Ich rede und streite gerne und viel über die Zukunft unserer Gesellschaft. Wie sieht die Zukunft aus? Wie können wir die Zukunft besser machen? In mir wächst die Überzeugung, dass wir ein ganz zentrales Thema im öffentlichen Diskurs permanent verankern müssen, das dort heute fehlt. Dieses Thema ist die Vollbeschäftigung.
Beim Wort Vollbeschäftigung denkt sich der ein oder andere erfahrungsgemäß: Ist doch Quatsch, dass jeder arbeiten soll. Darum geht es auch gar nicht. Vollbeschäftigung heißt nicht, dass jeder arbeitet. Vollbeschäftigung heißt, dass jeder, der arbeiten will auch eine reguläre, angemessen bezahlte und nützliche Arbeit findet. Die Gesellschaft soll jedem die Möglichkeit geben, sich sinnvoll und Sinn stiftend einzubringen.
Viele glauben, das sei unrealistisch, weil es gar nicht genug zu tun gäbe. Aber nüchtern betrachtet sehen wir auf der einen Seite Millionen von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten. Auf der anderen Seite sehen wir so viele nützliche Dinge, die getan werden könnten, in Infrastruktur, in Betreuung, in Bildung, in Kunst und Kultur - diese beiden Seiten müsste man nur zusammen bringen.
Der Vorteile wären viele. Der nächstliegende Vorteil ist die Abschaffung der Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit ist auf vielen Ebenen ein Verlust, für die betroffenen Menschen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Für die betroffenen Menschen, weil sie in Armut führt, weil sie den Menschen das zermürbende Gefühl gibt, nicht gebraucht zu werden. Die Gesellschaft verliert, weil sie auf die Arbeit dieser Menschen verzichtet. Dadurch geht Potential für reale Wertschöpfung für immer verloren. Im Gegensatz dazu wird dieses Potential durch die Vollbeschäftigung sinnvoll genutzt.
Darüber hinaus gibt es sekundäre Vorteile. Wer eine Arbeit mit einem regulären Einkommen hat wird weniger strafanfällig. Für Kinder macht es einen ganz wesentlichen Unterschied in der Entwicklung, ob die Erwachsenen in ihrer Familie morgens früh aufstehen und zur Arbeit gehen oder nicht.
Vollbeschäftigung bietet auch Sicherheit. Wer weiß, dass er im Zweifelsfall leicht wieder eine Arbeit und damit ein reguläres Einkommen finden kann, der hat im Leben weniger Sorgen. Das stärkt auch die Position der Arbeitnehmer in Lohn- und Gehaltsverhandlungen, was wiederum dazu führt, dass sich die Löhne und Gehälter wieder angemessen entwickeln.
Vollbeschäftigung ist ein Thema, das eigentlich auf breiten Rückhalt in der Bevölkerung stoßen müsste, auch wenn es heute in den Medien kaum ein Thema ist. Warum ist es heute kaum ein Thema? Und was ist also zu tun?
Zum einen liegt die Erklärung sicherlich in der Funktionsweise der Medien. Damit ein Thema in den Medien erscheint, muss es von außen an die Medien heran getragen werden. Offenbar setzen selbst die Parteien und Verbände, insbesondere Gewerkschaften, die eigentlich natürliche Verbündete sein müssten, das Thema Vollbeschäftigung nicht auf die Agenda. Wir müssen hier selbst aktiv werden und ein breites gesellschaftliches Bündnis für Vollbeschäftigung schaffen.
Zum anderen vermute ich - auch wenn ich keine genauen Zahlen kenne - dass viele Menschen nicht mehr an Vollbeschäftigung glauben. Sie denken, dass es unmöglich wäre, diese zu erreichen. Wir müssen den Menschen also auch konkrete Modelle bieten, mit denen Vollbeschäftigung real implementiert werden kann. Mein persönlicher Favorit dafür ist die von Ökonomen wie Bill Mitchell, Randall Wray und Warren Mosler entwickelte Job-Garantie, aber ich würde mich über eine lebhafte Diskussion über verschiedene, ernst gemeinte Modelle freuen.
Wie auch immer die Strategie aussehen mag, ich will Vollbeschäftigung als universelles gesellschaftliches Ziel im Bewusstsein der Menschen verankert sehen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es ist eine Vision für die es zu kämpfen wert ist.
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4 Kommentare:
http://www.zeit.de/karriere/2012-10/leserartikel-zu-viel-arbeit
Dieser Artikel zeigt, warum es so wichtig ist, dass die Vollbeschäftigung auf Freiwilligkeit basiert: Wer nicht arbeiten will, der soll eben keine Arbeit annehmen.
Und wer weiß, wie der 20-jährige Autor dieses Artikels nach ein paar Jahren ohne Arbeit denkt. Vielleicht findet er ein erfülltes Leben auch ohne Arbeit - gut für ihn. Vielleicht überlegt er es sich auch noch einmal anders. Im ersten Fall schadet Vollbeschäftigung nicht, im zweiten Fall profitiert er von Vollbeschäftigung.
Toll finde ich den Zeit-Artikel. Und schwierig die im Blogpost beschriebene Haltung - sei sie auch nicht unbedingt die des Autors - von Arbeit als sinn- geschweigedenn identitätsstiftendes Moment des Lebens.
Diese Fehlhaltung zeigt sich doch schon in dem Moment, wo man sagt "Ich bin $_Beruf". Ernsthaft? Bin ich der Syphon-Freipopler, bin ich der Zement-Aufklatscher, bin ich der Schlitzschläger, bin ich der Knicken-Lochen-Abheften-Triathlet des Büros?
Oder bin ich doch vielmehr was ganz anderes, Couch-Potatoe, Musik-Fan, Computerfreak, Umweltaktivist, Tierliebhaber ... eben all das, was den Menschen ausmacht, und grade nicht das, was mir die spärlichen Brosamen aufs Konto spült, die ich als Ersatz dafür bekomme, meine Lebenszeit zu verkaufen anstatt sie selbstbestimmt zu verbringen?
Nix gegen Arbeit. Nur ist die Entwicklung inzwischen doch wo angekommen, wo Beruf und Berufung weiter voneinander entfernt kaum noch sein könnten, und auf diese Weise rückt Tolstoi wieder so entsetzlich nahe: "Man sagt, dass die Arbeit den Menschen gut mache; doch ich habe immer das Gegenteil beobachtet. Arbeit und der Stolz auf sie machen (...) den Menschen grausam. Die Arbeit ist nicht nur keine Tugend, sondern in unserer falsch organisierten Gesellschaft meist ein Mittel, das sittliche Empfinden zu töten."
Wie wäre es denn, wenn der Musik-Fan, der Computerfreak, der Umweltaktivist, der Tierliebhaber in der Lage wären, ihre Berufung zum Beruf zu machen? (Beim Couch-Potatoe ist das zugegebenermaßen schwierig)
Genau das zeigt doch, dass Arbeit - nicht im Sinne von Erwerbsarbeit, sondern im Sinne von Aktivität und Kreation - eben doch grundsätzlich ein sinn- und identitätsstiftender Teil des Lebens ist. Wichtig ist dabei, dass Beruf und Berufung nicht zu weit auseinander driften. An manchen Stellen lässt sich das womöglich nicht vermeiden; dann sollte man zumindest dafür sorgen, dass die Entlohnung stimmt.
Der Vorschlag der Job-Garantie geht übrigens genau in diese Richtung: Indem man eine Geldquelle erzeugt, die Entlohnung für im weitesten Sinne gemeinnützige Tätigkeit in unbegrenztem Volumen ermöglicht gibt man den Menschen die Freiheit, auf eigene Faust einen zivilgesellschaftlichen Rahmen zu schaffen, in dem sie Beruf und Berufung miteinander verknüpfen.
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