit. Wenn ein Unternehmer die Möglichkeit hätte, durch Verdoppelung der Belegschaft die Produktion und den Absatz zu verdoppeln und so nach Berücksichtigung der Fixkosten und Economies of Scale den Gewinn mehr als zu verdoppeln, dann würde er das natürlich tun. Aber der Absatz lässt sich eben nicht unbedingt verdoppeln, und hier liegt der Hund begraben: Wenn die effektive Gesamtnachfrage zu gering ist, dann entsteht Arbeitslosigkeit.

Übrigens: wenn die Produktivität steigt - also die pro Arbeitsstunde produzierten Güter und Dienstleistungen - dann muss die effektive Gesamtnachfrage genauso schnell steigen, damit die Anzahl der Arbeitsplätze gleich bleiben kann.

Allerdings wächst die Gesamtnachfrage nicht immer mit dem "richtigen" Tempo. Mal wächst sie schneller (dann können Arbeitsplätze entstehen), und mal wächst sie langsamer oder geht sogar zurück. Das sind ganz normale zyklische Bewegungen, wie sie in komplexen dynamischen Systemen zwangsläufig auftreten, wenn nicht dagegen gesteuert wird.


Die anderen Theorien

Ich will nicht verschweigen, dass es noch eine andere Familie an Erklärungsansätzen für Arbeitslosigkeit gibt. In den Medien wird uns ständig implizit erzählt, es gebe Arbeitslosigkeit, weil die Arbeitslosen wahlweise zu dumm oder zu faul sind oder nicht die passenden Qualifikationen haben. Es wird niemanden überraschen, dass ich das für Unsinn halte, und zwar aus einer ganzen Reihe an Gründen.

Zum einen entstammen diese Theorien einer verengten, mikro-ökonomischen Weltsicht. In der Tat ist es so, dass ein einzelner Arbeitsloser, nennen wir ihn A, seine persönlichen Einstellungschancen verbessern kann, indem er an seinen Qualifikationen arbeitet. Wenn er sich, zusammen mit einem Dutzend anderen, auf eine neue Stelle bewirbt, und er leider nur die zweite Wahl war hinter B, dann hätte ihm die Fortbildung vielleicht dabei geholfen, an die erste Stelle zu rücken. Nur: in dem Fall wäre dann eben nicht mehr A, sondern B weiterhin arbeitslos. An der Gesamtzahl der Arbeitsplätze, und damit der Gesamtzahl der Arbeitslosen, ändert sich dadurch ja nichts. Massenarbeitslosigkeit ist ein makro-ökonomisches Phänomen, an dem der Einzelne nichts ändern kann. Die "Tale of 100 Dogs and 95 Bones" veranschaulicht dies sehr schön.[1]

Zum anderen stimmen diese Theorien nicht mit der beobachteten Realität überein. Die Arbeitslosenquote reagiert mit leichter Verzögerung tatsächlich auf Schwankungen in der Nachfrage. Wer glaubt, man könne dies dadurch erklären, dass die Menschen plötzlich dümmer und/oder fauler werden, oder von heute auf morgen nicht mehr die richtigen Qualifikationen haben wenn die Nachfrage sinkt, der leidet an einem klaren Realitätsdefizit. Eine veränderte Einstellung zur Arbeit kommt höchstens als Folge von langfristiger Arbeitslosigkeit in Frage, nicht aber als deren Ursache, wie ich hier argumentiert habe.

Ein weiterer Sargnagel für diese Theorien ist, dass sie in praktisch allen westlichen Ländern in den letzten 15 Jahren als Begründung zum Umbau der Arbeitsmärkte hergehalten haben. Aber ohne Erfolg: Massenarbeitslosigkeit gehört immer noch zu unserer gesellschaftlichen Realität. Dies steht in klarem Gegensatz zu den Nachfrage-orientierten Theorien, deren Anwendung nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen westlichen Ländern - auch solchen, die nicht durch den Krieg zerstört wurden - zu Arbeitslosenquoten unter 2% geführt haben.

Ich will dabei gar nicht behaupten, dass die mikro-ökonomischen Überlegungen vollkommen falsch sind. Sie helfen nur nicht dabei, die heutige Massenarbeitslosigkeit zu erklären.

Zum Beispiel beim Thema Qualifikationen. Es ist ja durchaus richtig, dass Verschiebungen in der Zusammensetzung der Wirtschaft auch eine Verschiebung der benötigten Qualifikationen bedeutet. Diese erreicht man aber nicht durch sinnlose Maßnahmen von Arbeitsagenturen, sondern nur, indem man den Menschen eine Weiterbildung in Verknüpfung mit einer echten Arbeit gibt.

Dies spricht für die Betonung der Rolle der Nachfrage. Wenn die Nachfrage nur hoch genug ist, dass Firmen einfach mehr qualifizierte Arbeitnehmer benötigen, dann werden sie die entsprechenden Bildungsmaßnahmen selbst in die Hand nehmen. Solange sich die Nachfrage nur schleppend entwickelt bleibt es bei Lippenbekenntnissen auf Sonntagsreden.

Es liegt auf der Hand: Steht die Wirtschaft ordentlich unter Dampf und läuft gut warm, dann ist sie anpassungsfähig. Solange die Nachfrage hoch ist fällt es leichter, neue Betriebe zu gründen, und das Geld ist da für Weiterbildungen - und genau dies sind die wichtigsten Mechanismen, über die sich die Wirtschaft an veränderte Gegebenheiten anpassen kann. Bleibt die Nachfrage aber aus und die Wirtschaft läuft eher schleppend und kühl, dann ist sie auch starr und kann nicht flexibel reagieren. Der Schmied schmiedet das Eisen ja auch dann, wenn es heiß ist.


Fußnoten

[1] Natürlich sind solche Veranschaulichungen nie zu 100% korrekt. Es gibt durchaus Fälle, in denen Firmen neue Arbeitsplätze speziell für "Superstars" schaffen, die sich bei ihnen bewerben. Allerdings ist das Budget für die Einstellung solcher "Superstars" auch immer begrenzt. Wenn von heute auf morgen alle Arbeitslosen zu hoch gebildeten 25-jährigen Intelligenzbestien mit 50 Jahren Berufserfahrung würden, würde sich an der Arbeitslosenquote trotzdem nichts wesentlich ändern.

2 Kommentare:

Keynesianer hat gesagt…

Bei Vollbeschäftigung steigen die Löhne und die Ansprüche der Arbeiter. Mit Massenarbeitslosigkeit kann man die Löhne senken und den Beschäftigten gehörig Angst um ihren Arbeitsplatz einjagen.

Zu diesem Zweck wird Arbeitslosigkeit mit der Geldpolitik absichtlich erzeugt. Alles weitere zu diesen Gründen und Hintergründen findest Du auf meiner Website oder in meinen Büchern:

http://www.wolfgang-waldner.com/

Auch die Weltwirtschaftskrise wurde absichtlich erzeugt. Es ist ein sehr spannendes, aber wenig erfreuliches Thema. Ja, und es wird erst aufhören, wenn genügend viele Leute davon wissen und sich informieren wollen.

Grüße

Wolfgang

Nicolai Hähnle hat gesagt…

Ja, genau. Ich hatte in die Richtung auch schon mal was aufgeschrieben, und zwar hier.