Donnerstag, Oktober 20, 2011

Der Rettungsplan der Troika wird fehlschlagen. Zeit für das Endspiel

Von L. Randall Wray. Aus dem Englischen übersetzt von Nicolai Hähnle.

Wieder zieht ein Rettungsplan für die Währungsunion seine Runden durch Mitteleuropa—das verfügbare Gesamtvolumen wird auf umgerechnet 600 Milliarden Dollar erhöht. Deutschland hat zugestimmt, seinen Beitrag zum Fonds um mehr als umgerechnet 100 Milliarden Dollar zu erhöhen. Aber die Slowakei hat ihr Veto gegen die Rettung ausgesprochen, und alle Augen richten sich nun auf den kommenden Gipfel am 23. Oktober. (Anm. d. Ü.: Seit Erscheinen des Originalartikels hat das slowakische Parlament dem Rettungsplan zugestimmt.)

Keine Sorge: irgendein Rettungspaket wird kommen, egal was geschieht, weil das Zentrum Europas seine Banken retten will—und diese halten Milliarden von Euros in den gefährdeten Staatsanleihen. Niemand ist dumm genug um zu glauben, dass der jetzige Plan reichen wird. Zuletzt hat es die Dexia Group getroffen, einen belgisch-französischen Giganten, der sich auf Staatsschulden spezialisiert hat. Er wurde bereits einmal gerettet und muss jetzt wieder gerettet werden. Aber Dexia is nur der Dominostein des Tages—auch die anderen europäischen Banken werden fallen. Das ist kein griechisches Problem. Es ist kein irisches Problem. Es ist kein portugiesisches Problem. Es ist kein spanisches Problem. Es ist kein italienisches Problem.

Es ist ein Problem der Währungsunion selbst, und einfach nur Löcher zu stopfen wird niemals ausreichen.

Der Konstruktionsfehler der Währungsunion ist die Trennung der Staaten von ihren Währungen, wie ich, zusammen mit Charles Goodhart, Warren Mosler und Wynne Godley, seit langem argumentiere. (Hier ist ein neuerer Policy Brief zum Thema.) Und wie ich vor wenigen Wochen gesagt habe ist die Währungsunion ein System, dessen Scheitern bereits im Entwurf veranlagt war. Es gibt keine zentrale Regierung, von der die Währung ausgegeben wird. Deshalb gibt es niemanden, der in hinreichend großem Umfang Fiskalpolitik machen kann, um Wirtschaftszyklen entgegenzutreten, geschweige denn um eine Finanzkrise in der Größenordnung, wie wir sie seit 2007 sehen, in den Griff zu kriegen.

Der nahende Sturm—wenn die Finanzinstitute gezwungen werden, sich dem wahren Ausmaß ihrer Verluste zu stellen—wird die Eurostaaten überwältigen.

Selbst wenn die Eurostaaten nicht alle Hände voll damit zu tun hätten, mit den Fingern aufeinander zu zeigen und über die verschwenderische Ausgabenpolitik der jeweils anderen zu schimpfen, würde die gegenwärtige Konstruktion der Eurozone eine wirksame Antwort auf die Krise verhindern. Wenn Finanzmärkte ein Mitglied der Währungsunion angreifen, dann gerät es schnell in eine teuflischen Schuldenfalle, weil seine Zinssätze steigen und ein Loch in den Haushalt reißen. Die anderen Staaten können bestensfalls ein Schuldenpaket zusammenstellen, bei dem zu etwas besseren Bedingungen Geld verliehen wird.

Aber was die hoch verschuldeten Staaten brauchen sind nicht noch mehr Schulden, sondern ein Schuldenerlass und Wirtschafswachstum. Der Sparkurs, der ihnen im Gegenzug für den niedrigeren Zinssatz abverlangt wird, schädigt ihre Wirtschaft, wodurch das Defizit größer wird und noch mehr Schulden gemacht werden müssen.

Das ist die Falle, in die der verschuldete Staat rutscht: wenn er sich Geld von den Märkten leiht, dann steigen die Zinssätze; wenn er von den anderen Eurostaaten oder dem IWF leiht, geht sein Wirtschaftswachstum zurück und die Steuereinkünfte sinken.

Es ist eine Zwickmühle.

Eine Lösung für die in Schwierigkeit geratenen Staaten ist, die Währungsunion zu verlassen und zu einer eigenen, von der dann souveränen Regierung ausgegebenen Währung zurückzukehren—also die Drachme für Griechenland, Lira für Italien, und so weiter. Die Umstellung wird für kurzfristig für Chaos und damit verbundene Kosten sorgen. Aber die Staaten könnten danach ihre innere Handlungsfähigkeit wieder herstellen und die Krise bekämpfen. Ein Zahlungsausfall bei Anleihen, die in Euro laufen, wäre notwendig. Die EU könnte mit Sanktionen reagieren. Aber das wäre besser als das Konzept von Nord- vs. Süd-Euro, "Teutonic vs. Latin", das vorgeschlagen wurde, und die Staaten einfach nur an eine andere externe Währung binden würde. Ein Staat wie Griechenland wäre genauso handlungsunfähig wie jetzt, wenn auch mit einer abgeschwächten Währung.

Wenn die Auflösung der Währungsunion nicht gewollt ist, dann ist die einzige echte Lösung, sie grundlegend zu umzubauen. Viele Kritiker machten die EZB für das schleppende Wachstum vor allem der Peripherie verantwortlich. Die EZB habe den Leitzins zu hoch gehalten, als dass Vollbeschäftigung hätte erreicht werden können. Ich war immer der Ansicht, dass dieses Argument falsch ist—nicht weil ein niedriger Leitzins nicht wünschenswert gewesen wäre, sondern weil selbst mit der perfekten Zentralbank das wahre Problem immer noch bei der beschränkten Handlungsfähigkeit der Politik in Sachen Fiskalpolitik gelegen hätte. Tatsächlich haben Claudio Sardoni und ich vor ein paar Jahren gezeigt, dass die Geldpolitik der EZB nicht wesentlich strenger war als die der Fed. Trotzdem hat sich die US-Wirtschaft durchwegs besser entwickelt. (Working Paper)

Es war die Fiskalpolitik, in der sich die beiden Währungszonen unterscheiden. Der Haushalt der Regierung in Washington macht mehr als 20% des BIP aus, und das üblicherweise bei einem Defizit von mehreren Prozent des BIP. Im Unterschied dazu macht der Haushalt des EU-Parlaments weniger als 1% des BIP aus. Die einzelnen Eurostaaten haben zwar versucht, diese Lücke durch Defizite der eigenen Regierungen füllen, aber das hat zu genau den Problemen geführt, die wir heute sehen.

Als Defizite und Schulden stiegen, haben die Märkte die Zinssätze erhöht. Sie haben erkannt, dass die Eurostaaten—im Gegensatz zu souveränen Staaten wie die USA, Japan oder Großbritannien—die Nutzer einer externen Währung sind. Wie ich schon früher argumentiert habe ist ihre Situation eher mit der von US-Bundesstaaten vergleichbar. Sie könnten zwar einerseits viel größere Defizite haben als US-Bundesstaaten (die alle bis auf zwei durch ihre Verfassung dazu gezwungen werden, den Haushalt auszugleichen)—teilweise auch wegen der Erwartung, dass die EZB den Zentralbanken der Länder aushelfen würde, wenn die Dinge schlecht laufen. Andererseits unterstützt Washington die US-Bundesstaaten mit seiner Fiskalpolitik—diese Stütze fehlt den Eurostaaten. Bestenfalls könnten sie Euro von europäischen Institutionen oder dem IWF leihen. Aber das erhöht nur die Zinssätze und führt in die teuflische Schuldenfalle. Als Folge fließt ein größerer Teil der Defizite in der Währungsunion in Zinszahlungen, die nicht gerade der beste Konjunkturimpuls sind. Amerika vermeidet dies zu einem gewissen Grad, indem die Bundesstaaten von den Märkten zu ausgeglichenen Haushalten gezwungen werden, während Washington die Folgeschäden durch Ausgleichszahlungen dämpft.

Sobald die Schwäche der Währungsunion verstanden ist, ist es nicht schwer, die Lösungen zu sehen. Eine besteht darin, den fiskalpolitischen Handlungsspielraum des EU-Parlaments zu vergrößern, zum Beispiel indem sein Budget auf 15% des BIP erweitert wird und ihm die Möglichkeit gegeben wird, Schulden aufzunehmen. Ob die Entscheidungen über die Ausgaben zentral gefällt werden sollen ist eine politische Frage—das Geld könnte einfach auf pro-Kopf-Basis an die einzelnen Eurostaaten überwiesen werden.

Auch die EZB kann dies tun. Man kann die Regeln zum Beispiel so ändern, dass die EZB Anleihen der Mitgliedstaaten im Wert von bis zu 6% des BIP der gesamten Eurozone kaufen kann. Als Käufer kann sie den Zinssatz festlegen, am besten wohl auf den Leitzins der EZB oder auf einen festen Spread darüber. Auch hier würden die Kontingente auf die Mitgliedsstaaten auf einer pro-Kopf-Basis verteilt. Dies ist ähnlich zu dem Vorschlag der "Blue Bonds" und "Red Bonds", den ich vor einigen Wochen besprochen habe. Die Staaten könnten auch weiterhin Anleihen auf dem freien Markt ausgeben, so dass sie mehr als die von der EZB getragenen Schulden aufnehmen könnten—so wie auch US-Bundesstaaten Anleihen ausgeben.

Man kann sich Varianten dieser Idee ausdenken, zum Beispiel die Schaffung einer Euro-weiten Finanzierungsbehörde, die von der EZB abgesicherte Schulden ausgibt um die Schulden der Regierungen aufzukaufen—wiederum vergleichbar mit den "Blue Bonds". Essentiell ist aber, dass die Schulden zentral garantiert werden, dass also die EZB oder die EU als Ganzes hinter den Schulden steht. Dadurch bleiben die Zinssätze niedrig und die "Marktdisziplin" sowie der Teufelskreis der Schulden wird entfernt. Indem die Anleihen nach einer Formel (d.h. pro Kopf) auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden, sollte jeder den gleichen Zinssatz erhalten.

All diese Vorschläge sind technisch einfach und wirtschaftlich vernünftig. Sie sind politisch schwer umsetzbar. Je länger die EU wartet, um so schwieriger wird es. Krisen verstärken die Rufe nach Auflösung, vergrößern die Wahrscheinlichkeit einer Trennung und vergrößern gegenseitige Feindseligkeiten. Dies wiederum verzögert eine echte Lösung, wodurch eine "Great Depression 2.0"—die Kombination eines Abschwungs zusammen mit Schuldendeflation à la Fisher—immer wahrscheinlicher wird.

Ich werde mein Argument, dass auch die US-Banken auch am Ende sind, hier nicht wiederholen: platzende Blasen auf den Kapital- und Rohstoffmärkten, der fortlaufende Niedergang des US-Immobilienmarktes und der Tsunami aus Klagen gegen der Betrug der Bankster werden sie übel treffen.

Der Kapitalismus der Money Manager ist dem Untergang geweiht. Wir müssen uns entscheiden, welches Endspiel wir möchten.

L. Randall Wray ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of Missouri-Kansas City und Senior Scholar am Levy Economics Institute in Bard College, NY. Er ist unter anderem der Autor von Understanding Modern Money: The Key to Full Employment and Price Stability (Elgar, 1998) und Money and Credit in Capitalist Economies (Elgar, 1990). Er hat seinen B.A. von der University of the Pacific, und einen M.A. und Ph.D. von der Washington University in St. Louis. Er bloggt regelmässig auf Great Leap Forward und New Economic Perspectives, wo er den Modern Money Primer schreibt.

Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Link zur Originalfassung.

Mittwoch, Oktober 05, 2011

Def.: Souverän, monetärer

Monetär souveräne Regierungen sind nicht wie du und ich, und sie sind auch nicht wie andere Regierungen. Dieser zentrale Punkt wird von Modern Monetary Theory immer wieder betont, während ihn andere volkswirtschaftliche Theorien praktisch vollständig unterschlagen. Aber was bedeutet das eigentlich, monetäre Souveränität?

Es bedeutet, dass die Regierung ihre eigene Währung ausgibt und nur diese für die Begleichung von Steuerschulden akzeptiert.

Eine Regierung kann ihre Souveränität auf verschiedene Art und Weise freiwillig einschränken:In diesen Fällen kann die Regierung ihre Souveränität zwar jederzeit zurück erlangen, indem sie diese freiwilligen Einschränkungen aufhebt. Das ist zum Beispiel 1971 unter Richard Nixon in den USA passiert. Für die Analyse betrachten wir sie aber oft als nicht monetär souverän, einfach weil sie sich so verhält als ob.

Denn hier ist der Kern der Sache. Eine monetär souveräne Regierung ist in ihrer eigenen Währung immer zahlungsfähig. Und nicht nur das. Eine monetär souveräne Regierung finanziert sich nicht. Nicht durch Steuern, nicht durch Schulden, nicht durch irgendetwas anderes. Im Kontext einer monetär souveränen Regierung ist es schlicht bedeutungslos, von Finanzierung zu sprechen.

Du und ich, wir sind nicht unbegrenzt zahlungsfähig. Wenn das Guthaben auf unserem Konto erschöpft bzw. der Dispokredit ausgereizt ist und wir eine Überweisung tätigen wollen, dann sagt die Bank "Nein". Deswegen müssen wir uns irgendwie finanzieren, sei es über Einkommen oder über Darlehen.

Mit einer Regierung, die zwar eine eigene Währung hat, diese aber freiwillig zum Beispiel an den US$ koppelt, verhält es sich ähnlich. Sie kann zwar prinzipiell beliebig viel Geld in der eigenen Währung ausgeben. Aber sie hat versprochen, alles ausgegebene Geld aus der eigenen Währung im Zweifelsfall in US$ umzutauschen. Diese US$ müssen irgendwo herkommen, oder sie muss das Versprechen brechen.

Eine monetär souveräne Regierung ist in einer grundsätzlich anderen Situation. Sie schreibt die Regeln, nach denen ihr Geldsystem funktioniert. Wenn sie sagt, dass an jemanden Geld überwiesen werden soll, dann gibt es niemanden, der "Nein" sagen kann.

(Kleiner Einschub am Rande: Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind sowohl Legislative als auch Exekutive inklusive Zentralbank Teil der Regierung. Wenn die Legislative der Exekutiven eine Zahlung verbietet, dann ist die Regierung aus volkswirtschaftlicher Perspektive nicht zahlungsunfähig, sondern zahlungsunwillig. Solche Vorgänge sind interessant für Politikwissenschaft und Verhaltenspsychologie, aber mit Volkswirtschaft haben sie herzlich wenig zu tun.)


Warum Steuern und Schulden?

Du und ich, wir müssen uns finanzieren, um zahlungsfähig zu sein. Eine monetär souveräne Regierung ist sowieso immer zahlungsfähig. Es ist also unsinnig, von ihrer Finanzierung zu sprechen. Wenn Steuern und Schulden aber nicht zur Finanzierung benötigt werden, wozu braucht man sie dann?

Steuern, die nur mit der Währung der Regierung bezahlt werden können, erzeugen Nachfrage nach dieser Währung und geben ihr dadurch überhaupt erst einen Wert. Man kann sich das an einem Gedankenexperiment überlegen. Es wird auch an ganz konkreten Beispielen aus der jüngeren Geschichte deutlich. Zudem scheinen Steuern auch in der viel älteren Geschichte ganz zentral zur Verbreitung von Geld beigetragen haben.

Gibt die Regierung zu viel Geld aus, so dass die Nachfrage insgesamt die produktiven Kapazitäten der Wirtschaft übersteigt, dann kann es zur erhöhten Inflation kommen. In diesem Fall gibt es eine politische Wahl. Wenn die Regierung der Ansicht ist, dass mehr öffentliche Leistungen zur Verfügung gestellt werden sollen, dann kann sie die Steuern erhöhen und dem privaten Sektor auf diese Weise Kaufkraft entziehen. Dadurch sinkt die Gesamtnachfrage, und die Inflation wird gedämpft. Alternativ kann die Regierung ihre Ausgaben senken, wenn weniger öffentliche Leistungen gewünscht werden. Die treibende Kraft von Steuern zur Stabilisierung des Werts der Währung ist jedenfalls klar.

Schulden sind dagegen unnötig. Eine monetär souveräne Regierungen müsste keine Schulden im Sinne von Anleihen ausgeben. Haushaltsdefizite würden dann einfach zu wachsenden Reserven bei der Zentralbank führen. Diese sind aus Sicht der Bilanz natürlich immer noch Verbindlichkeiten der Regierung, repräsentiert in diesem Fall durch die Zentralbank. Sie werden aber nicht als Staatsschulden betrachtet. (Warum das so ist ist mir ehrlich gesagt schleierhaft. Vermutlich ist das alles eine Frage des Framings.) Das hat technische Folgen für die Geldpolitik, aber ansonsten ändert sich nichts.


Moralische Pflichten des monetären Souveräns

Jede Regierung ist dem Wohl der Bevölkerung verpflichtet. Wenn sie sich dieser Pflicht verweigert, dann sollte die Bevölkerung die Kisten der Freiheit (bzw. eine schlussendlich unblutigere Variante!) benutzen. Zum Wohl der Bevölkerung gehört nicht nur, aber eben auch, das wirtschaftlich-materielle Wohl. Eine monetär souveräne Regierung hat dafür besonders mächtige Hebel zur Verfügung.

Monetäre Souveränität setzt die Gesetze der Physik nicht außer Kraft. Was die natürlichen Ressourcen und produktiven Kapazitäten eines Landes nicht hergeben, kann auch vom monetären Souverän nicht herbei gezaubert werden. Aber die Regierung muss dafür sorgen, dass die bestehenden Kapazitäten zum Wohl der Bevölkerung genutzt und für die Zukunft gepflegt und ausgebaut werden.

Die Regierung hat noch eine weitere Pflicht. Arbeit ist ein ganz zentraler Bestandteil menschlichen Lebens und sozialer Gemeinschaft. Dadurch, dass unsere Wirtschaft durch und durch monetarisiert ist, entsteht Arbeitslosigkeit, und es gibt im freien Markt keinen Mechanismus, um sie zu verhindern. Also muss die Regierung, stellvertretend für die Gesellschaft insgesamt, jedem eine reguläre Arbeit zu ermöglichen, zum Beispiel über eine Job-Garantie.

Das Schöne ist, dass die Regierung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann. Indem sie den Menschen eine Arbeit gibt, kann sie gleichzeitig dafür sorgen, dass die bestehenden Kapazitäten des Landes besser zum Wohl der Bevölkerung genutzt werden.

An dieser Stelle kommt die monetäre Souveränität wieder ins Spiel. Eine nicht souveräne Regierung könnte bei der Umsetzung einer Job-Garantie oder anderer Konjunkturmaßnahmen in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Eine monetär souveräne Regierung ist frei von solchen Problemen, und sie hat die moralische Pflicht, diese Freiheit auch zu nutzen.

Sonntag, Oktober 02, 2011

Geld drucken ist nicht inflationär

... aber Geld ausgeben kann inflationär sein.

Ich rede und schreibe oft über die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die eine monetär souveräne Regierung hat, um die Lebensqualität der Bürger zu verbessern. Die meisten Menschen, egal ob on- oder offline, glauben anfangs nicht so recht, was alles möglich wäre, wenn man nur das Geldsystem richtig verstehen und nutzen würde, auch wenn gar kein free lunch versprochen wird.

Der häufigste Einwand ist, dass es inflationär wäre, die von Modern Monetary Theory aufgezeigten Möglichkeiten zu nutzen. Und ja: Es ist wichtig, ernste Diskussionen darüber zu führen, wie viel Inflation für eine gut laufende Wirtschaft notwendig ist, und wodurch Inflation ausgelöst wird und wodurch nicht.

Dies ist mein heutiger Beitrag: Hört auf damit, von "Geld drucken" zu reden, das hat in den Diskussionen über Inflation nämlich nichts zu suchen.


Geld drucken ist Bargeldmanagement

Der Begriff "Geld drucken" hat eine ganz klare, wörtliche Bedeutung, nämlich die Produktion von Geldscheinen und, im etwas erweiterten Sinn, Münzen.

Geld muss immer mal wieder gedruckt werden, damit das Geldsystem reibungslos funktionieren kann. Erstens halten Geldscheine nicht ewig. Alte Scheine müssen irgendwann durch neue ersetzt werden. Zweitens führen auch sehr niedrige Inflationsraten dazu, dass die Menschen langfristig mehr Geld zur Verfügung haben. Einen Teil davon wollen sie im Geldbeutel mit sich führen, und daraus speist sich ein langfristig wachsender Bedarf an Bargeld. Irgendwann muss mehr Geld gedruckt werden, alleine damit die Menschen das Geld, das sie sowieso als Guthaben auf dem Konto haben, auch am Automaten abheben können.

Ja, die Kausalität läuft in der Praxis moderner Geldsysteme genau anders herum, als der Volksmund behauptet. Wegen Inflation muss als Konsequenz Geld gedruckt werden. Die Situation in Argentinien im Januar 2011 hat das sehr eindrucksvoll demonstriert.

Auch aus theoretischer Perspektive ist es unsinnig, von einer Kausalität von Geld drucken hin zu Inflation zu sprechen. Es hilft, sich zu vergegenwärtigen, welche Transaktionen mit dem Drucken von Geld verbunden sind.

  1. Eine Geschäftsbank fordert bei der Zentralbank Bargeld an. Die Zentralbank zieht den entsprechenden Betrag von den Reserven der Bank ab und schickt dann einen gepanzerten Wagen mit frisch gedruckten Geldscheinen los. Die beteiligten Bilanzen ändern sich wie folgt. Zunächst hat die Geschäftsbank Reserven bei der Zentralbank (nicht beteiligte Teile der Bilanzen sind grau dargestellt, und die Größen der Bilanzen sind natürlich nur qualitativ zu verstehen):



    Nach dem Tausch von Reserven gegen Bargeld sehen die Bilanzen so aus:



    Es hat sich also nur die Zusammensetzung des Geldvermögens verändert, die Menge an Geldvermögen und auch die Größe der Bilanzen bleiben gleich.

  2. Irgendwann kommt dann ein Kunde der Bank auf die Idee, Geld am Automaten abzuheben. Er tauscht also sein Guthaben bei der Bank gegen Bargeld, und die Bilanzen ändern sich entsprechend:



    Die Bilanz der Geschäftsbank schrumpft, weil ihre Rolle als Vermittler im Geldsystem reduziert wurde. Aber ansonsten ändert sich wieder nur die Zusammensetzung. Insbesondere ist der Kunde, der Geld abgehoben hat, genauso reich oder arm wie vorher.

Diese Illustration hat hoffentlich klar gezeigt, dass sich durch das Drucken von Geld keine Vermögen ändern. Es ändert sich nur die Form der Vermögen auf vernachlässigbare Weise. Somit kann es sich auch nicht auf die Inflation auswirken.


Aber "Geld drucken" ist eine Metapher!

Das ist die vermutlich beliebteste Ausrede, gegen die ich zwei Einwände vorbringen möchte.

  1. Metaphern sind gut, wenn sie einen Begriff aus einem anderen Themenbereich übertragen, um Sachverhalte anschaulich aufzuklären. Der Begriff "Geld drucken" hat aber bereits eine ganz klare wörtliche Bedeutung. Ihn zusätzlich mit einer anderen Bedeutung zu überladen schadet einer seriösen Diskussion nur.

  2. Wer Metaphern benutzt, der sollte genau erklären können, wofür sie stehen. Wenn aber "Geld drucken" in der wörtlichen Bedeutung nicht inflationär ist, was ist es dann, das als inflationär kritisiert wird?

Der geneigte Leser wird auf der Suche nach einer Antwort auf diese letzte Frage hoffentlich zu dem Schluss kommen, dass Geld ausgeben für die Diskussion sehr viel relevanter ist als Geld drucken.

Das wirft dann wieder neue Fragen auf. Unterscheiden sich private und staatliche Ausgaben im Hinblick auf Inflation? Und: es werden andauernd gigantische Mengen an Ausgaben getätigt, auch wenn die Inflationsrate niedrig ist. Es kann also nicht jede Ausgabe inflationär sein. Vielleicht nur, wenn insgesamt zu viel ausgegeben wird? Aber wie viel ist zu viel, und woran erkennt man das?


Bessere Qualität in (wirtschafts-)politischen Diskussionen

Es geht mir hier und jetzt nicht darum, diese Fragen zu beantworten, sondern ein klein wenig auf eine bessere Diskussionskultur zu pochen. Folgendes Muster beobachte ich immer wieder: Person A schlägt eine politische Maßnahme vor. Person B kritisiert den Vorschlag mit der Begründung, dass dann Geld gedruckt würde und die Maßnahme deshalb inflationär wäre.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder, Person B findet den Vorschlag eigentlich aus einem ganz anderen Grund schlecht, vielleicht weil er seinen persönlichen Moralvorstellung widerspricht. Das ist in Ordnung. Meinungsvielfalt ist gut, wenn auch manchmal etwas anstrengend. Aber in diesem Fall sollte Person B einfach offen und ehrlich zu dieser grundlegenden Meinungsverschiedenheit stehen. Der Versuch, sie mit Quatsch wie "Geld drucken" zu vertuschen, ist unanständig.

Die Alternative ist, dass Person B den Vorschlag prinzipiell gut findet, aber ganz ehrlich befürchtet, dass er zu zu hoher Inflation führen würde. Das muss man ernst nehmen. Aber die Tatsache, dass Person B von "Geld drucken" spricht, ist ein sehr starkes Indiz dafür, dass er das nicht richtig durchdacht hat. Dann sollten die Beteiligten innehalten und sich daran erinnern, dass Geld drucken nicht inflationär ist. Person B sollte versuchen, seine Kritik noch einmal zu durchdenken und anders zu formulieren. Welcher Aspekt der vorgeschlagenen Politik ist seiner Ansicht nach wirklich für die befürchtete Inflation verantwortlich, und über welche Mechanismen wird sie ausgelöst? Indem er sich diese Fragen stellt, kann Person B implizit selbst prüfen, ob er nicht womöglich einen Denkfehler begangen hat.

In jedem Fall gewinnt die Diskussion an Qualität, wenn auf den irreführenden Begriff "Geld drucken" verzichtet wird. Und jetzt gibt es wenigstens eine Seite, auf die ich (und vielleicht auch der geneigte Leser?) zukünftig linken kann, wenn wieder einmal jemand mit "Geld drucken" kommt.